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Justiz in Deutschland

Die politische Strafverfolgung von DDR-Bürgern: Ein Ergebnis des Bruchs von Völkerrecht und Einigungsvertrag

Die Niederlage der DDR ebnete den Weg für die nun »längst fällige Abstrafung« , die vor allem erfolgen musste, weil die Deutsche Demokratische Republik konsequent für Antifaschismus und Sozialismus, für Frieden und Völkerverständigung, stand. Diesen politischen Vorgaben folgend, wurde in Berlin für die Anklage von sogenanntem DDR-Unrecht eine politische Sonderstaatsanwaltschaft II unter Leitung des StA Christoph Schaefgen ins Leben gerufen, die schon seit 1990 mit deutscher Gründlichkeit, und seelenlos an der Verfolgung rechtschaffener Bürger der DDR arbeitete. Zur Verwirklichung dieser Aufgabe wurde der DDR BRD-Recht übergestülpt. Damit verschaffte sich die Klassenjustiz das juristische Fundament für die politische Strafverfolgung.

Eine maßgebliche Vollstreckerin persönlicher Abrechnung mit der DDR-Vergangenheit war die damalige Berliner Justizsenatorin Limbach, die wie eine Furie gegen die angebliche Regierungskriminalität der DDR vorging und zu deren Verfolgung sie die Sonderstaatsanwaltschaft II so rasch ins Leben rief, um noch schnell die todkranken Erich Honecker, Willi Stoph und auch Erich Mielke und Heinz Keßler auf die Anklagebank zu setzen.

Bruch internationaler Rechtsnormen

Die BRD-Regierung brach von Anfang an international abgegebene Versprechungen und Rechtsnormen. In den Verhandlungen mit der sowjetischen Führung in den Jahren 1989/90 sei, so Gorbatschow in seiner öffentlichen Erklärung vom 28. November 1996, »....mit der Führung der BRD Einvernehmen erzielt worden, dass strittige Fragen über die in der DDR geltende Gesetzgebung nicht durch die Verfolgung früherer politischer Gegner gelöst werden dürfen...« An diese Zusage hat sich die Bundesregierung nie gehalten. Die anfänglich noch vorhandenen, zaghaften Proteste der sich geprellt fühlenden Russen wies die Bundesregierung mit dem Argument zurück, wegen der Unabhängigkeit der Justiz könne sie leider nichts mehr tun.

Der Artikel-7, Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem der Grundsatz, dass eine Handlung oder Unterlassung nur verfolgt werden darf, wenn sie zum Tatzeitpunkt nach dem Gesetz strafbar war, wurde durch entsprechende Urteile des BGH und andere Rechtsakte faktisch außer Kraft gesetzt.

So wurden auch andere, in internationalen Konventionen getroffene Bestimmungen ausgehebelt, wie zum Beispiel der 2+4-Vertrag und die Beschlüsse von Helsinki, in denen ausdrücklich die Unverletzlichkeit der Grenzen als zentrales Anliegen eines jeden Staates und als eine entscheidende Bedingung für den Frieden in Europa postuliert wurde. Das tangierte im besonderen dann alle Prozesse, die mit Zwischenfällen an der DDR-Staatsgrenze zur BRD - der sensiblen Nahtstelle zwischen zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und von zwei sich gegenüberstehenden Militärblöcken - im Zusammenhang standen. Diese Grenze war nie eine innerdeutsche Grenze !

Der Artikel 103 Abs. 2 des Grundgesetzes der BRD, wurde genau so verletzt, nachdem geregelt ist: »Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.« Um es auf einen Nenner zu bringen:

Ein DDR-Bürger könnte logischerweise nur bestraft werden, wenn er sich gegen DDR-Recht vergangen hat. Das trifft aber auf keinen Beschuldigten in den politischen Prozessen zu.

Mit der Aufhebung eingetretener, bzw. der Verlängerung von Verjährungsfristen für das sog. Beitrittsgebiet wurde unterschiedliches Recht für Ost und West installiert. Bestimmende Instrumentarien dieses besonderen Rechts für Ostdeutsche sind aber auch die Entscheidungen

- wie die des BVG in Karlsruhe über die Strafverfolgung (im Zusammenhang mit dem Revisionsverfahren im Falle Keßler, Streletz, u.a.)

- sowie die Ablehnung des PDS-Gesetz-Entwurf eines Strafverfolgungs-Beendigungsgesetzes durch den Deutschen Bundestag

Mit Hilfe dieser Rechtskonstruktionen hatte keiner der Verfolgten DDR-Bürger je eine Chance auf einen fairen Prozess.

Das offenbarte sich auch im Verfahren gegen Erich Mückenberger, der ohne Rechtsmittel-Belehrung über die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes zu Gesprächen als Zeuge geladen wurde. Im Anschluss fand er seine freimütigen Zeugenaussagen in seiner Anklageschrift wieder. Ein besonderes »Schulbeispiel« war in diesem Verfahren die Aussage des Münchener Oberstaatsanwaltes Wilhelm Schneider als Zeuge. Auf nachdrückliches Befragen durch den Verteidiger musste Schneider eingestehen, Mückenberger schon zu diesem Zeitpunkt (also 1992) als potentiellen Beschuldigten vernommen zu haben. Erich Mückenberger wurde also vom Herrn Oberstaatsanwalt Schneider getäuscht!

Ein »Schießbefehl«, den es nie gab...

In allen Prozessen um die DDR-Grenzsicherung klammerte man sich an einen nicht existierenden »Schießbefehl«, obwohl der »Ermittler«, Staatsanwalt Schneider aus München, zugeben musste, dass er in den Unterlagen des Polit-Büros der SED oder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR keinen »Schießbefehl« gefunden hat.

Wenn juristische Beweisnot in den Prozessen eintrat, musste darum der in Parteidokumenten der SED formulierte »Klassenauftrag zur Verteidigung der Errungenschaften DDR« herhalten.

In keinem der zahlreich durchgeführten Verfahren gegen Grenzsoldaten, Postenführer, Offiziere und Generäle - auch nicht im Prozess gegen Krenz u.a.- wurde bewiesen, dass die Gesetze und Bestimmungen (zum Beispiel zum Schusswaffengebrauch) durch die Befehlslage überlagert waren. So musste der »Klassenauftrag als ideologischer Schießbefehl« herhalten.

Angeblich soll nun Schluss sein mit der juristischen »Aufarbeitung der deutschen Nachkriegsgeschichte«. Gegenwärtig wird die Öffentlichkeit durch Mitteilungen in die Irre geführt, nach denen die politische Sonderstaatsanwaltschaft II und Ihr Chef, Herr Schaefgen ihre Tätigkeit zum 31. Oktober 1999 eingestellt haben. Von den ca. 75.000 - 80.000 Ermittlungsverfahren sind jetzt ein Großteil zwar abgeschlossen. Tatsache ist aber, dass

- Tausende noch auf eine Entscheidung warten (Viele dieser Verfahren laufen schon über mehrere Jahre!),

- zahlreiche Prozesse noch vor ihrer Eröffnung stehen,

- eine Reihe von Urteilen gefällt sind und noch vollstreckt werden sollen.

Über mehrere anstehende Revisionsverfahren ist noch nicht entschieden und die Verurteilten und ihre Angehörigen sind großer seelischer Qualen über ihr Schicksal ausgesetzt.

Im Verfahren gegen die Juristin Christa Roehl lagen zwischen der Anklageerhebung und dem Beginn des Prozesses über vier Jahre; ähnlichen seelischen Belastungen war die Juristin Lore Heyer mit der Länge ihres Verfahrens ausgesetzt. Das ist aber eine menschenrechtswidrige und nach dem Völkerrecht sogar verbotene Praxis.

Die Politiker sprechen von einer angeblichen Einstellung der Strafverfolgung, aber unsere Genossen Klaus-Dieter Baumgarten, Werner Schaaf, Joachim Goldbach, Heinz Handke, Harald Ludwig u.a. schmachten noch immer unschuldig in BRD-Gefängnissen, nachdem andere - stellvertretend nenne ich die Namen Keßler, Klabuhn, Leonhardt, Mielke, Streletz, Thieme, u.a. - ihre lange Haft zwar hinter sich gebracht haben, aber mit Bewährungsauflagen und hohen Verschuldungen entlassen wurden.

Der Berliner RA Hans Bauer sagt in seinem Beitrag »Rechtlosigkeit im Namen des ,Rechtsstaates'« (WBI 4/99): »Ungewissheit besteht, in wie weit die Übergabe und Auswertung der noch in USA-Besitz befindlichen MfS-Akten durch die BRD-Behörden zu neuen Verfolgungen Anlas gibt.«

Die Verfolgung geht weiter

Die Ablösung der StA II durch eine sog. »Zentralstelle zur Unterstützung der historischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts«, die inzwischen ihre Arbeit in Berlin - übrigens unter Schaefgens Leitung - aufnahm, wird nicht zur Versachlichung der Thematik beitragen. Im Gegenteil, störende juristische Grenzen stehen nunmehr einer Verteufelung und weiteren Kriminalisierung der DDR weiterhin nicht mehr im Wege. Und im übrigen nehmen künftig zwei Spezialbereiche der Berliner Staatsanwaltschaft die bisherigen Aufgaben der Sonder-StA II wahr, so dass auch verfolgungsmäßíg keine Lücken entstehen werden.

Berechtigte Befürchtungen über die Fortsetzung der Kriminalisierung von DDR-Bürgern lassen die öffentlichen Äußerungen vom gegenwärtigen Kanzler Schröder zu, dass noch kein Schluss-Strich unter die Verfolgung von »DDR-Unrecht« gezogen werden könne, und ein Herr Schwanitz fügte hinzu, dass »die Verfolgung unzureichend sei und deshalb weiter ermittelt werden müsse«. Ähnlich ließen sich in den letzten Tagen Thierse, Kohl und Gauck hören. Herr Kittlaus (ZERV) zieht erneut NS-Parallele, als er nach seiner Auffassung zu einer Amnestie für »DDR-Unrecht« befragt wurde. »Ein Schluss-Strich sei nicht zu rechtfertigen. Die Diskussion habe es auch schon bei den Verbrechen des Nationalsozialismus gegeben, was sich damals negativ ausgewirkt habe«.

Ein besonders schlimmes Kapitel in der Geschichte der politischen Strafverfolgung antifaschistischer Juristen nehmen die Prozesse gegen DDR-Richter und Staatsanwälte ein, die in den 50er Jahren an Verfahren in den sogenannten Waldheim-Prozessen mitwirkten. Unter ihnen befinden sich solche antifaschistischen Juristen, wie Gretel Neumann, Otto Jürgens, Irmgard Jendretzky, Ilse Kühne und andere. Von besonderer politischer Dramatik ist das Verfahren gegen Irmgard Jendretzky, weil hier die faktische Rehabilitierung ehemaliger faschistischer Verbrecher durch die BRD-Justiz besonders scharf deutlich wird. Wir sind in tiefer Sorge um das Schicksal von Irmgard. Ihre Verfassungsbeschwerde wurde abgelehnt und über zahlreich vorliegende Gnadengesuche ist bislang von dem zuständigen Justizminister in Sachsen noch nicht entschieden worden. Die Volksrichterin nahm als Beisitzerin eines Revisionssenats in den fünfziger Jahren an Verfahren über erstinstanzlich ergangene Haft- und Todesurteile gegen Kriegsverbrecher und Nazimörder teil, die bei Kriegsende 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht interniert und danach deutschen Richtern zur Aburteilung übergeben wurden. Alle danach durchgeführten Verfahren vor Gerichten der DDR erfolgten vor allem nach internationalem Recht. Verbindliche Rechtsgrundlagen waren : das Potsdamer Abkommens der Alliierten Mächte vom 17. Juli 1945 und das (allgemeine) Gesetz des alliierten Kontrollrats Nr.10 vom 20. Dezember 1945, die verbindlichen Entscheidungen der sowj. Militärbehörden und -gerichte, der Befehl Nr.201 der SMAD, sowie die 1949 beschlossene Verfassung der DDR - Artikel 6 - und darauf beruhende Strafrechtsbestimmungen für diese Verfahren.

Verurteilung von Kriegsverbrechern wird kriminalisiert

Die Empörung der Öffentlichkeit richtet sich gegen die Verurteilung und beabsichtigte Inhaftnahme der 81-Jährigen. Der Staat BRD muss sich von der Öffentlichkeit die Frage stellen lassen: Sollen damit die Gräueltaten der Faschisten nachträglich gutgeheißen werden? Die Verfolgung von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten durch DDR-Justizorgane wird in der BRD heute bezeichnenderweise als Rechtsbeugung qualifiziert und für strafwürdig erklärt, womit man sich eindeutig schützend vor belastete Faschisten stellt. Wir wollen nicht vergessen: Die damaligen Prozesse in Waldheim waren ein Ergebnis der faschistischen Herrschaft in Deutschland und der Verbrechen des Hitlerkrieges gegen die Völker Europas.

(Teil 1) Fortsetzung folgt in GEHEIM 2/2000

Stark gekürzter Beitrag des Verfassers, den er auf der Konferenz »50 Jahre DDR - Für Sozialismus und Frieden - Konferenz zur Verteidigung des revolutionären Erbes« am 20/21. November 1999 in Berlin gehalten hat (veröffentlicht im Dokumentenband »Auferstanden aus Ruinen« der Organisatoren der Konferenz, der Zwei-Monatszeitschrift der PDS Hannover, »offensiv«).Zwischenüberschriften stammen von der GEHEIM-Redaktion. Kurt Andrä ist Mitglied des Arbeitsausschusses des »Solidaritätskomitees für die Opfer der politischen Verfolgung in Deutschland«. Kontaktadresse: Solidaritätskomitee, Postfach 520131, 12591 Berlin, Tel.: 030-9936068. Das »Buch zur Konferenz« kann bestellt werden bei: Redaktion »offensiv«, Berckhusenstraße 13, 30625 Hannover, Tel & Fax: 0511-5294782

Kurt Andrä


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