Logo Geheim 1/1999

Stets zu Diensten
Kontrollverbesserungen statt Einstieg in die geheimdienstfreie Gesellschaft

Unter Rot-grün wird es keinen Einstieg in die geheimdienstfreie Gesellschaft geben - genauso wenig, wie es einen Ausstieg aus dem autoritären Sicherheitsstaat gibt. Mit der Regierungsbeteiligung tragen nun auch die Bündnisgrünen Verantwortung für die Geheimdienste des Bundes - für das Bundesamt für Verfassungssschutz, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Lange Jahre waren sie selbst Objekte der Geheimdienst-Begierden - als »linksextremistisch beeinflußte« Partei, als Angehörige der Anti-AKW- oder Friedensbewegung. Seit ihrer Gründung sind Grüne geheimdienstkritisch, in ihren Wahlprogrammen plädieren sie für eine schrittweise Auflösung der Dienste; bis es so weit ist, müßten wenigstens deren Befugnisse beschränkt und die parlamentarische Kontrolle verbessert werden.

Was ist daraus geworden? Es gehört zu den probaten Gemeinheiten, Parteien, die sich in Regierungskoalitionen wagen, an ihren Wahlprogrammen zu messen - ein »fieses« Unternehmen zumal gegenüber dem kleinen grünen Part, der sich in so vielen Politikfeldern der sozialdemokratischen Domina »beugen« mußte, weil seine Politikvorstellungen nun einmal nicht mehrheitsfähig sind. Und so widmet der rot-grüne Koalitionsvertrag den Geheimdiensten nur einen harmlosen Satz: »Wir werden die parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit, die zur Zeit in mehreren Gremien stattfindet, in einem Kontrollgremium zusammenfassen und dessen Befugnisse ausweiten.«

Was dieser einsame Satz im Koalitionsvertrag verschweigt, aber zwingend bedeutet: Wir lassen die Substanz der drei Bundesgeheimdienste, ihre Aufgaben und Befugnisse vollkommen unangetastet. Nicht die Spur eines Dissenses zwischen den Koalitionären wurde auch nur aktenkundig gemacht. Selbst die Geheimdienst-Haushalte (über eine Milliarde) und der Personalbestand (etwa 10.000 Festangestellte) sollen weitgehend verschont bleiben, obwohl doch nach Ende des Kalten Kriegs und in Zeiten leerer Kassen zumindest eine Reduzierung hätte konsensfähig sein können. Statt dessen: »Normalität«, »Kontinuität« und »Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen«. Müssen wir uns auf »bessere« Geheimdienste gefaßt machen?

Natürlich hat sich durch den Machtwechsel die Geheimdienstkritik keineswegs erledigt - auch nicht für die Bündnisgrünen, die mittlerweile in Regierungsverantwortung von früheren Objekten zu Subjekten mutiert sind, oder drastischer ausgedrückt: Aus »Opfern« werden (Mit-) »Täter«. Nun sind sie selbst verantwortlich für künftige Geheimdienst-Affären und -Skandale, verantwortlich für die nachrichtendienstliche Routinearbeit, für die Rahmenbedingungen der Bespitzelung und Erfassung von sog. Extremisten, »extremistisch Beeinflußten«, »Verfassungsfeinden«, Kontaktpersonen oder wen die »Geheimen« dafür halten.

Zwar gerät in diesen wechselwendischen Zeiten, in denen das politische Koordinatensystem bei vielen ohnehin verrutscht, so manches in Oppositionszeiten erworbene Wissen, so manche politische Erfahrung leicht in Vergessenheit. Doch nach wie vor dürfte es zum grünen Kollektivbewußtsein gehören, daß es sich bei der bald 50jährigen Geschichte etwa des »Verfassungsschutzes« um eine Geschichte von Skandalen, Verfassungs- und Bürgerrechtsverletzungen handelt, deren Kenntnis bei (links-)politisch aktiven Menschen vorausgesetzt werden kann. Diese Geschichte belegt auch, daß Demokratie und Geheimdienste, unter welchen Tarnnamen sie auch immer geführt werden, grundsätzlich unvereinbar sind. Denn Geheimdienste, die zwar als Schutz der Demokratie legitimiert werden, widersprechen ihrerseits selbst dem Prinzip der demokratischen Transparenz und der öffentlichen Kontrolle. Eine Kontrolle kann nur höchst eingeschränkt stattfinden gegenüber einer Institution, die geheim und abgeschottet arbeitet und zu deren auftragsgemäßer Kunstfertigkeit es gehört, ihre eigenen Machenschaften gewerbsmäßig zu verdunkeln.

Nun soll, so sieht es die Koalitionsvereinbarung vor, etwas prinzipiell Unkontrollierbares lediglich besser kontrolliert werden - obwohl Rot-grün aus der Geheimdienst-Misere auch unterhalb der Schwelle der Auflösung substantielle Konsequenzen hätte ziehen können: Anfang der 90er Jahre hatte die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen immerhin noch den Versuch unternommen, den dortigen skandalumwitterten Verfassungsschutz (VS) personell und finanziell gehörig abzubauen und rechtsstaatlich zu »zähmen«. Herausgekommen ist das liberalste Geheimdienstgesetz in der Bundesrepublik - und wohl auch weltweit: Unter anderem ist die Schwelle, ab der dem VS ein Eingreifen erlaubt wurde, von der reinen Gesinnungsebene auf die Ebene eines gewaltorientierten Verhaltens heraufgesetzt worden; die »nachrichtendienstlichen Mittel« wurden im Gesetz abschließend aufgezählt, darüber hinaus mehr Transparenz und eine deutlich verbesserte parlamentarische Kontrolle eingeführt. Dieses Reformwerk, das zu einer deutlichen Begrenzung der VS-Aktivitäten führte, ging vielen zu weit. Kaum war die SPD allein an der Macht, machte sie wesentliche Teile wieder rückgängig.

Und so verwundert es kaum, daß mit dieser SPD auf Bundesebene ein solches Modell einer gelungenen rechtsstaatlichen »Zähmung« keine Chance haben würde. Deshalb kann die im Koalitionsvertrag beschlossene Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle aus Sicht des grünen Regierungspartners allenfalls als Trostpflaster oder Auffanglinie gewertet werden - nach dem Motto: Wenn an der Substanz nicht zu rütteln ist, dann verbessern wir wenigstens die Kontrolle.

Die vereinbarte Zusammenfassung der bisher separat arbeitenden Kontrollgremien in einem neuen Kontrollausschuß könnte die Kontrollqualität tatsächlich verbessern, wenn gleichzeitig die Kontrollbefugnisse ausgeweitet werden. Im Koalitionsvertrag steht allerdings nicht, wie das chronische Kontrolldefizit behoben werden soll. Deshalb gäbe es hier noch Gestaltungsspielraum (auch wenn aus dem SPD-geführten Innenministerium bereits Bedenken gegen eine allzu intensive Kontrolle laut geworden sind). Die Regierungsfraktionen der SPD und der Bündnisgrünen haben inzwischen ihren »Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien« ausgehandelt (Stand: 2.3.1999). Die bisherige Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) und das sog. G-10-Gremium zur Kontrolle von geheimdienstlichen Abhöraktionen sollen künftig zusammengefaßt werden in einem »Parlamentarischen Kontrollgremium« (PKGr). Dieses Gremium soll erweitere Kontrollmöglichkeiten erhalten, indem ihm die Bundesregierung Einsicht in Akten und Dateien gibt, Besuche bei den Diensten ermöglicht sowie die Anhörung von Mitarbeitern der Dienste gestattet, die sich auch per Eingabe an das Gremium wenden können. Außerdem sollen künftig in Einzelfällen auch Sachverständige bei der Erfüllung der Kontrollaufgaben hinzugezogen werden können, wenn Zweidrittel der Mitglieder dies verlangen. Die jährlichen Wirtschaftspläne und Haushaltsentwürfe für die drei Geheimdienste sollen künftig vom PKGr mitberaten werden.

Die erweiterten Kontrollrechte sollen allerdings nicht uneingeschränkt gelten: Die Bundesregierung will die Unterrichtung, Akteneinsicht, Anhörung von Mitarbeitern und Besuche bei den Diensten verweigern können, »wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist, oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung (der Bundesregierung; R.G.) betroffen ist« (§ 2b Abs. 2 PKGrG). Die Verweigerung ist auf Wunsch des PKGr zu begründen.

Mitarbeiter der Dienste können sich nur in dienstlichen Angelegenheiten »mit dem Ziel der Verbesserung der Aufgabenerfüllung der Dienste« an das PKGr wenden (so die Begründung zu § 2d) - aber erst dann, wenn die Leitung der Dienste ihren Eingabe-Anliegen nicht gefolgt ist (§ 2a). Das bedeutet: Sie können sich nicht unter Umgehung des Dienstweges an das Gremium wenden, was eigentlich zu fordern ist, damit sie nicht bereits im Vorfeld Repressalien ausgesetzt werden. Das PKGr soll auch Kenntnis von Bürgereingaben an den Bundestag erhalten, »sofern diese ernstzunehmende Vorwürfe bezüglich der Tätigkeit der Dienste enthalten«.

Noch nicht geeinigt haben sich die Regierungsfraktionen über die Kontroverse, wie viele Sitze das PKGr umfassen soll und ob jede Fraktion mindestens einen Sitz im neuen Kontrollgremium erhält - eine solche Einigung scheiterte bislang an der SPD, die der PDS den Sitz verweigern will. Nicht vorgesehen ist, daß sämtliche erweiterten Kontrollrechte des Gremiums bereits auf Antrag nur einer Fraktion geltend gemacht werden können (Minderheitsrecht); das Gremium wird ausschließlich »geheim« tagen - das gilt jedoch nicht für die »Bewertung aktueller Vorgange«, »wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder« ihre vorherige Zustimmung erteilt haben. Die Auskunftsrechte von Betroffenen werden mit diesem Gesetz nicht verbessert, die Verweigerungsgründe der Geheimdienste nicht reduziert und ein Akteneinsichtsrecht für Betroffene nicht verankert.

Mit diesen eher bescheidenen Kontrollverbesserungen werden die Probleme, die mit der Existenz und der Arbeit von Geheimdiensten verbunden sind, kaum zu lösen sein. In einem rot-grünen Reformgesetz, das sich auf eine Verbesserung der Kontrolle über die Geheimdienste konzentriert, müßte darüber hinaus verankert werden, daß jede Fraktion mindestens einen Sitz im neuen Kontrollausschuß erhält, daß sämtliche Kontrollrechte bereits auf Antrag nur einer Fraktion geltend zu machen sind (Minderheitsrecht), daß auch die Kontrolle über die Aufgaben der Nachrichtendienste und ihre Beobachtungskriterien ermöglicht wird, daß das Kontrollgremium nicht starr »geheim« tagt, sondern grundsätzlich öffentlich und nur in begründeten Einzelfällen geheim. Darüber hinaus sollte an die Einsetzung eines unabhängigen Geheimdienstbeauftragten nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten gedacht werden, der die Kontrolle erheblich professionalisieren könnte.

Gleichzeitig sollten die Auskunftsrechte von Betroffenen verbessert werden: Alle BürgerInnen erhalten das Recht, ohne Nennung eines »konkreten Sachverhalts« (also ohne Pflicht zur Selbstdenunziation) und ohne Glaubhaftmachung eines »besonderen Interesses«, Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu verlangen. Die Verweigerungsgründe der Geheimdienste sind erheblich zu reduzieren, außerdem sollten Betroffene auch ein Akteneinsichtsrecht erhalten.

Selbst mit derart verbesserten Kontrollkompetenzen wird sich eine demokratische Vollkontrolle der Geheimdienste nicht erreichen lassen, deren Aufgabenspektrum (Stichworte: »Organisierte Kriminalität«, Wirtschaftsspionage u.a.) und Kompetenzen (u.a. strategische Kontrolle, »elektronischer Staubsauger«) in den vergangenen Jahren ohnehin erheblich ausgeweitet wurden. Gleichwohl macht eine Kontrollverbesserung Sinn, nicht zuletzt, weil sie auch Rückwirkungen auf die Arbeit der Geheimdienste haben wird. Weil die grundsätzliche Kritik an Geheimdiensten in einer Demokratie dadurch jedoch nicht obsolet werden wird, sollte diese Rudimentär-Reform zum Anlaß genommen werden, eine Überprüfung der Bürgerrechts- und Demokratieverträglichkeit von Geheimdiensten vorzunehmen sowie ihr prekäres Verhältnis zur Polizei (Staatsschutz) zu problematisieren, das im Zuge einer geheimpolizeilichen Entwicklung längst nicht mehr dem machtbegrenzenden Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei entspricht.

Die Geheimdienste, allen voran der »Verfassungsschutz«, haben der Verfassung und der politischen Kultur in der Bundesrepublik wesentlich mehr geschadet, als sie vorgeblich der Verfassung und einer doch eher reduzierten Demokratie nützten. Eine Gesellschaft gewinnt nicht dadurch an demokratischer Kraft, daß sie - auch extreme oder radikale - politische Positionen ausgrenzt und stellvertretend dem administrativen Verfassungsschutz überantwortet. Eine Gesellschaft gewinnt vielmehr dann an demokratischer Kultur, wenn sie sich offen und offensiv auch mit diesen Positionen auseinandersetzt, auseinanderzusetzen lernt. So gesehen ist gerade der Verfassungsschutz Ausdruck eines verkürzten Demokratieverständnisses in Deutschland.

Aktualisierte und erweiterte Fassung eines Beitrages, der in »die tageszeitung« (taz) am 5. Januar 1999 erschienen ist.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, seit über 28 Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, war Anfang der 90er als Berater der grünen Landtagsfraktion maßgeblich an der Liberalisierung des VS im rot-grün regierten Niedersachsen beteiligt. Verfasser des von 8 Bürgerrechtsorganisationen herausgegebenen Memorandums für Menschen- und Bürgerrechte (»Umsteuern in der Politik der 'Inneren Sicherheit', »Frankfurter Rundschau«, 14.10.98). Autor zahlreicher Bücher zu Themen der »Inneren Sicherhei«t. Ende März '99 erscheint: »Erste Rechts-Hilfe, Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999.

Dr. Rolf Gössner


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