Logo Geheim 2/1999

Hochsicherheit als EXPOnat

»Twipsy«, das bunte Maskottchen der Expo 2000, wird in eine Polizeiuniform gesteckt, mit Dienstmütze und Stern, und geht mit auf Streife. Die Polizei greift also schon zur unfreiwilligen Reserve. Das zwangsrekrutierte Kerlchen sei genau der richtige Partner für eine »moderne, demokratische, weltoffene und leistungsfähige Polizei«, meint der hannoversche Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa, denn: »Twipsy ist freundlich, flexibel, sehr beweglich, immer in Aktion und hat seinen Blick in die Zukunft gerichtet. So wollen wir uns als Polizei zur Expo 2000 einem Millionenpublikum präsentieren.« Nur dumm, daß das Maskottchen ein bißchen aussieht wie ein Gangster: bärbeißig grinsend (oder zähnefletschend?), mit Augenbinde und einer übergroßen dunklen Pranke.

Apropos Gangster: Die Polizei geht davon aus, daß die geplante Weltausstellung »wie ein Magnet« auf potentielle Straftäter wirken wird. Der niedersächsische Justizminister prognostiziert einen »gefährlichen Kriminalitätstourismus«. Die Deutsche Polizeigewerkschaft erwartet »Heerscharen von Straftätern« und sieht in der Weltausstellung die »größte Herausforderung für die Polizei in der Geschichte der Bundesrepublik«. Schon prophezeit die Polizeilobby, daß die ohnehin überlastete Justiz mit der zusätzlichen »Springflut« von Gerichtsverhandlungen nicht fertig werde; für Tausende von Dieben werde es keine Haftplätze geben. Die lancierten Zahlen der Expo-Straftäter und -Straftaten gehen in die Hunderttausende: Unter anderem sei mit »bestens organisierten, hochspezialisierten Taschendieb-Banden« aus Ost- und Südeuropa sowie mit einer sprunghaften Zunahme der Prostitution und der damit verbundenen »Rotlicht«-Kriminalität zu rechnen. Auch Terroranschläge werden nicht ausgeschlossen, und das Bundeskriminalamt warnt vor einer Welle der Gewalt gegen Unternehmen, die mit der Expo kooperieren.

Die Weltausstellung, die vom 1. Juni bis 31. Oktober 2000 in Hannover stattfinden wird, bringt zweifellos allerlei Probleme für Sicherheit und Ordnung mit sich. Doch liest man diese Zahlen und Prophezeiungen, so drängt sich der Eindruck auf, als müßten wir die Weltausstellung als ein kriminogenes, ja kriminelles Unternehmen gigantischen Ausmaßes fürchten - ein internationales Festival der Kriminellen aller Länder. Glaubt man an diese Schreckensvision, dann müßte, um das Problem kriminalpräventiv zu lösen, die Expo schleunigst abgesagt werden. Expobedingte Kriminalitätsanreize könnten auf diese Weise unterbunden werden. Anreize und Expo gehören nun einmal zusammen - und Eigentumskriminalität ist ein Wirtschaftsfaktor unter anderen.

Staatliche und private »Sicherheitsproduktion« im übrigen auch: Längst werden die Umrisse des Sicherheitskonzeptes erkennbar, mit dem auf diese »größte Herausforderung« reagiert werden soll. Die Vorbereitungen bei Polizei, Geheimdiensten, Justiz, Strafvollzug und privatem Sicherheitsgewerbe laufen auf Hochtouren. Hannovers Polizeipräsident appellierte an alle niedersächsischen Polizisten, bei der Expo mitzuwirken. Fast 6000 zusätzliche Beamte werden benötigt - und unzählige private Sicherheitskräfte kommen hinzu. 2000 Polizisten des Bundes und weitere aus anderen Bundesländern werden die niedersächsischen Kollegen ebenso unterstützen wie hunderte Gast-Polizisten aus 19 Staaten der EU, aus den GUS-Staaten, USA, Japan, Polen und Tschechien. Englische Bobbys, französische Flics, amerikanische Cops und italienische Carabinieri in ihren landeseigenen Uniformen sollen polizeilichen Internationalismus demonstrieren. Sie müssen einen Schnellkurs in deutschem Recht absolvieren und unbewaffnet deutsch sprechen. Dann dürfen sie auch Platzverweise und Aufenthaltsverbote verhängen.

Über sechs Monate wird in Hannover die Sicherheitsstufe 1, eine Art von Ausnahmezustand, herrschen. Alle Sicherheitskräfte bereiten sich auf die prognostizierten »expobedingten Kriminalitätssteigerungen« vor. Ein Gefängnis mit 185 zusätzlichen Haftplätzen wird am Flughafen Hannover-Langenhagen eingerichtet; Kosten: 17,85 Millionen Mark. Staatsgäste gilt es zu beschützen, ebenso zahlreiche Objekte und Einzelveranstaltungen. Verkehrslenkung und Absperrmaßnahmen sind zwar übliche Polizeiaufgaben, können aber bei einem geschätzten Andrang von 300 000 Besuchern pro Tag problematisch werden (gemessen an der Einwohnerzahl wären das in Berlin zwei Millionen Besucher täglich). Expo-Personal wird überprüft, ob es die Sicherheit gefährdet. Anti-Expo-Gruppen (s. OSSIETZKY 7/99, S. 226) und politische Protestaktionen kündigen sich an, die im Zaum gehalten werden sollen. Die Polizei ist auch ermächtigt, Angehörige sozialer Minderheiten, Obdachlose, Bettler, Drogenabhängige schon wegen geringer Ordnungsverstöße aus der Stadt zu verdrängen. Soeben ist ein Kooperationspakt zwischen Niedersachsen und dem Bundesgrenzschutz geschlossen worden, der den Namen »Sicherheitspartnerschaft« trägt.

Die Kosten für die geplanten Sicherheitsmaßnahmen sind immens. Die Landesregierung rechnet mit insgesamt 65 Millionen Mark expobedingten Ausgaben der niedersächsischen Polizei in den Haushaltsjahren 1999 und 2000. Für die laufenden Bezüge der zur Expo herangezogenen Verstärkungskräfte aus den anderen Bundesländern wird mit über 130 Millionen Mark gerechnet. Weitere zwei Millionen Mark beansprucht das Landesamt für Verfassungsschutz für 64 Verstärkungskräfte von außerhalb. Es will drei zusätzliche Observationstrupps aufstellen, weitere »Auswerter« und »Ermittler« einsetzen und die technische Ausstattung ergänzen. Über 25 Millionen Mark zusätzliche Ausgaben werden für die Justiz einkalkuliert: unter anderem für Justizpersonal, Informationstechnologie, für Gefängnisse, Unterbringung und Versorgung von Gefangenen. Immer noch nicht geklärt ist die Frage, wer im einzelnen für die Kosten aufkommen wird. Niedersachsen wird wohl die Hauptlast tragen müssen, obwohl es sich um eine kommerzielle Veranstaltung mit bundespolitischer Bedeutung handelt.

Nur schwer läßt sich noch zwischen rationalen, unabdingbaren Sicherheitsmaßnahmen und solchen unterscheiden, die auf unhaltbare Prognosen und Horrorszenarien gestützt werden. Sinnvoll wäre es, Expo-Erfahrungen anderer Städte (namentlich Sevilla 1992) gründlich auszuwerten: Besucherzahlen, expobedingte Kriminalitätsentwicklung u. a. Von dort sind derartige Probleme, wie man sie jetzt in Hannover wälzt, nicht bekannt. So drängt sich der Eindruck auf, daß die niedersächsischen Sicherheitspraktiker ihrer Konzeption Szenarien und Besucherzahlen (40 Millionen) zugrunde legen, für die es zwar keine konkreten Anhaltspunkte und Erfahrungswerte gibt, die aber die gigantischen Anstrengungen und Kosten rechtfertigen sollen. Die Sicherheitsvorkehrungen scheinen zunehmend von der Angst diktiert, die Bundesrepublik und speziell Niedersachsen könnten einen schweren Image-Schaden erleiden, wenn die Sicherheitskräfte vor den Augen der Weltöffentlichkeit unsicher würden. Deshalb müßten Polizei und Justiz massiv verstärkt, Strafverfolgung und -vollstreckung sichergestellt und die Kapazität der Haftplätze aufgestockt werden. In dieser Herausforderung, so die Gewerkschaft der Polizei (GdP), liege aber auch »die große Chance« der Polizei des Landes Niedersachsen sowie der anderen beteiligten Polizeien der Länder und des Bundes, »ihr Know-how und Fachkompetenz zur Bewältigung solcher Großlagen unter Beweis zu stellen und ihr Ansehen auf der ganzen Welt zu manifestieren«. Ganz ähnlich der hannoversche Polizeipräsident Klosa, für den die Expo eine »in der deutschen Polizeigeschichte einmalige Chance« bietet, »sich als professioneller Sicherheitspartner der Menschen zu präsentieren«.

Die Weltausstellung soll also deutsche Polizeigeschichte schreiben: Deutsche Hochsicherheit als Expo(rt)-Schlager, ausgebreitet vor den Augen einer staunenden Weltöffentlichkeit. Nur: Wie verträgt sich diese Inszenierung mit dem Wunsch Hannovers, sich als weltoffene, tolerante, liberale, gastfreundliche Stadt zu präsentieren? (aus: »Ossietzky« Nr. 10 vom 22. Mai 1999)

Rolf Gössner


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