Logo Geheim 3/1998

Das Baskenland sucht einen Weg aus dem Labyrinth
Waffenstillstand der ETA

Keine ETA(1)-Aktion fürchtete die konservative Regierung des spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar mehr, als daß die baskische Untergrundorganisation einen Waffenstillstand verkünden könnte. Auf alle Eventualitäten, wie z.B. erschossene Parteimitglieder oder blutige Bombenanschläge, war man vorbereitet, die entsprechenden Drehbücher lagen bereit.

Aber am 17. September dieses Jahres kam es mal wieder anders als man in Madrid dachte. ETA tat das, was Madrid nicht wollte: Sie verkündete einen Waffenstillstand, unbefristet und bedingungslos, der ab 0 Uhr in Kraft treten sollte. Damit übernahm die baskische Seite die strategische Initiative in einem sich anbahnenden Verhandlungsprozeß nach nordirischem Muster, den sowohl die konservative Partido Popular (PP/ Volkspartei) als auch die sozialistische Partido Socialista Oberero Español (PSOE/Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens) ablehnen.

Bis dahin hatte die konservative Madrider Zentralregierung nichts unversucht gelassen, das sogenannte »baskische Problem« mit repressiven Maßnahmen zu lösen. Zum Sommerbeginn 1998 konnte das Madrider Innenministerium eine beachtliche Bilanz vorlegen: Der gesamte Parteivorstand Herri Batasuna (HB) saß im Gefängnis, verurteilt zu sieben Jahren Haft wegen Zusammenarbeit mit ETA; zahlreiche ETA-Kommandos waren eliminiert; Baltasar Garzón, der Star-Richter an der Audiencia Nacional, dem Obersten spanischen Gerichtshof, hatte Ende Mai einen aufsehenerregenden Schlag gegen den vermeintlichen ETA-Finanzapparat geführt: zahlreiche kleinere Geschäfte und Unternehmen hatte er unter dem Vorwand, Geldwaschanlagen von ETA zu sein, schließen lassen. Die spanischen Medien sekundierten ihm, indem sie die baskischen Sprachschulen von AEK (Koordination der Baskischen Alphabetisierungskampagne) als Kaderschmieden der ETA und des radikalen Nationalismus im Baskenland darstellten. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die »prophylaktische Schließung« der Tageszeitung EGIN und des Radiosenders »EGIN-Irratia« sowie des Verlagshauses Orain S.A und weiterer Unternehmen am 15. Juli 1998.

In der spanischen Presse vernahm man kaum Kritik an dieser in Westeuropa wohl einmaligen Aktion. Schließlich betrachtete sie Egin als das »Sprachrohr der Terroristen«, das der ETA als Informationsquelle und Zielfernrohr gedient haben soll. Bei diesem Thema »Gewalt im Baskenland« setzt erfahrungsgemäß regelmäßig und länderübergreifend der journalistische Verstand aus, und die Zunft übt sich im Widerkäuen von Klischees.

Die Schließung von Egin traf die »baskische nationale Befreiungsbewegung« schwer, war doch die Zeitung mit ihrer Tagesauflage von 50.000 Exemplaren und über 150.000 Lesern das einzige Forum kontroverser Diskussion, auf dem auch jene Informationen angeboten wurden, die andere Medien aus falsch verstandener »political correctness« nicht veröffentlichten.

In dieser Atmosphäre warteten sowohl die spanischen Medien als auch ein Teil der radikalen Linken sehnsüchtig auf eine »Antwort« von ETA und stilisierten erlöst und eilfertig den Brand eines spanischen Radiosenders in San Sebastián zu der erwarteten ETA-Aktion. Aber trotz alles Wünschens und Insistierens blieb die städtische Feuerwehr dabei, ein technischer Defekt habe den Brand verursacht - kein Molotow-Cocktail.

Wider aller Erwartung friedlich verlief auch die Demonstration von 70.000 Menschen für Egin und gegen die Repression am 18. Juli, dem 62. Jahrestag des Franco-Putsches von 1936. An der Spitze des Demonstrationszuges marschierten auch Mandatsträger des christdemokratischen Partido Nacionalista Vasco (PNV/Baskische Nationalpartei), was zu erregten Reaktionen auf spanischer Seite führte.

Die Gegenrechnung zu dieser Bilanz sieht naturgemäß anders aus. Die Schläge, die ETA seit Sommer '97, nach der Entführung und Ermordung des konservativen Stadtrats von Ermua, Miguel Angel Blanco, hat einstecken müssen, haben ihre Strategie verändert. Der letzte tödliche Anschlag fand im Juni statt und kostete einem weiteren konservativen Stadtrat das Leben. Diese Aktion hatte aber letztendlich keine Auswirkungen auf die Geheimverhandlungen zwischen den baskischen Parteien Partido Nacionalista Vasco (PNV) und Herri Batasuna (HB), deren Ziel es war, eine gemeinsame Strategie zur friedlichen Regelung des Konflikts zu erarbeiten. Zeitgleich mußte die Zentralregierung herbe Niederlagen einstecken. Ein Teil ihres Geheimdienstnetzes im Baskenland flog auf, und nur die Schließung von Egin verhinderte weitere peinliche Enthüllungen im bald einsetzenden baskischen Wahlkampf. Die Anti-ETA-Koalition der sogenannten demokratischen Parteien war bereits im März zerbrochen, kurz nachdem der scheidende baskische Ministerpräsident José Antonio Ardanza (PNV) seinen Vorschlag zur friedlichen Lösung des baskischen Konflikts präsentiert hatte. Der »Plan Ardanza« stellt zum ersten Mal einen gangbaren Weg zwischen der Madrider Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation der ETA und deren »Demokratischer Alternative« dar.

Auf internationaler Ebene mußten die spanischen Hardliner ebenfalls empfindliche Niederlagen hinnehmen. Im Juni erhielt die baskische Friedensgruppe »Gesto por la Paz« im deutschen Münster den von christdemokratischen Unternehmern gestifteten »Westfälischen Friedenspreis«. Der ehemalige EU-Administrator von Mostar, Hans Koschnik, unterstrich bei der Preisübergabe, daß der Dialog der modernen Logik des Friedens entspräche. Kurz zuvor noch hatte der spanische Botschafter um internationale Unterstützung im Anti-ETA-Kampf geworben, als einzigem Weg, den Frieden in Europa zu erhalten, wie der Diplomat meinte. Neues Ungemach für Spanien brachte der August, als belgische und US-amerikanische Richter sich weigerten, tatverdächtige ETA-Angehörige an die spanische Justiz auszuliefern, mit der Begründung, die belastenden Aussagen könnten unter Folter entstanden sein.

Daß in Spanien, das sich seit 1978 als »demokratischer Rechtsstaat« versteht, die Bedeutung dieses Begriffs noch nicht von allen seinen staatstragenden Teilen verstanden wird, zeigen zwei Ereignisse.

Als Richter Balatasar Garzón Egin schließen ließ, kam die Behauptung auf, es könne sich hierbei um eine von der Exekutive gesteuerte Aktion gehandelt haben. Ein Ding der Unmöglichkeit, in einem demokratischen Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung in Exekutive, Judikative und Legislative, möchte man meinen. Richter Garzón benötigte fünf Tage, um die Begründung für die Schließung von Egin zu verfassen, der spanische Innenminister nur wenige Stunden, um die Schritte Garzóns zu rechtfertigen.

Während die Egin-Verteidiger auf den höchstrichterlichen Beschluß tagelang warten mußten, schien die spanische Presse aus einer Informationsquelle im Innenministerium zu schöpfen, die sie zuverlässig mit den immer letzten Neuigkeiten versorgte. Danach sollte der verhaftete Chefredakteur Jabier Salutregui nach einem Treffen mit der ETA-Führung seinen Posten erhalten haben. Über ein Modem und die mit Geheimwort gesicherte Mailbox habe die ETA ihm ihre Instruktionen zukommen lassen, hieß es. Die Anekdote von Salutreguis Ernennung ist aber mindestens zwei Jahre alt. 1996 wurde sie von der rechtskonservativen ABC in die Welt gesetzt, in der Hagiographie des Guardia Civil-Generals Enrique Rodríguez Galindo, genannt »die Geißel der ETA«.

Alle anderen Beweise waren ebenso schwach oder ebenso alt, so daß sich die Frage nach dem »Warum jetzt?« geradezu aufdrängt.

Daß die Gewaltenteilung in Spanien in der Tat kein allzu hoher Wert ist, machte Ministerpräsident José María Aznar öffentlich deutlich. Nachdem er sich für den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen hatte und der türkische Innenminister ihm Unterstützung im Anti-Terrorkampf zugesichert hatte, verkündete Aznar aus dem fernen Ankara: »Wir haben nichts gemacht, was wir nicht angekündigt hätten.« Konkret auf Egin bezogen fügte der Regierungschef hinzu: »Gibt es denn wirklich jemanden, der geglaubt hat, wir würden uns nicht trauen, es [EGIN] zu schließen?«(2) Ein Glück für Aznar, daß niemand in Spanien die Hintergründe dieser exekutiven und judikativen Operation hat hinterfragen wollen.

Wenige Tage nach diesen Bekenntnissen erhielt die spanische Justiz ihre zweite Zurechtweisung. Die Richter des Obersten Gerichtshofes hatten sich gerade zur Beratung zurückgezogen, um das Urteil im ersten GAL-Prozeß gegen Ex-Innenminister José Barrionuevo, seinen ehemaligen Staatssekretär Rafael Vera und weitere Angeklagte zu fällen, da war ihr Urteilsentwurf schon in der spanischen Presse lesen. Statt wie gesetzlich vorgesehen nach StPO und StBG hinter verschlossenen Türen der Justiz, fand die Diskussion über Urteil und Strafmaß in den Massenmedien statt. Das Ergebnis: Die Haftstrafe fiel geringer aus als zunächst angestrebt. Die interne Suche nach der undichten Stelle verlief erfolglos.

Den Ferienmonat August verbrachten viele Menschen im Baskenland in der bangen Erwartung, ob Richter Garzón nach seinem Urlaub das Baskenland mit neuen Aktionen heimsuchen würde. Ganz oben auf seiner Abschußliste stehen die linksnationale Gewerkschaft LAB und die Koordination der Baskischen Alphabetisierungskampagne (AEK).

Obwohl das Garzónsche Schwert einer erneuten Schließung an seidenem Faden über ihnen hängt, produzieren die ehemaligen Egin-Redakteure mit viel Engagement eine neue, mittlerweile 16seitige Zeitung »Euskadi Información« (Baskischer Informationsdienst). Ihre Mühen wurden indirekt belohnt: Die Titelseite von Euskadi Información erschien mit der Waffenstillstands-Erklärung auf allen Bildschirmen des spanischen Fernsehens.

Am Ende hat die geschilderte Repressionskampagne das genaue Gegenteil des angestrebten Effekts bewirkt: Die Fronten sind auf baskischer Seite nicht weiter verhärtet, sondern haben sich aufgelockert. Herri Batasuna (HB) wird als Wahlbündnis unter dem neuen Namen »Euskal Herritarrok« (Wir, die baskischen Bürger) antreten, um verlorengegangene Sympathien zurückzugewinnen und um einem drohenden Verbot zu entgehen. Der PNV hat den Mut gehabt, sich mit HB weiter zu treffen und, allem Druck aus Madrid zum Trotz, ein neues Verhandlungsszenario zu entwerfen. Am 13. September unterschrieben beide Parteien zusammen mit ca. 20 anderen gesellschaftlichen Organisationen die »Erklärung von Lizarra«, die als Basis für einen baskischen Verhandlungsprozeß gedacht ist. Diese Entwicklung und der von ETA verkündete »bedingungslose und unbefristete« Waffenstillstand lassen die aufkeimende Hoffnung auf ein friedliches Endes dieses Konfliktes als berechtigt erscheinen.

Trotz allem ist Vorsicht geboten. Eine solche Situation hat es im Baskenland Ende November 1989 schon einmal gegeben. Damals beschloß HB, den Verhandlungsprozeß nach den spanischen Parlamentswahlen in Madrid voranzubringen. Hoffnungsträger war der damalige Parlamentsabgeordnete und Chefredakteur von Egin, Josu Mugurza. Am Morgen des 20. November 1989, an Francos 14. Todestag, ließ er sich zusammen mit seinen HB-Kollegen als Abgeordneter akkreditieren; kurz vor Mitternacht starb er durch einen Kopfschuß in dem Madrider Restaurant Alcalá. Als Täter verurteilte die spanische Justiz einen Angehörigen der Nationalpolizei. Seine Verbindungen zu den spanischen Diensten und deren Anwesenheit im Alcalá am Tag des Attentats wurden nie weiter untersucht.

Jabier Salutregui verfaßte den Nachruf auf seinen ermordeten Kollegen unter dem Titel: »Han matado la esperanza« - »Sie haben die Hoffnung getötet.« Der Hoffnung beraubt, blieb ETA beim bewaffneten Kampf.

Die Ermordung Mugurzas zeigt, daß die Entwicklung zu einer friedlichen Lösung des baskischen Konflikts auch und vielleicht gerade aus dieser Richtung bedroht sein kann. Schließlich hat ETA mit der Erklärung des Waffenstillstand die spanische Regierung in Zugzwang gebracht. ETA hat am wenigstens zu verlieren und am meisten zu gewinnen, auch dann, wenn am Ende des Verhandlungsprozesses nicht die Unabhängigkeit des Baskenlandes stehen sollte, wie viele deutsche Journalisten immer wieder prognostizieren. Für eine rechtskonservative, nationalspanische Regierung steht viel mehr auf dem Spiel: Sie könnte den letzten Rest des einst so mächtigen Weltreiches verlieren, den letzten Anschein einer vielbeschworenen nationalen Einheit. Vor genau hundert Jahren, 1898, verlor das Königreich seine letzten beiden Kolonie in Übersee, Kuba und die Philippinen. Die spanische Intelligenzia versank in Wehmut. Aber einer gab seiner Schadenfreude Ausdruck: Sabino Arana, der Vater des baskischen Nationalismus, schickte dem US-Präsidenten ein Glückwunsch-Telegramm. Die provozierte spanische Regierung warf ihn ins Gefängnis. Seitdem versuchen linke wie rechte Regierungsparteien in Madrid, wenigstens das verbleibende Mutterland zusammenzuhalten, und sei es mit Gewalt. Daraus erklärt sich, warum die »nationale Einheit« in der spanischen Verfassung von 1978 Verfassungsrang erhielt und Artikel 6 den spanischen Streitkräften deren Schutz übertrug. Der militärische Geheimdienst CESID bildet die Speerspitze der uniformierten Wächter der »nationalen Einheit« im Kampf gegen ETA. Er soll es auch gewesen sein, der durch Indiskretionen die Verhandlungen von Algier (1989) zwischen ETA und der regierenden PSOE scheitern ließ.

Am 25. Oktober werden die Wahlen zum baskischen Parlament stattfinden. An ihrem Ergebnis wird sich ablesen lassen, wie die Wähler die faktische Bildung eines nationalbaskischen Blocks einerseits und die nationalspanische Kooperation PP-PSOE andererseits beurteilen. Das Baskenland und Spanien nähern sich einer Wegscheide: Entweder begeben sich alle Beteiligten auf den steinigen und mühevollen Weg einer friedlichen Lösung heraus aus dem baskischen Labyrinth, oder die Parteien im »baskischen Konflikt« gehen in eine neue Phase der leidvoll erfahrenen Auseinandersetzung.

1 ETA = Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit 2 El Mundo, 22.7.98.

Niebel, Ingo


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