Logo Geheim 2/1999

NATO, Krieg und Kosovo
Ein notwendiges Update

Manchem wird es als etwas ungewöhnlich erscheinen, daß wir uns entschlossen haben, neben anderen Texten, einen Aufsatz des inzwischen leider verstorbenen US-amerikanischen Politologen Sean Gervasi im Rahmen unserer Veröffentlichungen zum NATO-Krieg gegen Jugoslawien (nur leicht gekürzt) abzudrucken, den wir bereits in GEHEIM Nr.2/96 veröffentlicht hatten. Wir könnten uns die Antwort auf diese unausgesprochene Frage ganz leicht machen: Der Beitrag Gervasis war eben so gut, daß er angesichts der aktuellen Situation (immer noch) paßt. Wozu das Rad neu erfinden?! Eine solche Antwort, so richtig sie auch sein mag, trifft jedoch unseres Erachtens nicht ganz den Kern unserer Entscheidung. So leicht haben wir es uns nicht gemacht - wollten wir auch nicht. Unserer Meinung nach ist Sean Gervasis Artikel nämlich ein Beleg dafür, daß sich mit einer wissenschaftlichen Analyse gesellschaftliche und historische Prozesse anschaulich und verständlich darlegen lassen; so kann eben ein Beitrag aus dem Jahre 1996 auch 1999 noch aktuell und in seinen Schlußfolgerungen korrekt sein! Und diese Wissenschaftlichkeit ist es, die zu oft den Debatten (nicht nur) der bundesdeutschen Linken abgeht ...

Wir, die Redaktion, aber sicher auch unsere Leser, haben immer noch die Ohren voll der gebetsmühlenartig abgegebenen Erklärungen - untermalt mit emotionsgeladenen Bildern von aus dem Kosovo geflüchteten Albanern -, die NATO führe ihren Krieg gegen Jugoslawien aus »rein humanitären Erwägungen« der »Verteidigung der Menschenrechte« in Europa wegen. Kaum ein Medium entzog sich dieser Argumentation, die Bilder zur Untermauerung dieser Rechtfertigung variierten ein wenig, die begleitenden Kommentare waren mehr oder weniger aggressiv, die Kriegspropaganda mehr oder weniger plump, der Tenor jedoch stets der gleiche: hier die hehren Menschenrechtsstreiter der NATO, dort der »Diktator in Belgrad«. Propaganda eben ...

Sie verfolgt einen doppelten oder dreifachen Zweck: das eigene Handeln zu legitimieren, die Menschen in den NATO-Ländern von der angeblichen Notwenigkeit der Aggression zu »überzeugen«, sie für die Ziele des Aggressors zu mobilisieren, den offenen Bruch des Völkerrechts und die kaum kaschierte Hinrichtung der UNO zu verschleiern, vor allem jedoch auch die tatsächlichen Ziele des Krieges gegen Jugoslawien zu vernebeln. Waren sie im Golfkrieg gegen den Irak leichter zu durchschauen (»Blut für Öl!«), so haben auch im »Fall Jugoslawien« die Motive der Täter weniger mit Menschenrechten als mit handfesten geostrategischen, militärischen wie ökonomischen Interessen zu tun. Angereichert wird die komplexe Situation durch zunehmende Interessenskonflikte mit entsprechendem komplementären Gerangel unter den Hauptakteuren der NATO-Aggression, der »einzigen Weltmacht USA« (so der US-Stratege Zbigniew Brzezinski) unterstützt vom treuen Vasallen Großbritannien und Europa unter bundesdeutscher Führung. »High noon« auf jeden Fall für alle, die sich, aus welchen Gründen auch immer, und wenn auch nur begrenzt, den Regeln der »Neuen Weltordnung« widersetzen wollen ...

Das »Zentralorgan der Herrschenden in diesem unseren Lande«, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, brachte es wieder einmal in ihrer Kommentarspalte am 5.6.99 auf den Punkt: »Soll der Krieg um das Kosovo historisch einen Sinn bekommen, muß er eine Epochenwende markieren - für Europa, für Rußland, für die transatlantische Allianz, vor allem auch für Serbien. Nach der Niederlage im Kosovo-Krieg muß in Serbien die seit 1989 überfällige demokratische und marktwirtschaftliche Revolution stattfinden. Ob dies auf friedlichem Wege, durch freie Wahlen, möglich sein kann, bleibt zu bezweifeln. (...) Erst wenn die Ära Milosevic beendet, wenn aus der serbischen 'Demokratur' wirkliche Demokratie wird, kann es Stabilität auf dem Balkan und ein europäisches Serbien geben.« Dementsprechend kann die Tageszeitung »junge welt«, gestützt auf Berichte der Nachrichtenagenturen afp und ap, am 19.06.99 bereits vermelden: »Unterdessen setzen die USA die Infiltration Jugoslawiens fort. Der Balkanbeauftragte der USA, Robert Gelbard, hat sich US-Angaben zufolge mit politischen Gegnern des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic getroffen. Ein hochrangiger US-Vertreter sagte am späten Donnerstag in Washington, Gelbhard habe am vergangenen Wochenende mit Oppositionsführern über einen 'gewaltfreien Führungswechsel' in Jugoslawien gesprochen.« Daß diesem Ziel bereits einige militärische Aspekte der Kriegführung gegen Jugoslawien während des Dauerbombardementes (auch) dienten, beschreibt der US-amerikanische Kommentator William Pfaff (»Die Stimme seines Herrn...«) in einem Kommentar (Überschrift: »Das einzige, was Milosevic verhandeln kann, sind die Bedingungen für seine Kapitulation!«) in der »International Herald Tribune« am 31.05.99: »(...) Serbien seiner Elektrizitätsversorgung zu berauben und seine Wasserversorgung, Kommunikationseinrichtungen sowie zivile Transporteinrichtungen zu zerschlagen, sind Teil des Programms.« Von wegen »Menschenrechte« und Bombardierung »ausschließlich militärischer Ziele«... Der herbeizubombende »Kolateralschaden« war eben von Beginn an entweder ein sofortiger Machtwechsel in Belgrad oder aber eine derartige Schwächung der Regierung Milosevic, daß ein Regimewechsel in greifbare Nähe rückt. Das »internationale Protektorat Kosovo« (Originalton »International Herald Tribune« vom 31.05.99), das zur Zeit mit NATO-Besatzungstruppen geschaffen wird, soll ebenfalls Teil dieses Programms werden. Welche Rolle dabei die zuletzt von den USA kontrollierte UCK spielen wird, entscheidet sich gerade, ist jedoch nun in strategischer Hinsicht von letztlich untergeordneter Bedeutung.

Der Krieg gegen Jugoslawien war ein wichtiger Testlauf für die mit der Veröffentlichung ihres neuen »Grundsatzprogramms« nun auch offizielle NATO-Strategie. Diesem Testlauf vorausgegangen war die NATO-Osterweiterung um Polen, Tschechien und Ungarn. »'Die Vereinigten Staaten' , betonte Präsident Bill Clinton jüngst, 'haben die Chance und die ernste Pflicht, eine friedlichere, wohlhabendere und demokratischere Welt für das 21. Jahrhundert zu formen.' Auf die neue Strategie der NATO bezogen, die Ende April beim Gipfeltreffen zum 50. Jahrestag des Nordatlantikpakts in Washington verabschiedet werden soll, forderte er 'eine NATO, die nicht nur eine Aggression gegen ihr eigenes Territorium abwehren kann, sondern auch Anfechtungen unserer Sicherheit jenseits ihres Gebietes angeht.' (...) 'Wir sind die Macht, ohne die nichts geht', frohlockt Außenministerin Madeleine Albright.« («stern«, 31.3.1999). So heißt es dann auch im verabschiedeten neuen NATO-Dokument: »Die neue NATO wird größerer, fähiger und flexibler sein; sie bleibt der kollektiven Verteidigung verpflichtet und wird dazu befähigt, neue Missionen zu unternehmen, darunter Konfliktprävention und die aktive Teilhabe an Operationen des Krisenmanagements.« (zit. nach: »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 27.4.99). Nun ist es auch offiziell: die NATO als weltweites Interventionsinstrumentarium unter ausdrücklicher Beibehaltung der atomaren Erstschlagdoktrin!

Nach wie vor steht auch die NATO immer noch unter der scheinbar erdrückenden Dominanz der Vereinigten Staaten, doch es rüttelt bereits im Gebälk. Europa (unter Führung der BRD natürlich!) strebt danach, sich eine Position schrittweise zu erarbeiten, von der aus es die Herausforderung der US-Dominanz angehen kann. Erkannt ist die »Problemlage« auf jeden Fall: »Der Kosovo-Krieg hat die politische Schwäche Europas enthüllt und eine neuerliche Diskussion über den amerikanischen Einfluß in der Welt bewirkt. Der alte Kontinent wird vorerst nicht aus dem Schatten der einzigen verbliebenen Weltmacht Amerika heraustreten (...).

Dieses Ungleichgewicht der Kräfte, gepaart mit unterschiedlichen Interessenlagen Amerikas und Europas, muß zwangsläufig Konflikte nach sich ziehen. Die Durchsetzung militärisch-politischer Ziele ist dabei nur ein Aspekt. Kritik entzündet sich auch daran, daß Amerika die von ihm selbst mitgeschaffenen globalen Institutionen für eigene Interessen nutzt, etwa den Weltwährungsfonds mit den Hilfsaktionen in Lateinamerika oder Asien. (...) Spannungen ergeben sich auch aus dem europäischen Wunsch, nach Etablierung der Währungsunion nun Vertreter der Europäischen Zentralbank oder der Kommission in internationale Gremien zu entsenden. Ebenso sind Auseinandersetzungen programmiert, wenn es einmal um eine Aufbauhilfe für Jugoslawien und einen wirtschaftlichen Stabilisierungsplan für den Balkan gehen wird. (...) Im Kern geht es bei all diesen Reibungen um eines: den robusten Führungsanspruch Amerikas.(...)

Die größere Anstrengung liegt freilich bei Europa, wenn es als gleichberechtigter Partner, als weltpolitische Kraft akzeptiert werden will. Die Währungsunion ist in dieser Beziehung ein wichtiger Schritt gewesen, weil sie politische Einigungszwänge nach sich zieht und eine Weltwährung etabliert. (...) Auch aus dem Kosovo-Krieg könnte paradoxerweise ein weiterer Anstoß ein weiterer Anstoß zur Stabilisierung Europas erwachsen - wenn die Schaffung einer europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsidentität vorankäme und mit einer beschleunigten Ost-Erweiterung der EU der wirtschaftliche Aufschwung Mitteleuropas gefördert würde.

Die politisch-militärische Stärkung Europas mag im Augenblick im Vordergrund stehen, wenn es um das Kräftegleichgewicht zu Amerika geht. Auf lange Sicht wird aber nach dem Rathenau-Wort die Wirtschaft das Schicksal sein, deren Potential auch in Amerika die Voraussetzung seiner militärisch-technischen Überlegenheit ist. Nur wenn es Europa gelingt, seine wirtschaftliche Dynamik wiederzugewinnen, wird sich die Weltmachtstellung Amerikas weiter relativieren, wird der alte Kontinent selbstbewußt aus dem Schatten seines jüngeren Konkurrenten heraustreten können.« («Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 26.5.99).

Damit wurde im Krieg gegen Jugoslawien nicht nur die »neue« NATO-Strategie mit all ihren Konsequenzen durchexerziert, im Rahmen der »Neu-Ordnung« des Balkan nach westlichen ökonomischen und geostrategischen Vorgaben und Interessen werden auch die wachsenden Rivalitäten zwischen den USA und Europa deutlich werden.

Fakt ist ebenfalls: die Europäer rüsten bereist nach, um für diese und andere Auseinandersetzungen mit der »einzig verbliebenen Weltmacht« gewappneter zu sein. In der »Erklärung von Toulouse« des deutsch-französischen Gipfels vom Ende Mai diesen Jahres wird betont, daß die (militärische) »Westeuropäische Union« (WEU) gestärkt werden und in den Einigungsprozeß der EU eingebunden werden müsse. Dies solle auch durch die Wiederbelebung des deutsch-französischen Eurokorps geschehen. Kurz danach wurde bekannt, daß NATO-Generalsekretär Solana nach Ende seines Jobs im Brüsseler NATO-Hauptquartier Ende diesen Jahres nicht arbeitslos werden wird. Vom Beginn des nächsten Jahres an wird er europäischer »Hoher Beauftragter« für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU werden. Seine Aufgabe wird es demnach sein, dieses Kernelement europäischer Politik und Einigungsbestrebungen künftig zu harmonisieren und schlagkräftiger zu machen. Damit sind weitere Konflikte mit den USA voraussehbar.

Insgesamt wurden also die Elemente der sogenannten »Neuen Weltordnung« besonders auch mit dem Krieg gegen Jugoslawien deutlicher, die Rolle der Hauptakteure dieser Epoche sowie ihre unterschiedliche und zunehmend widersprüchlich-konfrontative Interessenlage nuancierter und klarer. Wir, die Redaktion von GEHEIM, haben uns zur Aufgabe gestellt, in den kommenden Ausgaben unseres Magazins die Strategien dieser »Neuen Weltordnung« stärker zu beleuchten, die unterschiedlichen Interessen der wichtigsten »Spieler« auf diesem Feld sowie deren Schachzüge zu enthüllen, denn in diesem »Spiel« werden wir alle bedroht - so es die Herrschenden weiter unangefochten »spielen« können ...

Michael Opperskalski


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