Logo Geheim 1/1999

Fernmeldeüberwachung durch den BND
Verbrechensbekämpfungsgesetz / G 10-Gesetz vor dem BVerfG

Der Gesetzgeber hat mit dem § 13 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994 respektive dem damit geänderten Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) die Kompetenz des Auslandsgeheimdienstes (Bundesnachrichtendienst /BND) modernisiert, also regional und sachlich entgrenzt. Die Ermächtigung zu der nach § 3 G 10 weiterhin einzig diesem Auslandsnachrichtendienst zustehenden strategischen Fernmeldeüberwachung (»strategisch« in Abgrenzung gegen die Ermächtigung zur Überwachung bestimmter Personen) gilt seither, so weit die Sicherheitsplanung reicht, also weltweit, und nicht mehr nur zur Abwehr eines Angriffskrieges, sondern auch zur Bekämpfung aller denkbarer »Neuer Gefahren«.

Gegen diese Aufgabenerweiterung hatten eine Reihe von Journalisten, die taz und ein Hamburger Strafrechtsprofessor Verfassungsbeschwerden eingereicht. Die wurden am 15. und 16. Dezember 1998 vor dem Bundesverfassungsgericht mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführer sehen mit der Kompetenzausweitung in besonderer Weise die Pressefreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Sachverständigen sehen in der Weitergabe der Daten aus der strategischen Überwachung an die Strafverfolgungsbehörden eine Verletzung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Geheimdiensten, weil der Auslandsnachrichtendienst auf diese Weise zum verlängerten Arm der Strafverfolgungsbehörden werde, die damit die Fähigkeit zur unkontrollierbaren verdachtsunabhängigen Überwachung der Kommunikationswege erlangten.

Das BVerfG hatte schon 1995, der Argumentation des Strafrechtsprofessors folgend, in einer einstweiligen Anordnung die Hürde für die Weitergabe der Geheimdienstdaten an die Strafverfolgungsbehörden vom Kriterium der »tatsächlichen Anhaltspunkte« auf das Kriterium der »bestimmten Tatsachen« erhöht. Nun ging es um die Entscheidung in der Hauptsache.

Aber was ist die Hauptsache? Jedenfalls nicht die Intention des Gesetzes zum Schutz vor Mißbrauch personenenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung von 1974 oder des »Volkszählungsurteils« von 1983. Zwar zog dieses eine Reihe von »Volkszählungsberufungsgesetzen« nach sich. Die aber erweisen sich sämtlich als legitimatorischer Vorhang, als »normreiche Bildung einer Schutzmauer, hinter der sich in unveränderter, ja rechtlich besser abgesicherter Freiheit Informationen erheben, speichern und weitergeben lassen« (W.-D. Narr)

Die Hauptsache beschrieb Bundeskanzler Gerhard Schröder am Tag nach den zwei Karlsruher Verhandlungstagen in Pullach bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Dr. August Hanning.

Daß Hanning zu jener jungen Mannschaft von Volljuristen, Vollphysikern und Vollagrarökonomen aus der informellen Querschnittstruppe der Verwaltung von Bund und Ländern gehört, deren Karriere durch die erfolgreich bestandene Plutonium-Kabale von München im Jahr 1994 so richtig in Schwung gekommen zu sein scheint, ist in diesem Zusammenhang keine Nebensache: Referatsleiter in der Geheimdienstabteilung 6 des Bundeskanzleramtes, während der Plutoniumaffäre unter Kohl zum Leiter dieser Abteilung avanciert, jetzt BND-Chef - chapeau!

Sein neuer Kanzler erwartet von ihm ausdrücklich »höhere Schnelligkeit bei der Krisenberichterstattung, größere Offenheit, höhere Effizienz und mehr Flexibilität«, was als Gegenteil zu trägen Verwaltungstugenden wie Verantwortlichkeit, Zuverlässigkeit, Rechtstaatlichkeit und Aktentreue wohl nicht ganz falsch verstanden ist. Alleiniger Maßstab für die Qualität der Information sei der Bedarf der Bundesregierung, etwa bei der Entsendung deutscher Soldaten in Krisengebiete.

Der Kanzler als zuständiger Ressortminister für den Auslandsnachrichtendienst und wichtigster Bedarfsträger seiner Ergebnisse nutzte die Gelegenheit, Hanning das Auftragsprofil der Behörde einzuschärfen. Der Hauptaufgaben seien vier: (1) Beobachtung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, (2) Beobachtung des internationalen Terrorismus, (3) Beobachtung der weltweiten Wanderungsbewegungen, (4) Beobachtung bestimmter Formen grenzüberschreitender organisierter Kriminalität wie Drogenhandel und Geldwäsche, deren Ergebnisse der BND durchaus den Strafverfolgungsbehörden zugänglich machen solle, wozu Hanning (5) die Beobachtung der Entwicklung von Trägertechnologie für Massenvernichtungswaffen in außereuropäischen Ländern und staatlich gelenkter Aktionen in der modernen Computertechnik beisteuerte, das alles, so wieder der Kanzler, in enger Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Nachrichtendiensten. Im übrigen solle der BND seine Ergebnisse getrost an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben.

Haben sie gezwinkert, der Kanzler und sein Spionagechef? Oder war das nur die Rührung, die jedem Festakt eignet? Sie haben gezwinkert.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz (BDS) kritisierte die tendenzielle Durchbrechung des Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdiensten. Er forderte strengere Voraussetzungen und eine unabhängige Einrichtung zur Entscheidung über die Weitergabe der Informationen an die Strafverfolgungsbehörden, mindestens aber zu ihrer Kontrolle. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte forderte darüber hinaus die Trennung der sachbezogenen von den personenbezogenen Informationen, also die Anonymisierung der Daten. Klägervertreter Eisenberg will die Ausweitung der Überwachungsbefugnisse des BND ersetzt sehen durch eine Verschärfung der Exportkontrollen - Zollkriminalamt statt BND? Die Datenschützer kritisierten außerdem die Ausgestaltung der Mitteilungspflicht der Behörde und die unzureichenden Auflagen zur Datenvernichtung.

Zuletzt machte der BDS auf die Möglichkeit der Polizei zu verdachtsunabhängiger Ausforschung der Kommunikationswege über den BND aufmerksam. Daß diese Befürchtung nicht unbedingt ein Hirngespinst sein muß, zeigt die Polizeitaktik des »Sicherheitsschleiers« ebenso, wie die gerade gesetzlich gewordene verdachtsunabhängige Personenkontrolle durch den BGS.

Der Bevollmächtigte der Bundesregierung und die Vertreter des BND hatten es allerdings leicht, die Untauglichkeit und mangelnde Schlüssigkeit der Gegenvorschläge im gemeinten Sinne aufzuzeigen, wenn sie etwa darlegten, daß die Anonymisierung der Daten z.B. im Bereich der dual use-Güter jeden Informationswert zunichte machte oder daß ein unabhängiges Gremium zwischen BND und Strafverfolgungsbehörden die kritisierte Grundrechtsverletzung noch einmal vertiefte durch Erweiterung des beteiligten Personenkreises.

Als der Bevollmächtigte des G 10-Kontrollgremiums im Auftrag seiner Ministerin der Justiz gegen die Regeln verstieß und den Anteil der definierten Gefahrenzone an der Staatengemeinschaft nannte, klang kurz die Dimension des Problems an: Zwei Drittel aller Staaten der Erde sind als überwachungsbedürftig eingestuft. Das allerdings ist Sache des BMVg.

Wer unter Berufung auf den Zusammenbruch der Staaten des Realen Sozialismus die Zurückschneidung der Äußeren und Inneren Sicherheit verlangt, ist der Legende von der Bedrohung einer friedfertigen demokratischen Gesellschaft des freien Marktes durch einen aggressiven Sozialismus aufgesessen.

Vor der weltweiten Zunahme der wirtschaftlichen und politischen Konflikte, dem Anspruch der Bundesrepublik auf weltweite Intervention und angesichts der Rückkehr der Kriege und Bürgerkriege ins rückfällige Europa wirkt der Angriff auf die sachliche und räumliche Ausweitung der strategischen Kontrollaufträge des deutschen Auslandsnachrichtendienstes mit Argumenten der informationellen Selbstbestimmung vor dem BVerfG wie ein Angriff mit Spatzen auf Kanonen.

Oder grundsätzlich, da man im folgenden Zitat das Wort »Sozialisten« ohne zu verfälschen durch das Wort »Bürgerrechtler« ersetzen kann: »Was diese Sozialisten von den bürgerlichen Apologeten unterscheidet, ist auf der einen Seite das Gefühl der Widersprüche des Systems, anderseits der Utopismus, den notwendigen Unterschied zwischen der realen und idealen Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft nicht zu begreifen, und daher das überflüssige Geschäft zu übernehmen, den idealen Ausdruck, das verklärte und von der Wirklichkeit selbst als solches aus sich geworfene Lichtbild, selbst wieder verwirklichen zu wollen« (K. Marx, Grundrisse ., Berlin (DDR) 1953, S. 916), eine fragile Basis für eine Koalition der realistischen Vernunft.

Hans Peter Bordien


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