Logo Geheim 3/1999

Für eine Beschränkung der Geheimdienstpraktiken

Wie halten wir es mit der Geheimdienstkontrolle? Vor dieser Frage stehen sowohl die Bundestags- als auch die Landtagsfraktionen der PDS in jeder neuen Legislaturperiode. »Mitmachen« oder nicht »mitmachen«?

In dieser Debatte ist Ulla Jelpke zuzustimmen, wenn sie meint, »nicht mitmachen ist zu wenig«; jede noch so geringe Möglichkeit an der Kontrolle der Geheimdienste teilzuhaben sollte genutzt werden.1 Doch was ist das »Mehr« beim »Mitmachen«, worin besteht der Gewinn bei einer Mitarbeit in einem solchen parlamentarischen Kontrollgremium?

Für die PDS-Bundestagsfraktion wurde die Frage des »Mitmachens« von den anderen Fraktionen durch die diskriminierende Verweigerung ihrer Mitwirkung im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) in dieser Wahlperiode »negativ« beantwortet. Doch wäre die Zustimmung zu ihrer Mitarbeit wirklich ein - wenn auch geringer - Fortschritt bei der Kontrolle der Geheimdienste im Sinne der Begrenzung oder gar Aufdeckung ihrer Praktiken gewesen?

Über dieses komplizierte Problem muss man sich Klarheit verschaffen. Dabei macht es allerdings wenig Sinn, sich allein darauf zu kaprizieren, weil in diesem Zusammenhang viel wichtigere Fragen zu klären sind. Denn letztlich geht es um das Ziel der PDS, die Geheimdienste abzuschaffen. Und insofern muss vorrangig darüber nachgedacht werden, welche politischen und gesetzgeberischen Initiativen uns diesem Ziel näher bringen.

Roland Claus ist in der Geheimdienstfrage grundsätzlich gegen eine Beteiligung an parlamentarischen Kontrollgremien2, er favorisiert die Kritik von »außen«, wogegen sich Ulla Jelpke wendet. Doch ist das der eigentliche »Knackpunkt«? Soll gegenteilig die Kritik von »innen« favorisiert werden? Wer könnte mit dieser Kritik, die ja außer den Mitgliedern der Kontrollgremien niemand sonst zu Gehör bekommt, überzeugt werden? Etwa die Vertreter von CDU/CSU, SPD und FDP oder gar die anwesenden Geheimdienstler selbst? Was nützt die Bereicherung der Kenntnisse, wenn man sie weder generell für die politische Arbeit noch speziell in Bezug auf den Verfassungsschutz, den BND oder den MAD nutzen kann?

Der õ 353b StGB droht mit bis zu drei Jahren Gefängnis, wenn Abgeordnete ihre Geheimhaltungspflicht verletzen und geheime Informationen aus dem PKG »an einen anderen« gelangen lassen oder »öffentlich« bekannt machen. Wenn also z.B. im PKG über »linksextremistische Bestrebungen« oder den Einsatz »verdeckter Ermittler« in der PDS berichtet wird (möglicherweise habe ich da auch völlig falsche Vorstellungen über die Bereitschaft des Verfassungsschutzes zur Information über »geheime« Aktivitäten, aber aufgrund der Schweigepflicht weiß es ja keiner so genau), dann darf nicht einmal der Parteivorsitzende darüber informiert werden. Falls einem tatsächlich in dem PKG mitgeteilt werden würde, dass und welche geheimdienstlichen Aktivitäten des BND oder des CIA im Vorfeld des Aggressionskrieges gegen Jugoslawien stattgefunden haben, dann könnte es bereits eine strafbare Handlung sein, wenn ein PKG-Mitglied auf einer Friedenskundgebung auf solche auch in der Presse bekanntgegebenen Aktivitäten aufmerksam macht. Insofern wäre hier eine Beteiligung an diesem Kontrollgremium sogar ausgesprochen nachteilig.

Sicherlich ist die Beteiligung von PDS-Abgeordneten in den Ländern Sachsen und Brandenburg an den parlamentarischen Kontrollgremien kein politischer Fehler.

Erfahrungen zu sammeln macht durchaus Sinn. Doch es scheint, dass die Beteiligung nur wenig politischen Gewinn bringt. Sie kann dann sogar in eine Sackgasse führen, wenn diese Beteiligung etwa zum Hauptinhalt der PDS-Politik in der Geheimdienstfrage werden sollte. Die grundsätzlich richtige These von den geringsten parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten, die es zu nutzen gelte, ist an dieser Stelle zu relativieren. Es besteht die Gefahr, dass unter Hinweis auf diese Möglichkeiten andere, wichtige Anforderungen linker Politik gegenüber den Geheimdiensten vernachlässigt werden oder sich gar eine Mentalität der politischen Zurückhaltung ihnen gegenüber entwickelt. Da dies mittlerweile für die PDS eine Frage auch der politischen Praxis ist, wäre es überaus interessant, wenn sich dazu auch Landtagsabgeordnete der PDS aus jenen Bundesländern äußern, in denen die PDS in diesen Kontrollgremien seit Jahren mitarbeitet.

Unser gemeinsames Ziel, die Geheimdienste abzuschaffen, verstehe ich nicht nur als Vision, sondern als konzeptionellen Bezugspunkt für die heutige praktische Politik und für die prinzipielle Kritik an der Rolle der Geheimdienste bei der Deformation unserer politischen Kultur. Die sog. Ämter für Verfassungsschutz, um bei diesem Beispiel zu bleiben, schützen in keiner Weise die Verfassung. Das Grundgesetz, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, müssen verstärkt vor diesen Ämtern geschützt werden (wobei sicherlich Unterschiede etwa zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. dem Landesamt in Berlin einerseits und z.B. dem Landesamt für Verfassungsschutz in Brandenburg andererseits nicht übersehen werden sollten). Gesetzliche Ermächtigungen, in das Brief- und Telefongeheimnis einzugreifen und Bürgerinnen und Bürger innerhalb und außerhalb ihrer Wohnung zu belauschen, haben zu schwerwiegenden massenhaften Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte geführt. »In der Geschichte der Verfasssungsschutzämter gibt es keinen einzigen Fall, wo durch Sammeln und Auswerten von Informationen eine Gefährdung der Republik erkannt worden wäre.«3 Die ca. 5000 dem »Dienstgeheimnis« verpflichteten hauptamtlichen Mitarbeiter und offenbar zehntausende V-Leute (Anfang der achtziger Jahre wurde ihre Zahl einmal mit 31.000 angegeben4) observieren Personen, Vereinigungen, Parteien und Publikationsorgane. Verdeckte Ermittler und technische Mittel wie »Wanzen« werden eingesetzt; Telefone werden überwacht. Zusammen mit der Polizei fotografieren sie Demonstranten, hören über Richtmikrofone Gespräche ab, speichern Autonummern. Den jährlich von den »Ämtern« verfassten Verfassungsschutzberichte obliegt es, Organisationen und Parteien - unter ihnen bekanntlich auch die PDS - »gleichsam mit amtlicher Autorität außerhalb des Legitimationsspektrums der Demokratie zu stellen«5. Politisches Denken in der Tradition von Marx oder auch vom Grundgesetz garantierte Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen werden als verfassungsfeindlich etikettiert. Der Inlandgeheimdienst der Bundesrepublik hat so die Rolle einer Art offiziellen Inquisitionsbehörde übernommen. Er greift in einem Maße in die freie politische Willensbildung und in die Persönlichkeitsrechte ein wie in keinem anderen demokratischen Verfassungsstaat. Es geht nicht um Verfassungsschutz, sondern um traditionellen Staatsschutz im schlechten Sinne des Wortes, nämlich »im Sinne der Verteidigung des tradierten politischen und sozialen Status quo«6.

Die PDS muss sich angesichts dieser Situation - die hinsichtlich der Rolle der anderen Geheimdienste zu ergänzen wäre - auf ein Konzept politischer und parlamentarischer Initiativen verständigen, das bessere Kontrollmöglichkeiten und Abwehrrechte vor allem für die Bürgerinnen und Bürger beinhaltet und auf die gesetzgeberische Unterbindung bzw. eine stärkere rechtsstaatliche Kontrolle von geheimdienstlichen Praktiken abzielt, die in besonders eklatanter Weise Grundrechte verletzen.

Politische und parlamentarische Initiativen halte ich vor allem in folgender Richtung für wichtig:

Die PDS sollte Konferenzen oder Projekte für einen alternativen, wirklichen Verfassungsschutz unterstützen, da Bemühungen um eine Einschränkung der Geheimdienstpraktiken nur dann eine reale Chance haben, wenn es gelingt, die Öffentlichkeit wirksam für den Schutz der Grundrechte zu mobilisieren.

Die Parlamentsfraktionen der PDS müssen wie bisher überall dort - wie jüngst in Thüringen7 -, wo gravierende Grundrechtsverletzungen durch den Verfassungsschutz bekannt werden, ihre parlamentarischen Rechte, bis hin zur Forderung nach dem Einsatz eines Untersuchungsausschusses, nutzen, um diese Praktiken aufzudecken.

Erforderlich ist eine entschiedene Erweiterung der Kontrollrechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Verfassungsschutz. Das Recht auf Akteneinsicht muss ebenso gestärkt werden wie die Befugnisse der Beauftragten für Datenschutz gegenüber den Geheimdiensten, nicht zuletzt, um den Bürgerinnen und Bürgern bei Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte beistehen zu können.

Die in den letzten Jahren und Jahrzehnten erfolgten Zugriffe von Verfassungsschutz, Polizei und BND auf Persönlichkeitsrechte müssen rückgängig gemacht bzw. einer möglichst wirksamen rechtsstaatlichen Kontrolle unterworfen werden.

Die von den sog. Verfassungsschutzämtern gegenüber demokratischen Organisationen, Parteien und Persönlichkeiten praktizierte Denunziationsmacht, die in Gestalt der Verfassungsschutzberichte zum Ausdruck kommt, ist zu beseitigen.

Evelyn Kenzler, Dr. jur., MdB und rechtspolitische Sprecherin der PDS im Bundestag,

1 U. Jelpke, Nicht mitmachen ist zu wenig, Geheim, 2/1999, S. 4 f.
2 R. Claus, Geheimdienste abschaffen, nicht kontrollieren, Geheim, 4/1999, S. 4 f.
3 E. Schmähling, Verfassungsschutz: Ziemlich unsinnig und ziemlich rechtswidrig und ziemlich deutsch, ND vom 21.11.1998.
4 Vgl. M. Kutscha/N. Paech (Hrsg.), Im Staat der »inneren Sicherheit«, Frankfurt a.M. 1981, S. 70.
5 M. Kutscha, »Innere Sicherheit« - für die Bürger?, in: M. Kutscha/N. Paech (Hrsg.), a.a.O., S. 16.
6 W. Abendroth, Wer schützt die Verfassung?, ebenda, S. 172.
7 vgl. im Heft S. 12

Evelyn Kenzler


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