Logo Geheim 1/1999

Rainer Rupp, die PDS-Fraktion und die Beendigung der politischen Strafverfolgung
Für Gerechtigkeit einzutreten war noch nie bequem

Ein konsequentes Eintreten der PDS für Bürgerrechte steht im Widerspruch zum Opportunitätsprinzip. Lothar de Maizière hat Recht, wenn er sagt: »Die meisten, die bislang mit der Aufarbeitung zu tun hatten, können die Kategorien Recht und Moral nicht auseinanderhalten«. Wer die Unterdrückung von Bürgerrechten in einer Gesellschaft der Vergangenheit kritisiert, muß sich für ein Ende politischer Strafverfolgung und Ungleichbehandlung in der heutigen Gesellschaft einsetzen, sonst ist er/sie nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch unglaubwürdig.

Wer die Ungleichbehandlung der ehemaligen West- und Ostagenten kritisiert, muß sich auch der Konsequenz dieser Kritik bewußt sein. Wer die Gleichbehandlung fordert, muß entweder dafür eintreten, daß die Amnestie, die die Regierung Modrow 1990 den in der DDR verurteilten Westspionen erteilte und das 1992 vom Bundestag verabschiedete Rehabilitierungsgesetz aufgehoben werden oder aber, daß selbst die Beschäftigung von Rainer Rupp bei der PDS-Fraktion als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Die Forderung nach Gleichstellung schließt ein Berufs- oder Beschäftigungsverbot wegen früherer Spionage für die DDR aus.

Wenn gerade Rainer Rupps Vergangenheit von einigen in der PDS als störend für das Image der PDS betrachtet wird, so wirft das doch erhebliche Fragen auf über deren Kenntnis der Geschichte des Kalten Krieges. Jetzt zeigt sich eben, daß die Geschichtsdiskussion innerhalb der PDS zu einseitig war, daß es ein Fehler war, daß PDS Mitglieder aus dem Westen nicht darauf drängten, daß eine bundesdeutsche PDS zwei Standbeine haben muß - auch in der Geschichte. Die Diskussion der Geschichte beider deutscher Staaten, beider Weltsysteme muß tatsächlich vertieft werden!

Die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste in der Zukunft verändert nicht die Realität der Vergangenheit. Wer in der PDS ein Problem mit der Vergangenheit eines Rainer Rupp hat, möge auch konkret erklären, was an der Tätigkeit eines DDR-Kundschafters im NATO-Hauptquartier verwerflich gewesen sein soll. Es ist schon bedenklich, wenn VertreterInnen der PDS hinter die Erkenntnisse eines bundesdeutschen Oberlandesgerichts zurückfallen, das in seiner Urteilsbegründung erklärte, daß es Rainer Rupp auch darum gegangen sei, »zum Abbau von Vorurteilen und Besorgnissen des Warschauer Paktes die Absichten der NATO transparent zu machen und damit zum Frieden beizutragen«. In einer anderen Sprache heißt dies Glasnost. Glasnost zwischen NATO und Warschauer Vertrag unter den Bedingungen des Kalten Krieges.

Rainer Rupp ist der bekannteste unter vielen DDR-Kundschaftern, denen von bundesdeutschen Gerichten in ihren Urteilsbegründungen zugestanden wurde, aus politischer Überzeugung gehandelt und zur Entspannung beigetragen zu haben.

Die PDS hat sich ausdrücklich und wiederholt mit den strafrechtlich verfolgten Kundschaftern der DDR solidarisiert. Sie tritt ein für eine Gleichbehandlung der Ost-West-Spionage und hat ein Spionagestraffreiheitsgesetz bereits öffentlich angekündigt.

Ein Strafverfolgungsbeendigungsgesetz für DDR-Spionage wäre 1999 überflüssig. Nach rund 300 Verurteilungen und rund 800 Einstellungen der Verfahren gegen Bußgeld bis zu 200.000 Mark und zahlreichen Einstellungen wegen geringer Schuld, ist das Ende der Strafverfolgung absehbar. Soweit bekannt, ist Rainer Rupp der noch einzig verbliebene Strafgefangene (wenn auch in offenem Vollzug). Eine Kundschafterin hat die gegen sie verhängte Haftstrafe wegen Krankheit noch nicht antreten können. Sie droht ihr aber weiterhin. Was bleibt, sind die nachhaltigen Folgen für die Betroffenen: erhebliche Verschuldung (es wurden Geld- und Verfallstrafen bis zu 1 Million ausgesprochen), Pfändungen von Renten und Rentenanwartschaften, Verlust von Arbeitsplätzen etc.

Wenn die PDS heute Straffreiheit für DDR-Kundschafter fordert, so muß diese die nachhaltigen Folgen der Strafverfolgung berücksichtigen, zumal eindeutig ist, daß mit der Höhe der Geldstrafen der soziale Ruin vieler Betroffener beabsichtigt war. Ein Straffreiheitsgesetz, das diese Folgen nicht berücksichtigt, ist überflüssig. Es würde auch der PDS-Forderung nach Gleichbehandlung der Spionage-West und Spionage-Ost widersprechen. Die notwendigen rechtlichen und sozialen Folgen einer Straffreiheit für DDR-Spionage müssen sich an der Rehabilitierung der BRD-Spione messen lassen.

Für die BRD-Spione gilt das »Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet« (»Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht« vom 29.10.92). Nach diesem Gesetz gilt u.a. die Verurteilung in der DDR von Spionage für die Bundesrepublik als politische Verfolgung und wurde deshalb aufgehoben. Die in diesem Gesetz festgelegten Rehabilitierungsmaßnahmen umfassen die Erstattung gezahlter Geldstrafen, Kosten des Verfahrens, soziale Ausgleichsleistungen für Nachteile, die durch Haft entstanden sind, Unterstützungsleistungen, Härteregelung, Beschädigtenversorgung und natürlich Haftentschädigung.

Auch die neue Bundesregierung verweigert Angaben darüber, wieviele DDR-Bürger, die für die BRD spionierten nach dem Anschluß der DDR rehabilitiert und wie großzügig sie entschädigt wurden (siehe die Antwort der Bundesregierung vom 28.12.98 auf die Kleine Anfrage der PDS). Interessant ist zumindest, daß nach Auskunft des Freistaates Sachsen (Landtags-Drs.2/1614 vom 21.9.95) allein von den Landgerichten Dresden und Leipzig 153 Urteile wegen Spionage und Agententätigkeit aufgehoben wurden.

Ein oft zu hörendes Argument ist: DDR-Agenten hätten doch für einen Unrechtsstaat spioniert, während BRD-Agenten für die Demokratie spionierten. Die Anklagen gegen DDR-Agenten lauteten jedoch nie Spionage für einen »Unrechtsstaat« sondern Spionage für eine »fremde Macht«. Den Straftatbestand »Geheimdienstliche Agententätigkeit für einen Unrechtsstaat« gibt es nicht. Das Gesetz wertet die Tat, und Spionage für eine fremde Macht ist nun mal überall strafbar. Wenn DDR-Kundschafter BRD-Agenten nicht in aller Konsequenz gleichgestellt werden sollen, dann möge man ihnen auch erklären warum sie eine Rehabilitierung nicht verdienen, BRD-Agenten aber schon.

Wenn DDR-Kundschafter Rehabilitierung fordern, dann wird ihnen gerne entgegengehalten, sie hätten doch gewußt, daß sie mit ihrer Tätigkeit gegen die Gesetze der BRD verstoßen. Es wird dabei nur vergessen: auch jene DDR-Bürger, die für die BRD spionierten und heute rehabilitiert sind, wußten, daß sie gegen die Gesetze der DDR verstoßen, Gesetze, die sich jeder Staat der Welt zu seinem Schutze gibt. Mit dem Anschluß der DDR an die BRD erlosch jedoch der strafrechtliche Schutz der - alten - BRD gegen die »fremde Macht« DDR. Die Strafverfolgung der DDR-Spione war von Anfang an unrechtmäßig. Dieses Unrecht gilt es wiedergutzumachen - ohne Wenn und Aber.

In der Diskussion über ein Spionagestraffreiheitgesetz und über ein Ende politischer Strafverfolgung muß grundsätzlich auch folgender Widerspruch bewußt werden. Die Strafverfolgung der Hoheitsträger der DDR konnte nur deshalb massiv und ungehindert durchgeführt werden, weil sie auf dem weithin (wieder) akzeptierten Revanchismus der bundesdeutschen Gesellschaft basiert. Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch ihre Mitgliedschaft in der UNO und nach langen Kämpfen ihre Anerkennung durch die BRD im Grundlagenvertrag wird nachträglich zunichte gemacht, indem ihre Hoheitsträger für ihr Handeln nach den Gesetzen ihres Landes vor bundesdeutsche Gerichte gestellt werden. Die DDR wird dadurch völkerrechtswidrig als »zwangsweise abgesonderter Teil Deutschlands« behandelt und endlich wieder »zurück ins Reich« geholt. Die BRD betrachtet sich ja schließlich als identisch mit dem Deutschen Reich und in dessen Kontinuität stehend. Gegen diesen Revanchismus und den Alleinvertretungsanspruch der BRD haben BRD-Linkeund Demokraten früher zäh gekämpft. Um so mehr erstaunt ihr Schweigen, ja ihre Akzeptanz und Kapitulation heute.

Im Widerspruch zur nachträglichen Nichtanerkennung der DDR durch die Strafverfolgung ihrer Hoheitsträger steht die Behandlung der DDR-Spione. Indem diese nämlich strafrechtlich verfolgt werden wegen Spionage für eine »fremde Macht«, wird die DDR dann doch als eigenständiger Staat betrachtet. Und selbst in diesem Widerspruch ist die bundesdeutsche Politik noch unlogisch. Sie sieht sich als Rechtsnachfolgerin der DDR und beharrt gerade deshalb auf Übergabe der HVA-Akten, die sich die CIA beschafft hatte. Wenn sie aber meint die HVA-Akten stünden ihr rechtmäßig zu, dann muß sie sich auch um die HVA-Spione kümmern und darf sie nicht strafrechtlich verfolgen, dann muß sie auch die Fürsorgepflicht, die die DDR - wie jeder anderer Staat - gegenüber seinen Spionen hatte, übernehmen. Dann muß sie diese auch gegenüber den in den USA zu langen Haftstrafen verurteilten HVA-Spionen wahrnehmen.

Die BRD bedient sich aus dem Recht wie aus einem Gemischtwarenladen. Wenn die PDS Bürgerrechte und Völkerrecht ernstnimmt, dann darf sie genau dies nicht tun.

Die PDS kritisiert zurecht, daß das Opportunitätsprinzip bei Bürgerrechten in der DDR die demokratische Weiterentwicklung eines sozialistischen Staates verhinderte und schließlich zu ihrem Untergang wesentlich beitrug. Ihre Aufarbeitung der Geschichte wird aber unglaubwürdig, wenn sich die PDS dem Opportunitätsprinzip der heutigen Gesellschaft anpaßt. Wenn sie konsequent die Lehren aus ihrer eigenen Geschichte zieht, dann darf die PDS die heutige Selektion bei Bürgerrechten und Recht nicht zulassen. Recht und Bürgerrechte dürfen nie mehr nur für jene Menschen gelten, die einem gerade passen. Es ist unglaubwürdig den mangelnden Mut von gestern zu kritisieren, wenn man ihn heute nicht aufbringen will. Für Gerechtigkeit einzutreten war noch nie bequem. (Januar 1999)

Doris Pumphrey ist Mitglied der AG-Kundschafter des Friedens in der GRH (Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung) und Mitarbeiterin im Pressebüro der PDS-Fraktion im Bundestag.

Die AG »Kundschafter des Friedens« ist zu erreichen über: GRH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Tel & Fax: 030-2978-4225,

Spendenkonto: Berliner Volksbank (BLZ 100 900 00), Konto-Nr. 37105732 (Kennwort: »Kundschafter«).

Doris Pumphrey


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