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Fidel Castro: »... daß mit Pinochet auch die Erzeuger Pinochets verurteilt werden!«(1) Pinochet |
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In London wurde entschieden, dem Auslieferungsbegehren der spanischen Staatsanwaltschaft gegen den faschistischen chilenischen Ex-Diktator Pinochet stattzugeben. Nun hat ein möglicherweise langes juristisches Verfahren begonnen, an dessen Ende die Auslieferung Pinochets an Spanien und dessen Verurteilung vor einem spanischen Gericht stehen könnte. Die chilenische Linke jubelt. Verständlich, an Pinochets Händen klebt ihr Blut. Doch verstellt dieser Jubel nicht den Blick für die Wahrnehmung der Realität, in der es den demokratischen Kräften des Andenlandes nicht möglich war, den faschistischen Henker und seine Komplizen im eigenen Land abzuurteilen? Warum schweigen die Demokraten Chiles zur Rolle der US-Administration und ihrer CIA, die man ruhig als Kopf der chilenischen faschistischen Verbrecherbande bezeichnen kann? Warum wird von den demokratischen Kräften Chiles in all der verständlichen Freude nicht die schmutzige Komplizenschaft Londons, Bonns oder Madrids mit der Pinochet-Junta zumindest problematisiert? Nun sollen die ehemaligen Verbündeten der chilenischen Militärjunta über ihre Kreatur Pinochet zu Gericht sitzen. Der für das Verfahren verantwortliche spanischen Staatsanwalt hat bereits verkündet, daß mit dem Verfahren gegen Pinochet Maßstäbe für Verfahren auch gegen andere (tatsächliche oder angebliche) Menschenrechtsverletzer geschaffen werden sollen. Besteht hier nicht die Gefahr, daß mit einem Gerichtsverfahren gegen den international verachteten Henker Pinochet eine Blaupause für eine international sanktionierte Verfolgung all jener erarbeitet werden soll, die sich gegen die sogenannte »Neue Weltordnung« auflehnen? Viele Fragen zu einem komplizierten und sensiblen Sachverhalt. Fidel Castro gab kürzlich in einer Gesprächsrunde mit spanischen Journalisten einige Antworten: Fidel Castro: (.) Gerade an dem Tag, an dem ich ein Gespräch mit dem (spanischen, d. Red.) König führte, überbrachte mir jemand die Nachricht mit der Sache Pinochet. Mir kam in den Sinn zu sagen: ïMerkwürdig. Pinochet war doch derjenige, der die Engländer im Malvinenkrieg am stärksten unterstützt hat!' Danach habe ich zu einigen Fragen Stellung genommen, um die ich mir hinsichtlich dieser Entwicklung Sorgen mache. Nun, da Sie mich schon fragen und dieses römische Theater eine gute Akustik hat, werde ich schlicht folgendes dazu sagen: Die Situation hat drei Gesichtspunkte: Zum einen den moralischen: Aus moralischer Sicht ist die Verhaftung und Bestrafung gerecht. Dann gibt es einen zweiten Aspekt, den rechtlichen: Ich denke, daß die Maßnahme aus rechtlicher Sicht fragwürdig ist. Drittens gibt es einen politischen Aspekt: Ich glaube, aufgrund der Art und Weise, in der sich die politische Entwicklung in Chile vollzogen hat, wird dies zu einer schwierigen Situation führen. Da ist zunächst die Armee, die bewaffnete Streitmacht, die in Chile eine starke Institution ist. Sie wird sich einhellig widersetzen, sie wird sich mit aller Härte widersetzen, und sie wird von den zivilen Behörden, von der Zivilregierung sämtliche Maßnahmen verlangen und fordern, um Pinochet frei zu bekommen. Zweitens wachen die chilenischen Staatsbeamten traditionsgemäß eifersüchtig über ihre Gesetze, über Fragen der Souveränität, ich denke, stärker als in jedem anderen lateinamerikanischen Land. Was wird sich also dort zusammenbrauen? Die Streitkräfte protestieren, die gesamte Rechte wird sich zusammentun, und die ist stark. Die Regierung wird sich gezwungen sehen, mit aller Entschiedenheit zu protestieren, denn man hatte Pinochet einen Diplomatenpaß ausgestellt, und man vertritt die Ansicht, daß die Befugnisse für ein derartiges Gerichtsverfahren Chile zustehen. Es müßte in Chile stattfinden. Dann ist da das Parlament, und dort wird sich die Rechte sicherlich für Pinochet einsetzen, und die Linke in der Koalitionsregierung wird vor einer sehr schwierigen Frage stehen, nämlich, ob sie die Regierung unterstützt oder ob sie sie nicht unterstützt. Am wahrscheinlichsten ist, daß sie die Regierung unterstützt. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß die Koalition zerbricht. Was werden die Sozialisten und andere Parteien der Mitte und der Linken tun? Wenn sie von der Regierungslinie Abstand nehmen, werden sie sich spalten. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr einer Spaltung der Koalition. Das ist eine der latenten Gefahren. Ich denke, dadurch kann die Rechte erheblich gestärkt werden. Dies sind also die politischen Folgen. Was kann passieren? Die Rechte einigt sich, die Linke kann sich spalten, und so kann in Chile eine schwierige Situation entstehen, und der Konsolidierungs- und Öffnungsprozeß ist dort noch nicht abgeschlossen, obwohl er schon weit gediehen ist. So, wie wir die Dinge von hier aus, also aus der Ferne sehen, sind diese politischen Konsequenzen besorgniserregend. Es kommt noch etwas hinzu: Pinochet hat nicht allein gehandelt. Die offiziellen Geheimdokumente der Vereinigten Staaten sind mittlerweile freigegeben. Sie belegen, daß die US-Regierung, der US-Präsident und die oberste Führung der Vereinigten Staaten vom ersten Tag an, als die Wahl Allendes bekannt wurde, schon die Entscheidung getroffen hatten, Allende zu stürzen. Sie stellten, als Sofortmaßnahme 10 Millionen Dollar bereit. Sie gaben Anweisung, mit allen Mitteln erstens den Amtsantritt Allendes zu verhindern, zu verhindern zu versuchen, und zweitens, ihn im Lauf der darauffolgenden Phase zu stürzen. Sie förderten den konspirativen Prozeß und unterstützten ihn mit allen erdenklichen Mitteln der Destabilisierung, der Subversion. Sie übten wirtschaftlich Druck aus, entzogen Chile sämtliche Einnahmequellen und Kredite, bis sie die Bedingungen für einen Staatsstreich geschaffen hatten. Sie kannten die Putschpläne in allen Einzelheiten. Also tragen sie eine ebenso große Verantwortung für die Geschehnisse wie Pinochet selbst. Wenn wir auf die moralische Frage zurückkommen, so bin ich der Meinung, daß es moralisch wäre, wenn all diejenigen, die die Idee, die Vorbereitung, die Unterstützung und die Durchführung des Putsches mitgetragen haben, das gleiche Schicksal erleiden würden wie dies möglicherweise Pinochet bevorsteht. Nun gut, er soll also in London verhaftet werden, aber es sollen auch alle Schuldigen dort sein. Nixon werde ich hier nicht einbeziehen, denn Nixon ist schon tot. Man muß ihm wünschen, daß er in Frieden ruhen möge. Es gibt aber viele Menschen, die an alledem beteiligt waren, und ich denke, aus moralischer Sicht müßte man sie alle vor Gericht bringen, in Madrid, in London oder an einem anderen Ort. So stellt sich die Situation aus unserer Sicht dar. Pinochet gehört bereits der Vergangenheit an, er befindet sich mitten im politischen Verfallsprozeß. Ich fürchte jedoch, daß eine Aktion in einem Londoner Krankenhaus usw. usw. Pinochet zu einem Märtyrer der Streitkräfte und zu einem Märtyrer der Rechten machen könnte, zu einem Anlaß für eine tiefe Spaltung der fortschrittlichen Kräfte des Landes und auch der Kräfte der Mitte. Möglicherweise entsteht daraus ein ernstes Problem. Ich wiederhole noch einmal zusammenfassend: In dieser Sache spielen drei wichtige Fragen eine Rolle - die moralische, die rechtliche und die politische. Aus diesem Blickwinkel analysiere ich die Situation. (...) Man muß abwarten, was die Paten Pinochets sagen werden - 2.000, 2.500 oder 3.000 Opfer hat es gegeben, Verschwundene und Ermordete -, diejenigen, die die Paten und Ausbilder Zehntausender von Agenten der Repression waren, die dort in den Vereinigten Staaten in Repressionstechniken trainiert wurden. Es müßte Ihnen sehr wohl bekannt sein, daß erst vor kurzem die Trainingshandbücher veröffentlicht wurden, anhand derer jene Offiziere in Argentinien, in Chile, in Mittelamerika und anderen Teilen der Welt ausgebildet wurden. Jetzt, da sie bekannt sind, heißt es, daß die Handbücher der damals festgelegten »pädagogischen Methode« vernichtet bzw. aus dem Verkehr gezogen werden. Der dokumentarische und historische Beweis für all dies ist jedoch erbracht. Die Paten Pinochets sind verantwortlich für 30.000 Verschwundene in Argentinien, für 3.000 Tote und Verschwundene in Chile, für 150.000 Opfer in Guatemala seit jener »Befreiungsinvasion«, die 1954 von der CIA organisiert wurde. Gerade zu dem Zeitpunkt, als Arbenz wegen der Umsetzung einer Agrarreform gestürzt wurde, war Ché in Guatemala als Arzt tätig. Nun gut, das Ganze hat 150.000 Menschen das Leben gekostet. Danach hatten wir den schmutzigen Krieg gegen Nicaragua, der ebenfalls Zehntausende von Todesopfern forderte, dann der blutige Krieg gegen die revolutionäre Bewegung in EI Salvador - ein Fluß von Waffen, Mitteln, militärischer Ausbildung und Geld aus den Vereinigten Staaten, der ebenfalls Zehntausende von Menschen das Leben gekostet hat. Ganz zu schweigen von Kuba. Wir konnten den schmutzigen Krieg gewinnen, den sie gegen uns organisiert hatten. Wir konnten die Bauern, die Werktätigen, die Studenten, das ganze Volk gut organisieren, um jahrelang gegen die feindlichen Aktionen zu kämpfen, um ihnen entgegenzutreten und sie zu besiegen, bis wir schließlich den letzten der aufständischen Banditen in Escambray fassen konnten. Das war noch vor der Invasion in der Schweinebucht. Aber davon rede ich nicht, das ist in meiner Rechnung nicht aufgeführt. Wohl aber können wir viele hinzurechnen, die anderswo durch Folterungen starben, die ermordet wurden, die man verschwinden ließ. Die Täter waren diejenigen, die ihre Ausbildung in derselben Schule erhielten und denen dort auch die Repressionsdoktrin vermittelt wurde. Ich würde also Beifall klatschen oder mich glücklich fühlen - wie viele andere Menschen auf der Welt -, wenn man die revolutionäre Entscheidung treffen würde - ich sage »revolutionär«, weil sie nicht legal sein könnte -, all die Verantwortlichen zu verurteilen, von denen sicherlich einige jünger sind als Pinochet. Pinochet hat in der ganzen damaligen Zeit viel Hilfe bekommen, viel offizielle Unterstützung und viele Kredite aus den wesentlichen Ländern. Der Internationale Strafgerichtshof ist noch keine beschlossene Sache. Er ist eine ausgezeichnete Idee, vorausgesetzt, daß er nicht unter der Leitung des UN-Sicherheitsrates steht, denn dort gibt es Vetorechte, und die Vereinigten Staaten würden sie ausnutzen, um all ihre Freunde und all ihre Verbündeten zu decken. Ein Internationaler Strafgerichtshof unter der rechtlichen Verantwortung des UN-Sicherheitsrates wäre nicht ausgewogen, man könnte kein Vertrauen in ihn setzen. Wir unterstützen die Idee, aber wir vertreten deshalb auch die Ansicht, daß der Sicherheitsrat nicht die Leitung übernehmen darf, solange die Vereinten Nationen nicht demokratisiert sind. Überdies haben wir dargelegt, daß Wirtschaftsblockaden zu den Delikten des Völkermords und der Kriegsverbrechen hinzugerechnet werden müssen, wenn sie vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen und von diesem bestraft werden. In diesen beiden wesentlichen Punkten vertreten wir dazu eine abweichende Meinung. Wir würden solche Institutionen durchaus als Fortschritt sehen. Nicht jedoch z.B. das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) und sonstige Knebelungsmaßnahmen, die am Rande er internationalen Organisationen vereinbart werden sollen, um die von den Vereinigten Staaten erzwungene Weltordnung festzuschreiben. Ein Internationaler Strafgerichtshof ohne eine neue, gerechte Weltordnung in den Händen des Sicherheitsrates könnte eines Tages dazu dienen, all jene zu bekämpfen, die sich dieser ungerechten Ordnung widersetzen. Auf diese Weise würde er zu einem Instrument in der Hand eines Landes, das - wie Sie alle wissen - in jeder Angelegenheit nach Gutdünken interpretiert und entscheidet. (.) In alledem (Fidel Castro bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Kriegsvorbereitungen der USA gegen Serbien und die Bombardierung Sudans und Afghanistans, d. Red.) sehen wir einseitige Maßnahmen, mangelnde Achtung gegenüber den internationalen Rechtsnormen und das Recht der USA, mit ihrer ungeheuren Macht zu tun, was ihnen beliebt. Dies kann niemandem Sicherheit bieten, keinem Land und keinem Volk, das sich den Interessen der Ordnung widersetzt, die sie der Weit gegenwärtig aufzwingen. Man kann dies als vierte Sorge den anderen dreien hinzufügen. (...) Wenn sich die in London ergriffenen Maßnahmen danach in einem jungfräulichen, märtyrerhaften Bild von Pinochet niederschlagen würden, in einer gestärkten Rechten gegen die gespaltenen und geschwächten Kräfte der linken Mitte, und wenn infolge all dessen die Rechte in Chile erneut die Macht übernähme, und dies auf dem Weg der Wahlen aufgrund des wirklich ziemlich zerstörerischen und spalterischen Effekts, den diese Episode in Chile haben könnte, dann wäre das der Gipfel. Es ist unsere Pflicht, mit kühlem Kopf auf die Ereignisse zu reagieren. (.) Ich habe die Nachricht mit kühlem Kopf analysiert. Ich wollte mich nicht von einem natürlichen Impuls der Begeisterung und der Freude über die simple Nachricht der Verhaftung Pinochets im Bett eines Londoner Krankenhauses hinreißen lassen. Viel Heuchelei und viel Komplizenschaft gibt es im Umfeld dieser Geschichte und der Rolle dieser unheilvollen Person, dieses Exponenten des Antikommunismus, dieses getreuen Verfechters der Doktrin und der Interessen des Imperialismus in unserer Hemisphäre. Wenn man nun die internationalen Normen übergehen will und der britischen Regierung, einem treuen Verbündeten der Vereinigten Staaten, das Privileg der Exterritorialität zugestehen will, so darf man dabei nicht die Verantwortung und Bestrafung vergessen, die die großen Schuldigen und Verbündeten Pinochets verdienen. Sie von jeder Schuld auszunehmen, wäre unmoralisch, heuchlerisch und unentschuldbar. (.) Journalist: Haben Sie Angst, daß Ihnen eines Tages das gleiche wie Pinochet widerfahren könnte? Fidel Castro: Mir? Nein, denn unsere Fälle sind nicht gleich. Vielleicht irre ich mich, aber ich bin durch die Welt gereist, und dies inmitten der Hetzjagd, die sie jahrelang gegen mich organisiert haben, um mich physisch zu eliminieren. Ich habe keine Angst, irgendwohin zu fahren. Die geplanten Anschläge, die sie gegen mich versucht haben, gehen in die Hunderte und hier bin ich nun, mitten unter Ihnen, glücklich, heute morgen. Außerdem gehöre ich zu der Gattung der Menschen, die nirgendwo leicht verhaftet werden können, nicht nur wegen meiner Moral, wegen meiner Überzeugung, sondern auch wegen meiner ganzen Lebensgeschichte, die ich gut, ziemlich gut kenne, und die ist nicht von unseren Feinden geschrieben worden. Man könnte eine ganze Enzyklopädie schreiben, um die Unterschiede aufzuzeigen. Wir haben immer gesagt: »Vaterland oder Tod«, wenn wir von unseren Ideen sprechen. (...) Ich gehe dorthin, wo man mir ein Visum erteilt, und außerdem ich eine Moral, Würde, und ich würde gern wissen, was geschehen würde, wenn es ihnen einfiele, etwas in dieser Richtung zu tun. Ich denke eher an andere Führungskräfte, an die vielen, die es in der Welt gibt. Arafat reist beispielsweise durch Europa, durch viele Teile der Weit, und sagen wir mal, sie können Arafat jeden Tag verhaften und ihm den Prozeß machen, ein Verfahren dieser Art anhängen, als Preis für den langen Kampf um die Freiheit seines Volkes. Ich denke an Sie, ich denke an die fortschrittlichen Menschen in der Welt, und ich denke an die Mächtigen, die sich die Freiheit nehmen, solche Dinge zu tun. Batista hat etwa 20.000 Kubanerinnen und Kubaner ermordet; viele seiner gedungenen Mörder setzten sich in die Vereinigten Staaten ab, und viele von ihnen nahmen Hunderte von Millionen mit. Batista hat nur 500 Millionen gestohlen. Wir für unseren Teil haben noch nicht einmal eine Gruppe organisiert, um sie zu jagen, und wir hatten wer weiß wie viele Freiwillige, die wir dorthin hätten schicken können, wo Batista sich aufhielt, und wir hätten mit Herrn Batista und anderen s einer Sorte abrechnen können. Außerhalb unserer Landesgrenzen wollten wir keine Selbstjustiz üben. In der Schweiz haben sich Milliarden angehäuft, die unseren Völkern gestohlen wurden, und es gab niemals ein Gesetz, niemals Gerichtsverfahren, niemals Gerechtigkeit, um dieses Geld einzufordern. Mobuto hat 7 Milliarden mitgenommen, und niemand weiß, wo dieses Geld geblieben ist. Unsere Länder sind von jeher ohne jeglichen Schutz gewesen. Wohl aber wäre ich für die Existenz unparteiischer, unabhängiger internationaler Gerichte, die sämtliche Völker gegen Verbrechen, Völkermord und Ausplünderung schützen würden. Ich wäre ganz entschieden dafür, daß solche Taten verurteilt werden könnten. Dies ist mein Standpunkt. Ich kenne diese Welt ziemlich gut, und unser Gegner ist nicht irgendein Gegner, sondern er ist die einflußreichste Macht, die es je in der Geschichte gegeben hat. Als ich dieses Museum sah, erinnerte ich mich dauernd an Rom, an seine unermeßliche Macht, an seine Fähigkeit zu bauen, was hier in dieser von Rom so fernen Gegend wie Mérida gebaut wurde, als es noch keine Dampfschiffahrt gab, keine Flugzeuge, keine Telefone, nichts, und ich fragte mich, ob an einem Tag des zerfallenden Imperiums ähnliche Ruinen wie diese zurückbleiben würden, denn zu jener Zeit schien das römische Reich mit seinen Legionen so unerschütterlich und so unbesiegbar wie es heute das US-amerikanische Imperium zu sein scheint. Ich habe sogar versucht, mir vorzustellen, wie in ein paar Jahrhunderten die Reste der Großstädte aussehen würden, was von Disneyland noch übrig wäre, von den hohen Wolkenkratzern und alledem, was das neue Rom gebaut hat, denn hier lernt man eine Lektion darüber, daß die Zeiten vergehen und kein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ewig ist. Früher wurden diese Bauwerke vielerorts von Sklaven und einigen Handwerkern errichtet. Viele der Bauwerke in der heutigen Welt -. z.B. der Staudamm von ltaipu und viele andere, die hier genannt werden könnten -, werden von modernen Sklaven errichtet, und sie bereichern eine Minderheit, die über umfangreiche Mittel verfügt. (...) Journalist: Und wen würden Sie Ihrer Ansicht nach auf die Anklagebank setzen? Fidel Castro: Aus revolutionärer Sicht würde ich Pinochet mit der ganzen Gruppe hinsetzen, die Pinochet hervorgebracht hat, die Pinochet unterstützt hat, die Pinochet erzogen hat und ihn dazu gebracht hat, solche Verbrechen zu begehen. Journalistin: Erklären Sie's mir. Ich war noch klein, als das ganze Problem mit Pinochet war. Fidel Castro: Soll ich Ihnen erklären, wer? Ich habe sie schon definiert, ich möchte keine Namen nennen, aber von denen, die beteiligt waren, muß es viele Leute geben, die jünger sind als Pinochet. Ich empfehle Ihnen, über das Internet in den Archiven nach den freigegebenen Dokumenten zu suchen, die Auskunft darüber geben, wie der Sturz Allendes zustandekam, wer an alledem beteiligt war und was jeder einzelne getan hat, denn die Liste ist lang, und es sind viele. Darin ist auch die Rolle dargestellt, die jeder einzelne gespielt hat. Nun gut, das wäre eine große Lektion, aber sie müßte revolutionär sein, diejenigen, die für eine Verurteilung Pinochets eintreten, wo auch immer. Ich argumentiere also lediglich, daß mit Pinochet auch die großen Schuldigen und die Erzeuger der Pinochets verurteilt werden. Es wird nichts erreicht, selbst wenn man ihn vor ein Erschießungskommando stellt oder ihn zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Ich glaube, in Europa ist die Todesstrafe abgeschafft, aber da bleibt noch die lebenslängliche Haft. Er soll verurteilt werden mit allen, die seine Komplizen waren. Dies wäre meine bevorzugte Option. Wenn dies nicht möglich ist, nun gut, dann würde ich sagen, daß ich mir viel größere Sorgen um Chile mache, über seine gegenwärtige Situation, seine Zukunftsperspektiven, als über die Frage, ob Pinochet eine mehr oder weniger harte Gefängnisstrafe bekommt. Ich gehe sogar noch weiter: Ich behaupte, daß die Verantwortlichen für die 30.000 Verschwundenen in Argentinien hätten verurteilt werden und eine exemplarische Strafe bekommen müssen. Diejenigen, die in vielen anderen Ländern Lateinamerikas die Verbrechen begangen haben, müßten exemplarisch bestraft werden. Ich werde mich nicht mit simplen rechtlichen Fragen aufhalten. Um eine Revolution zu machen, muß man Verfassungen und alle möglichen Gesetze ändern, und gerade darin lag der Kern unserer Revolution. Wenn es notwendig ist, juristische Grundsätze außer acht zu lassen und man sie auf revolutionäre Art und Weise außer acht läßt, so müßte man dies tun, um die neuen revolutionären Grundsätze, die aus dieser Aktion entstehen, in aller Gerechtigkeit anzuwenden. (...) (1) stark gekürzte Auszüge aus einem Gespräch mit Journalisten während seines Staatsbesuches in Spanien am 20.10.1998. Nach einer offiziellen Übersetzung in der Zeitung Granma vom 21.10.1998
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