Logo Geheim 1/1999

Texte zur Strategiediskussion (26)
Die proletarische Menschenrechtserklärung 1918*

Nebst den Bestimmungen zum Staatsbürgerschaftsrecht in der sowjetischen Verfassung vom 10. Juli 1918

Daß es aber in sozialistischen Staaten »Grundrechte überhaupt nicht« (BVerfG E 5, 177) gibt, oder geben »kann«, das dürfte doch wohl mehr rhetorisch wie juristisch fundiert formuliert bleiben. Die gesellschaftliche Funktion der sozialistischen Grundrechte wurzelt in der Lehre des Marxismus-Leninismus so tief verankert, daß in keinem Staate sozialistischer Qualität Grundrechte wegfallen. Nur: Es sind dies andere, qualitativ andere Grundrechte als in den kapitalistischen Staaten. (W.R. Beyer, 1968)

»Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes« (1918)*

1. Rußland wird zur Republik der Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten erklärt. Die gesamte zentrale und lokale Staatsmacht gehört diesen Sowjets.

2. Die Sowjetrepublik Rußland wird auf der Grundlage eines freien Bundes freier Nationen als Föderation nationaler Sowjetrepubliken errichtet.

II. Die Konstituierende Versammlung, die ihre Hauptaufgabe in der Abschaffung jeder Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sieht, in der völligen Aufhebung der Scheidung der Gesellschaft in Klassen, in der schonungslosen Unterdrückung des Widerstandes der Ausbeuter, in der Schaffung einer sozialistisch organisierten Gesellschaft und im Sieg des Sozialismus in allen Ländern, beschließt ferner:

1. Das Privateigentum an Grund und Boden wird aufgehoben. Der gesamte Grund und Boden mit allen Baulichkeiten, allem Inventar und allem sonstigen Zubehör der landwirtschaftlichen Produktion wird zum Eigentum des gesamten werktätigen Volkes erklärt.

2. Zur Sicherung der Herrschaft des werktätigen Volkes über die Ausbeuter und als erster Schritt zum völligen Übergang der Fabriken, Werke, Bergwerke, Eisenbahnen und sonstigen Produktions- und Verkehrsmittel in das Eigentum des Arbeiter- und Bauernstaates wird das Sowjetgesetz über die Arbeiterkontrolle und über den Obersten Volkswirtschaftsrat bestätigt.

3. Der Übergang aller Banken in das Eigentum des Arbeiter- und Bauernstaates wird als eine der Vorbedingungen für die Befreiung der werktätigen Massen vom Joch des Kapitals bestätigt.

4. Um die parasitären Schichten der Gesellschaft zu beseitigen, wird die allgemeine Arbeitspflicht eingeführt.

5. Um den werktätigen Massen die unumschränkte Macht zu sichern und jede Möglichkeit einer Wiederherstellung der Macht der Ausbeuter auszuschließen, wird die Bewaffnung der Werktätigen, die Bildung einer sozialistischen Roten Armee der Arbeiter und Bauern und die völlige Entwaffnung der besitzenden Klassen dekretiert.

III. 1. Die Konstituierende Versammlung bekundet ihre unerschütterliche Entschlossenheit, die Menschheit den Klauen des Finanzkapitals und des Imperialismus zu entreißen, die in diesem verbrecherischsten aller Kriege die Erde mit Strömen von Blut getränkt haben, und billigt vollauf die von der Sowjetmacht durchgeführte Politik der Zerreißung der Geheimverträge, der Organisierung der breitesten Verbrüderung mit den Arbeitern und Bauern der gegenwärtig gegeneinander Krieg führenden Armeen sowie ihre Bemühungen, um jeden Preis, mit revolutionären Maßnahmen, einen demokratischen Frieden zwischen den Völkern herzustellen, eine Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung der Nationen.

2. Zum gleichen Zweck besteht die Konstituierende Versammlung auf dem völligen Bruch mit der barbarischen Politik der bürgerlichen Zivilisation, die den Wohlstand der Ausbeuter in einigen wenigen auserwählten Nationen auf der Versklavung der Hunderte Millionen Werktätigen in Asien, in den Kolonien überhaupt und in den kleinen Ländern begründete.

Die Konstituierende Versammlung begrüßt die Politik des Rats der Volkskommissare, der die volle Unabhängigkeit Finnlands proklamiert, mit der Zurückziehung der Truppen aus Persien begonnen und die Freiheit der Selbstbestimmung Armeniens verkündet hat.

3. Die Konstituierende Versammlung sieht in dem Sowjetgesetz über die Nichtigkeitserklärung der Anleihen, die von den Regierungen des Zaren, der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie aufgenommen wurden, den ersten Schlag gegen das internationale Bank- und Finanzkapital .

IV. In Anbetracht der Tatsache, daß die Konstituierende Versammlung auf Grund von Kandidatenlisten gewählt worden ist, die von den Parteien vor der Oktoberrevolution aufgestellt wurden, ... würde es die Konstituierende Versammlung ... für grundfalsch halten, sich der Sowjetmacht entgegenzustellen. ... Die Macht muß gänzlich und ausschließlich den werktätigen Massen und ihrer bevollmächtigten Vertretung - den Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten - gehören.

(...) die Konstituierende Versammlung ... überläßt es den Arbeitern und Bauern jeder Nation, selbständig auf ihrem eigenen bevollmächtigten Sowjetkongreß zu beschließen, ob und auf welcher Grundlage sie sich an der föderativen Regierung und an der übrigen föderativen Sowjetinstitutionen beteiligen wollen.

Gundgesetz der RSFS, 10.7.18, 2. Abschn., Kap. V

20. Ausgehend von der Solidarität der Werktätigen aller Nationen, gewährt die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik den Ausländern, die auf dem Territorium der Russischen Republik wohnen und einer Beschäftigung nachgehen, die zur Arbeiterklasse oder zu der keine fremde Arbeit ausnutzenden Bauernschaft gehören, alle politischen Rechte der russischen Bürger und ermächtigt die örtlichen Sowjets, solchen Ausländern ohne jegliche erschwerende Formalitäten die Rechte der russischen Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Die »Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes«, die proletarische Menschenrechtserklärung, Anfang Januar 1918 von Lenin verfaßt, wurde am 3. Januar 1918 in der Sitzung des gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees mit wenigen Veränderungen im Wortlaut einstimmig angenommen und am 4. Januar 1918 in der Prawda Nr. 2 veröffentlicht. Am 3. Januar hatte die Fraktion der Bolschewiki im Namen der Sowjetregierung die »Deklaration« der Konstituierenden Versammlung zur Erörterung vorgelegt und, als die Konstituierende Versammlung die Behandlung der »Deklaration« ablehnte, die Konstituierende Versammlung verlassen. Am 12. Januar 1918 wurde die »Deklaration« vom III. Gesamtrussischen Sowjetkongreß bestätigt. Sie ging in die Verfassung (Grundgesetz) der RSFSR vom 10. Juli 1918 ein. (nach: W.I. Lenin, Ausgewählte Werke in drei Bänden, Dietz Verlag, Berlin (DDR) 1970, Bd. 2, S. 596-598, vgl. S. 877 Anm. 174; Hermann Klenner, Marxismus und Menschenrechte, Akademie Berlin (DDR) 1982, S. 330f, vgl. auch S. 114ff, zum Wortlaut der gesamten Grundgesetz-Passagen das Dokument S. 327ff, zum Insgesamt den Essay »Grund- und Menschenrechte im Sozialismus«, S. 101-147; Wilhelm Raimund Beyer, tendenzen bundesdeutscher Marxbeschäftigung, Köln 1968, S. 146)


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