Logo Geheim 1/1999

Reform des Staatsbürgerschaftsrechts
Staatlich geprüfte Neubürger

Die Hürden der rot-grünen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts

Der Doppelstratege Otto Schily (SPD) probte den politischen Spagat, der für Rot-grün typisch werden könnte: Mit seiner Feststellung, die »Grenzen der Belastbarkeit« durch Zuwanderung seien überschritten, hat er dem »Ausländer-raus«-Geschrei gleichsam regierungsamtliche Legitimation verschafft und nicht nur den rechten Rand begeistert. Mit seinem Mitte Januar 1999 vorgelegten Gesetzentwurf zur Neufassung des antiquierten Staatsbürgerschaftsrechts brachte derselbe Bundesinnenminister nicht nur den rechten Rand in Rage, sondern auch die alte Mitte, die von Stund' an gemeinsam das ausländerfeindliche, völkische und rassistische Potential zu mobilisieren vermochte. Nach der Hessenwahl vom Februar 1998 wird dieses herausragende grün-rote Reformprojekt für die Niederlage der »Grünen« und für den Wahlsieg der CDU verantwortlich gemacht.

Nach dem hessischen Wahldebakel suchten die Koalitionäre fieberhaft nach mehrheitsfähigen »Kompromissen«. Damit geriet diese überfällige Novellierung, eines der wichtigsten Reformprojekte der rot-grünen Bundesregierung, jedoch in Gefahr, die Substanz zu verlieren. Im Kern geht es bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts um die Abkehr vom völkischen Blutsrecht und um die Schaffung eines republikanischen »ius soli« für alle in Deutschland geborenen und hier langfristig lebenden Menschen. Mit dieser Ergänzung des Abstammungsrechts durch Elemente des Territorialrechts wird das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht nicht nur auf europäisches Niveau gehoben; es wird vor allem die Rechtsposition von vielen bislang rechtlich diskriminierten und politisch ausgegrenzten Menschen stärken. Ohne diesen Reformkern wäre die Reform hinfällig.

Lang und intensiv tobte der politische Streit um ein Detail: die doppelte Staatsbürgerschaft. Diese sollte nach Vorstellung der Grünen und nach der Festlegung im Koalitionsvertrag als Mittel der Einbürgerungserleichterung hingenommen werden, weil nicht alle potentiellen Neubürger ihre alte Staatsbürgerschaft aufgeben wollen oder weil manche Staaten - wie etwa der Iran - sie gar nicht daraus entlassen oder horrende »Ablöse«-Summen verlangen. Ziel war es, von den über 7 Millionen Ausländern in Deutschland jene einzubürgern, die seit vielen Jahren hier leben und hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Denn, so die Begründung des neuesten Gesetzentwurfs, kein Staat könne es auf Dauer hinnehmen, »daß ein zahlenmäßig bedeutender Teil seiner Bürger über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemeinschaft steht und von den Rechten und Pflichten eines Bürgers gegenüber dem Staat ausgeschlossen bleibt«.

Der »Kompromiß« zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit

Um dies zu verändern, sollte ursprünglich die doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen werden. Doch inzwischen gilt der generelle Doppelpaß nicht mehr als mehrheitsfähig - weil nach der Hessenwahl die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat abhanden gekommen ist. Der »Kompromiß« ist Mitte März 1998 in einem leicht modifizierten Optionsmodell nach F.D.P.-Muster gefunden worden: Das Verhandlungsergebnis sieht nun vor, daß ein Kind ausländischer Eltern durch Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein Ausländer, der bei Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, auf Antrag einzubürgern. Ausländische Jugendliche, die im Inland geboren sind und von Geburt an den deutschen und einen ausländischen Paß besitzen, müssen sich mit Erreichen der Volljährigkeit für eine Staatsangehörigkeit entscheiden - obwohl eine solchermaßen aufgezwungene Entscheidung zu schweren Gewissenskonflikten und Zerwürfnissen in den betroffenen Familien führen kann. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll, so der neueste Gesetzentwurf vom 16. März 1999, automatisch verlorengehen, wenn bis zur Vollendung des 23. Lebensjahrs keine Entscheidung getroffen wurde oder der Nachweis nicht geführt wurde, daß die ausländische Staatsangehörigkeit aufgegeben worden ist. Die Regelung ist verfassungsrechtlich höchst umstritten, da nach Art. 16 I Grundgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf (S. 1), wobei allerdings der »Verlust« der Staatsangehörigkeit aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen dann eintreten kann, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird (S. 2). Bei der nun vereinbarten Regelung gilt der Entschluß, sich für die ausländische Staatsangehörigkeit zu entscheiden und damit gegen die deutsche als ein »selbstverantworteter und freier Willensentschluß« (vgl. Entwurfsbegründung S. 23).

Erwachsene, die seit acht Jahren (bisher 15) rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, sollen auf Antrag grundsätzlich nur eingebürgert werden, wenn sie ihre alte Staatsbürgerschaft aufgeben. Allerdings soll es gewisse Ausnahmen geben, so daß in Härtefällen die doppelte Staatsangehörigkeit zugelassen wird: so insbesondere bei politisch Verfolgten und anerkannten Flüchtlingen, aber auch bei Ausländern, denen im Falle der Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile, insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden oder denen die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde; diese Personen können ihren bisherigen Paß behalten. Anzumerken ist, daß schon heute etwa 30 Prozent der Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen werden, weil dies nach geltendem Recht (§ 87 Ausländergesetz) unter ähnlichen Bedingungen zulässig ist. Der Anteil könnte durch die Neuregelung ansteigen.

Rot-grüne Stolpersteine auf dem Weg zur Einbürgerung

Die politische Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zielte im Kern auf die gesamte Reform, widersetzte sich der Abkehr vom völkischen Blutsprinzip, die mit dem jetzt gefundenen »Kompromiß« wenigstens vom Ansatz her gesichert ist. Dieser medienbeherrschende, aber vordergründige Streit um den Doppelpaß verdeckte jedoch, daß alle bisher vorgelegten Gesetzentwürfe gravierende Beschränkungen und Hürden enthalten, die Rot-grün als Filter vor einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft aufzubauen gedenkt:(1)

Hürde 1: Die Einbürgerungsbewerber müssen über »ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache« verfügen. Zwar sollen laut Gesetzentwurfsbegründung (16.3.99) solche Kenntnisse grundsätzlich vermutet und nicht formell geprüft werden. Werde allerdings - etwa nach einem Gespräch mit dem Bewerber - erkennbar, daß die zur gegenseitigen Verständigung unerläßlichen Sprachkenntnisse nicht vorliegen, werde die Einbürgerung versagt.

Hürde 2: Die Bewerber müssen eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzen. Liegt ein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 AuslG vor, kann die Einbürgerung versagt werden, auch wenn nicht abgeschoben werden darf. Danach kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er »die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht«.

Hürde 3: Die Bewerber müssen zudem ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes ablegen sowie eine Loyalitätserklärung abgeben, in der sie bekunden, keine sicherheitsgefährdenden Bestrebungen verfolgt oder unterstützt zu haben. Dadurch, so die Gesetzentwurfsbegründung vom 16.3.99, soll die innere Hinwendung des Bewerbers zur Bundesrepublik dokumentiert werden.

Ein solches Bekenntnis soll jedoch dann nicht genügen, wenn »tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden«. In einem solchen Fall besteht kein Anspruch auf Einbürgerung.

Wie diese »Bestrebungen«, Unterstützungen«, »Beeinträchtigungen« und »Vorbereitungshandlungen« jeweils festgestellt werden sollen, bleibt auch im zuletzt vorgelegten Gesetzentwurf völlig offen. Steht uns womöglich wieder die Regelanfrage an den »Verfassungsschutz« ins Haus, wie weiland bei den Berufsverboten? Im Januar 1998 dementierte der Bundesinnenminister solche Vorahnungen noch. Er wolle sich zunächst mit dem geforderten schriftlichen Bekenntnis der Bewerber zu ihrer Verfassungstreue begnügen. Stelle sich aber, drohte er unverhohlen, im nachhinein heraus, daß ein Neubürger doch verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt habe, dann sei die Einbürgerung von Anfang an nichtig.

Ob die Bundesregierung es will oder nicht, die geplante Regelung öffnet das Tor zu solchen Regelanfragen der Einbürgerungsbehörden beim Verfassungsschutz. Jedes Bundesland könnte nämlich in eigener Regie eine solche Routinemaßnahme zur Gesinnungsüberprüfung beschließen; eine verwaltungsinterne Anweisung, vergleichbar dem »Radikalenerlaß« aus den 70er Jahren, würde ausreichen. Die Betroffenen könnten sich dagegen nur schwer zur Wehr setzen. Doch selbst wenn keine Regelanfrage stattfindet, stünde es den Einbürgerungsbehörden frei, in vielen Einzelfällen Anfragen beim Verfassungsschutz zu starten - ein Verfahren, das mit ziemlicher Sicherheit ganze ethnische Personengruppen betreffen würde, wie etwa Kurden, deren Nähe zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hierzulande als notorisch gilt. In der neuesten Entwurfsbegründung vom 16.3.99 wird es deutlich ausgesprochen: »Dadurch soll die Einbürgerung etwa von PKK-Aktivisten oder radikalen Islamisten auch dann verhindert werden, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können.«

Nichtdeutsche werden von den Ämtern für Verfassungsschutz ohnehin erheblich häufiger erfaßt als Deutsche - etwa 20mal so oft.(2) Den Behörden müßte es geradezu verschwenderisch vorkommen, dieses Reservoire an »Erkenntnissen« nicht zu nutzen und zu mehren. Der stellvertretende Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, Thilo Weichert, machte deswegen erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken gegen diese Ausschlußregelung geltend: Gerade wegen der hohen Quote geheimdienstlicher Erfassung von Ausländern und wegen des oft »nur wenig abgesicherten Erkenntnisstandes der Ämter für Verfassungsschutz« sieht er ein »hohes Risiko« voraus, daß Ausländerinnen und Ausländer im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens »ungerechtfertigt mit dem Vorwurf einer verfassungsfeindlichen Bestrebung konfrontiert werden«.

Auch die Auffassung des Innenministers, eine bereits erfolgte Einbürgerung könne bei nachträglicher Feststellung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen nichtig sein und rückwirkend entzogen werden, ist für Weichert nicht nachvollziehbar. Schließlich darf nach Art. 16 Grundgesetz grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit nachträglich nicht entzogen werden.

Hürde 4: Der Einbürgerungsbewerber muß »den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten« können. Entgegen den früheren Gesetzentwürfen aus dem Hause Schily gibt es jetzt, entsprechend der aktuellen Rechtslage, eine Härteklausel: »Wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann«, dann kann er dennoch eingebürgert werden. Das gilt insbesondere bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit.

Hürde 5: Darüber hinaus darf ein Ausländer, der sich einbürgern lassen will, nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sein. Das gilt auch für Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Ausländergesetz, das spezifische Taten, die von Deutschen überhaupt nicht begangen werden können, unter Strafe stellt. Dazu reicht es etwa aus, sich ohne Aufenthaltsgenehmigung oder ohne Paß im Bundesgebiet aufgehalten oder sich dem Verbot widersetzt zu haben, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder einer politischen Betätigung nachzugehen. Diese ausländerrechtlichen Vergehen können mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Die vorgesehene Grenze richtet sich nach der bisherigen Regelung des § 88 Abs. 1 Ausländergesetz: Danach bleiben außer Betracht u.a. die Verurteilung zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen sowie die Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist. Bei einer höheren Verurteilung wird im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer Betracht bleiben kann oder ob die Verurteilung zu einer Verwirkung des Einbürgerungsanspruchs führt.

Die Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts und die Einführung des nichtvölkischen Prinzips wird mit dem neuen Gesetzentwurf abgesichert - wenn auch durch die Optionslösung wesentlich eingeschränkter als ursprünglich geplant. Doch immerhin gibt es einige wesentliche Ausnahmeregelungen, die in bestimmten (Härte-) fällen zu doppelter Staatsangehörigkeit führen können. Von den ersten, teilweise rigiden und ausgrenzenden Entwürfen aus dem Hause Schilys hebt sich der nun vorliegende Gesetzentwurf positiv dadurch ab, daß er eine soziale Härteklausel enthält und auch bei der Frage der Straffälligkeit eine moderatere Regelung aufweist - was nicht so schwer gefallen sein dürfte, da es sich um bislang schon geltendes Recht handelt. Ob das Optionsmodell verfassungsrechtlich haltbar ist, kann noch nicht abgesehen werden.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, rechtspolitischer Berater der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag und in anderen Parlamenten.

1 Gesetzentwurf vom Januar 1999, ähnlich der nach«gebesserte« Entwurf Anfang März 1999 sowie - abgemildert - der neueste Entwurf vom 16.03.99 mit dem Optionsmodell.

2 Vgl. Weichert, in: Gössner, Hg., Mythos Sicherheit, Baden-Baden 1995, S. 253.

Dr. Rolf Gössner


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