Logo Geheim 2/1999

Der Staat läßt morden
Politik und Terrorismus - heimliche Verbündete

Klaus Kellmann: »Der Staat läßt morden. Politik und Terrorismus - heimliche Verbündete«, Henschel Verlag Berlin 1999, DM 39,90.

Am 9. Mai 1978 endet im Zentrum Roms das 55tägigige Entführungsdrama um Aldo Moro. Die Leiche des langjährigen italienischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Democracia Christiana (DC) wird im Kofferraum eines roten Renault 4 gefunden. Verantwortung für Entführung und Ermordung des Spitzenpolitikers übernehmen die Roten Brigaden. Doch an deren Alleintäterschaft bestehen seit mehr als zwei Jahrzehnten erhebliche Zweifel.

In den Wochen und Monaten vor der Geiselnahme hatte Moro intensiv daran gearbeitet, die Kommunistische Partei Italiens (KPI) in die Regierungsarbeit des Landes mit einzubinden. Der sich anbahnende »Historische Kompromiß« war für zahlreiche »kalte Krieger« in aller Welt ein Alptraum. Kellmann: »Moro wurde geopfert, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Was sich (...) 1978 in Rom abspielte, war das Werk in- und ausländischer Geheimdienste, allen voran die amerikanische CIA, die links- und rechtsterroristische Seilschaften und Kolonnen, rechtsradikale Kreise, geheime, verbotene Freimaurerlogen, kriminelle Banden und alle Arme der italienischen für ihre Zwecke nutzen und die Dreckarbeit machen ließen. Moros eigene »Parteifreunde«, in erster Linie Giulio Andreotti, waren Mitwisser und Mittäter, wenn nicht Anstifter. Es war der eigene Staat, der Moro ermorden ließ.«

Die Anschuldigungen sind nicht neu und auch Kellmann kann keinen endgültigen gerichtsverwertbaren Beweis für die Involvierung der o.g erbringen. Aber seinem Buch merkt man 15 Jahre Recherche an. Es ist eine hervorragende Zusammenfassung über die komplexen Ereignisse, Akteure und Hintergründe. Fundiert, gut strukturiert und anschaulich geschrieben. Auch ohne Vorkenntnisse lassen sich die knapp 250 Seiten leicht lesen. Der Überblick bleibt trotz Spannung und detaillierter Schilderung immer erhalten. Kompliment!

Besonders interessant in Kellmanns Buch ist eine Episode: 1973 war durch das Eingreifen des Mossad in Rom ein Anschlag auf eine im Landeanflug befindliche israelische Linienflugmaschine gescheitert. An Bord: die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Die drei erfolglosen palästinensischen Attentäter wurden von den italienischen Behörden verhaftet und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch bereits ein Jahr später, nachdem die palästinensische Organisation »Schwarzer September« mit Anschlägen gegen Italien gedroht hatte, wurden die Verurteilten ins Ausland abgeschoben. Damit so Kellmann, habe sich Moro einen »erbitterten Feind« geschaffen, den Staat Israel. Als die Entführer Mitte April '78 ihr Versteck wechseln, sollen die Israelis das zweite Geiselversteck zur Verfügung gestellt haben: »Das ,Volksgefängnis' [von Moro, C.H.] genoß das, was alle Volksvertreter auf dieser Welt genießen: strikte Immunität. Nicht einmal der erste Untersuchungsausschuß und die später über die Mörder zu Gericht sitzenden Staatsanwälte haben sich auch nur mit einem Sterbenswörtchen an diesen schlichtweg unglaublichen Sachverhalt herangetraut, weil er für die Unabhängigkeit und Souveränität einer Nation, ihre Ehre und ihren Stolz einfach zu entwürdigend war, nämlich daß ihr langjähriger Ministerpräsident in den Kellern der israelischen Botschaft in der Via Michele Mercati lag, daß alle Entscheidenden ,da oben' es wußten und keiner etwas tat.«

C.H.


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