Logo Geheim 3/1998

Historikerkongreß & Nachrichtendienste:
»Clio - Muse oder Hure?« Ehrenrettung der Hure Clio

Zur Diskreditierung der marxistischen Geschichtswissenschaft bedienen sich konservative Geschichtspolitiker der auf Vorurteile spekulierenden rhetorischen Frage, ob »Clio«, die nach der griechischen Mythologie als eine der neun »Musen« die Geschichtswissenschaft symbolisiert, »Muse oder Hure« sei, »rhetorisch«, weil die Frage die Unterstellung enthält, die marxistische Geschichtswissenschaft sei der kommunistischen Partei- und Staatspolitik auf verwerfliche Art zu Willen (gewesen). Die gewünschte und gewollte Schmuddelatmosphäre entstünde nicht, wenn die Unterstellung der Dienstbarkeit beispielsweise mit dem Begriff »Magd« umschrieben würde: »Clio - Muse oder Magd?« Vorsicht also. Verdunklungsgefahr.

Aber bleiben wir gleichwohl auf dem Kampfplatz, den die Demagogen gewählt haben.

So, wie man jungen Leuten heute erklären muß, daß die Formel »Auge um Auge, Zahn um Zahn« nicht eine Aufforderung zu kühlender Gewalt und gerechter Rache darstellt, sondern einen zivilisatorischen Fortschritt, nämlich die Begrenzung von Rache und die Beschränkung des Überlegenen und Siegers im Kampf, daß z.B. dieses Prinzip gesunden Volksempfindens im deutsch-französischen Krieg 1870/71 der Forderung August Bebels und der Sozialdemokratie nach einem Frieden ohne Annexionen und Kontributionen im Moment der deutschen Überlegenheit und des absehbaren Sieges über das als Aggressor auftretende Frankreich zugrunde lag, so muß man denselben jungen Leuten zur Ausbildung ihres Urteilsvermögens auch mit Lessing und Weitling erklären, daß die Religion Christi und die christliche Religion zwei ganz verschiedene Dinge sind, die beide bis heute wirken, die sich kaum zusammen in einem Buche finden lassen, so daß z.B. zwar die christliche Religion wie alle Herrschaftsreligionen der Herren die Huren verurteilt, daß aber »die Religion Christi, diejenige Religion, die der Mensch Christus selbst erkannte und übte, die jeder Mensch mit ihm gemein haben kann« (Lessing), in allen Sprachen der Welt mit der Hure Maria Magdalena die Ehre aller Huren verteidigt: ». aphéontai hai hamartíai autäs hai pollaí, hóti ägápäse polüï!« - ». remittuntur ei peccata multa, quoniam dilexit multum!« - ». her sins, which are many, are forgiven; for she loved much!« - ». ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt!« (Lk 7, 47)

Der 42. Deutsche Historikertag (1998) beschäftigte sich an diesem 10. September, dem dritten Tag der Veranstaltung, unter der Leitung von Jürgen Rohwer/Weinstadt und Reinhard R. Doerries/Nürnberg mit der »Geschichte von Nachrichtendiensten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen in Frieden und Krieg - Intentionen und Wirklichkeiten«. War da nicht was? . (s.a. S. 19)

Wie akademisch! ruft man mit Tucholsky - und der Strahl des Spotts trifft die Pharisäer, die Heuchler, nicht aber die Liebhaber der ehrenwerten Hure Clio.

hpb


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