Logo Geheim 2/1999

Kampf ums Baskenland: Nächste Runde

Am 20. März 1999 fanden Beamte der Polizei des autonomen Baskenlandes, der Ertzaintza, in Nordspanien auf einem Berg nahe der Industriestadt und ETA-Hochburg Renteria eine männliche Leiche, Hände und Gesicht verschrammt, in der Schläfe eine Schußwunde. Neben dem Toten lag eine Pistole 9mm Parabellum.

Der Tote

Die Ertzainak, so heißen die Polizisten auf baskisch, brauchten fast einen Tag, um die Identität des Toten zu klären. Sie fanden heraus, daß es sich um den 29jährigen José Luis Geresta Mújica aus dem Dörfchen Zizurkil handelte. Doch im Fahndungscomputer stand noch mehr: Geresta wurde dringend verdächtigt, dem ETA-Kommando »Donosti«1 einen Wagen für ein Attentat geliehen zu haben. Im Februar 1996 hatten Etarras den sozialistischen Politiker und Rechtsanwalt Fernando Múgica Herzog erschossen. Dabei war der PKW der baskischen Polizei aufgefallen und hatte Verdacht erregt. Bei einer Kontrolle schossen sich die Insassen, mutmaßliche ETA-Mitglieder, den Weg frei. Für Geresta begann an jenem Tag der Weg in den Untergrund. Spanischen Presseberichten zufolge, war Geresta bereits seit 1995 als »Legaler«, also unter Beibehaltung seiner bürgerlichen Existenz, für die ETA aktiv.2 Von nun an gehörte zu den »Liberados«, wie die ETA ihre Illegalen nennt.3

In der letzten Zeit hatte das Kommando »Donosti« mehrfach Verluste hinnehmen müssen. Zuletzt hatte die spanische Polizei am 9. März die Verhaftung zweier mutmaßlicher Angehöriger von »Donosti« als Erfolg gemeldet. Nach dem Fund von Gerestas Leiche verwiesen spanische Polizeikreise auf die bedrängte Lage des Kommandos und boten einen Selbstmord aus Verzweiflung als Todesursache an. Die spanischen Medien übernahmen diese Theorie. Im Baskenland erhoben sich Gegenstimmen. Aufgrund der fragwürdigen Umstände äußerten sie den Verdacht eines neuerlichen Staatsverbrechens: Gerestas falsche Ausweise tauchten erst einige Tage nach dem Fund der Leiche auf; Lage des Toten, Fundort der Waffe und Schußkanal lassen sich nicht in ein widerspruchsfreies Verhältnis zueinander bringen; die Obduktion ergab, daß Geresta kurz vor oder nach seinem Tod ein Zahn gewaltsam entfernt worden war - zusammen mit den Schrammen an Gesicht und Händen Fragen genug zur Selbstmordthese.

Die Umstände von Gerestas Tod mögen unklar sein, aber sie sind weder einzigartig noch unerklärlich. 1995 starb Xabier Kalparsoro nach einem Sturz aus dem Fenster eines Polizeikommissariats. 1997 verschwand Josu Zabala spurlos. Zwei Tage später fand man seine Leiche. Beide hatten wie Geresta zur ETA gehört und vor ihrem Tod engen Kontakt zu einem Kommando der Organisation.

Die politische Provokation

Bei Gerestas Tod fällt die zeitliche Nähe zu einem wichtigen politischen Ereignis auf. An jenem 20. März versammelten sich, laut Polizeiangaben, 60000 Menschen in Bilbao, um unter dem Motto »Laßt das Baskenland in Frieden. Demokratie« für die Fortsetzung des Friedensprozesses zu demonstrieren.

Im September 1998 hatte ETA einen einseitigen und bedingungslosen Waffenstillstand ausgerufen.4 Der Schachzug überraschte die spanische Regierung unter Führung des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar von der Partido Popular (Volkspartei). Erst im Januar gestand sie öffentlich ein, im Baskenland gäbe es so etwas wie einen »Friedensprozeß«, und Regierungsvertreter hätten sich mit ETA-Emmissären getroffen. Aznar versuchte so, verlorenes Terrain wiederzugewinnen und gleichzeitig die spanische Bevölkerung sachte auf einen Kurswechsel in der Betrachtung der ETA vorzubereiten. Die nationalbaskischen Parteien interpretierten Aznars Manöver als Wahltaktik und gingen ihren Weg hin zu einer friedlichen Lösung des Konflikts weiter - ohne die beiden nationalspanischen Parteien PP und PSOE.5

Das Spielfeld heißt Europa

Am 6. Februar 1999 versammelten sich in Irunea-Pamplona, der ideologischen Hauptstadt eines vereinten Baskenlandes, mehrere hundert Bürgermeister und Gemeindevertreter von beiden Seiten der Pyrenäengrenze. Ihr Ziel war es, auf kommunaler Ebene eine grenzüberschreitende baskische Einrichtung zu schaffen, als die Vorstufe einer grenzüberschreitenden baskischen Region innerhalb Europas. In der Erklärung heißt es auch, diese Institution sei »in einem internationalen Umfeld und innerhalb einer sich im Aufbau befindlichen Europäischen Union entstanden, mit dem Wunsch die Existenz des gesamten Baskenlandes6 auf die internationale Ebene zu projizieren und als solches an der Gestaltung Europas und seiner Institutionen teilzunehmen«.7

Die Reaktionen der betroffenen Staaten Spanien und Frankreich ließen nicht auf sich warten. Paris und Madrid führten einige spektakuläre Polizeiaktion gegen vermeintliche und tatsächliche ETA-Mitglieder in beiden Ländern durch. Im südlichen Baskenland verhaftete die Guardia Zivil auch den ehemaligen Sprecher von Herri Batasuna8 in Paris, Mikel Egibar, der während seines Verhörs mehrmals im Krankenhaus ärztlich versorgt werden mußte.

Die Polizeiaktionen fielen in den Europa- und Kommunalwahlkampf in Spanien, Frankreich und dem Baskenland. Die Wahlen endeten mit dem einem überwältigenden Erfolg der nationalbaskischen Parteien. Sie errangen die Mehrheit in 75 Prozent aller Kommunen in der »Autonomen Baskischen Gemeinschaft«, unter Einbeziehung von Navarra noch in 49 Prozent, allerdings nur in einer der vier wichtigen Großstädte.9

Die neue Lagerbildung in Nationalbasken einerseits und Nationalspanier andererseits ist unübersehbar und dient der Madrider Presse gerne, um vor jugoslawischen Zuständen zu warnen. Aber HB-Sprecher Arnaldo Otegi überraschte mit einem neuen Schachzug der ETA nahestehenden Partei, als er Koalitionen mit der PSOE nicht ausschloß. Die Unabhängigkeit des Baskenlandes könne nicht nur auf 51 Prozent Zustimmung beruhen, meinte Otegi und fügte hinzu: »Das wäre politischer Selbstmord.«10

Da im Frühjahr 2000 Parlamentswahlen anstehen, richten sich die Schritte von PP und PSOE nach wahltaktischen Erwägungen. Neben dem Verhalten der Madrider Parteien hängt die weitere Entwicklung auch vom spanischen Militär ab, dem immer noch wichtigen Machtfaktor in der spanischen Innenpolitik. Gemäß Verfassung sind die Streitkräfte die Garanten der »unauflösbaren Einheit« Spaniens.

Die politische Konstellation ähnelt der verfassungsrechtlichen Übergangsphase von der Franco-Diktatur zur konstitutionellen Monarchie (1975-78). Dem sich wandelnden frankistischen System stand im Baskenland eine nationale, wenn auch ideologisch divergierende Opposition gegenüber. Die Putschgelüste des frankistischen Militärapparates versuchten König, Regierung und die EG-Staaten dadurch zu neutralisieren, daß sie den baldigen Beitritt Spaniens zur NATO in Aussicht stellten. Zwar gilt die Putschgefahr als gebannt, aber trotzdem muß den Militärs eine notwendige Verfassungsänderung erst noch schmackhaft gemacht werden. Am 4. Juni 1999 verkündete Spaniens konservativer Ministerpräsident José María Aznar auf dem Kölner EU-Gipfel, daß ein spanischer General den Oberbefehl über das Kommando des Eurokorps übernehmen und ein zweiter Spanier künftig den Generalstab kommandieren werde.11

Auf Gerestas Tod ist keine Vergeltungsaktion der ETA erfolgt, und der Friedensprozeß geht weiter. Das läßt hoffen.

1 ETA: Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit, 1958 gegründete Organisation, die ein von Spanien und Frankreich unabhängiges Baskenland erkämpfen will. Donostia ist der baskische Name für die Stadt San Sebastian.

2 Gurruchaga, Carmen. »Liberado« a la fuerza. EL MUNDO, 22.3.1999.

3 In deutschen Presseberichten heißt es an dieser Stelle schon mal »Freizeitterrorist«.

4 s. Niebel, Ingo. Das Baskenland sucht einen Weg aus dem Labyrinth. GEHEIM (1998)3: 22-24.

5 PSOE: Partido Socialista Oberero Español, Spanische Sozialistische Arbeiterpartei.

6 Im spanischen Text steht »Euskal Herria«,«Baskenland« meint aber die Gesamtheit der auf spanischen und französischem Territorium befindlichen sieben baskischen Länder.

7 s. Erklärung »Asamblea de Alcaldes y Concejales de Euskal Herria«(Versammlung der Bürgermeister und Gemeinderäte des gesamten Baskenlandes) in Irunea-Pamplona vom 6.2.1999 in Pressemitteilung von Herri Batasuna, 19.2.1999.

8 Herri Batasuna, Volkseinheit. Parteienbündnis, das seit 1998 unter dem Namen Euskal Herritarrok (EH: Wir, die baskischen Bürger) firmiert.

9 Die Aufschlüsselung ist notwendig, weil das baskische Land Navarra nicht zur Comunidad Autónoma Vasca (CAV), der autonomen baskischen Gemeinschaft, gehört.

10 s. Otegi reconoce que la independencia exige »una adhesión muy mayoritaria«. EL PAÖS, 16.6.1999. Eine ähnliche Taktik wie EH verfolgt auch der PNV. Die nationalbaskischen Parteien, die christdemokratische Partido Nacionalista Vasco (PNV), die sozialdemokratische Eusko Alkartasuna (EA, Baskische Solidarität) und EH erhielten zusammen 51 Prozent der Stimmen bei der letzten Landtagswahl im Oktober 1998.

11 Spanische Elite-Einheiten sind schon seit geraumer Zeit in Bosnien-Herzegowina im Einsatz und sollen auch bald im Kosovo eingesetzt werden.

Ingo Niebel


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