Logo Geheim 3/1998

Wider das Vergessen
Die Justizopfer des Kalten Krieges fordern ihre Rehabilitierung

Erich Röhlck, Hamburg: 2 Jahre und 5 Monate. Manfred Fackel, Neumünster: 2 Jahre. Kurt Baumgarte, Hannover: 1 Jahr und 10 Monate. Werner Braukmüller, Hildesheim: 4 Jahre. Willi Gerns, Bremen: 2 Jahre 5 Monate. Otto Hans, Hildesheim: 4 Jahre und 8 Monate. Willy Meyer-Buer, Bremen: 8 Monate. Bruno Nelson, Kiel: 2 Jahre. Willi Orzykowski, Hannover: 3 Jahre. Gertrud Schröter, Celle: 1 Jahr. Kurt Erlebach: 1 Jahr .

Viele Jahre Gefängnis sind in diesem Sommer in einem Hamburger Gewerkschaftssaal zusammengekommen, lange Jahre erniedrigender Polizeiaufsicht und ohne aktives und passives Wahlrecht, mit existenzgefährdenden Berufsverboten belegt und unter penetranter Beobachtung des Staats- und Verfassungsschutzes.

Die »Politischen« des Kalten Kriegs gaben sich ein Stelldichein, um im vereinigten Deutschland auf ihre Schicksale aufmerksam zu machen.

Keine Stasi-Opfer, kein DDR-Unrecht - nein, rund zweihundert westdeutsche Justiz- und Verfassungsschutzopfer des Kalten Kriegs versammelten sich und forderten ihre Rehabilitierung, Entschädigung für erlittenes Unrecht sowie die Auszahlung ihrer Renten, die ihnen wegen der Verfolgung in der NS-Zeit eigentlich zustünden.

Da sitzt beispielsweise die über achtzigjährige Gertrud Schröter aus Celle im Saal: Sie ist Anfang der 60er Jahre mit anderen Frauen nur deshalb für ein ganzes Jahr ins Gefängnis gewandert, weil sie Ferienreisen in die DDR für Kinder aus sozial schwachen Familien organisiert hatte. Fünf Jahre Polizeiaufsicht sowie die Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte folgten. Die Ferienvermittlung sei, so das Landgericht Lüneburg, »staatsgefährdende nachrichtendienstliche Tätigkeit« und politische »Wühlarbeit« in einer »kommunistischen Tarnorganisation«.

Einem anderen Teilnehmer der Konferenz wurde damals »Rädelsführerschaft in Tateinheit mit Geheimbündelei in verfassungsfeindlicher Absicht« vorgeworfen. So wurde das Eintreten Kurt Baumgartes für die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR sowie seine Forderung nach Anerkennung der DDR vom Landgericht Lüneburg gewertet und mit fast zwei Jahren Gefängnis bestraft. Das KPD-Mitglied Baumgarte, heute über 85 Jahre alt, war bereits 1936 vom Volksgerichtshof wegen »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er hatte von 1935 bis 1945 Gestapo- und Zuchthaus-Isolationshaft durchlitten, davon ein dreiviertel Jahr in Hand- und Fußeisenketten. Nach dem Kriege war er für die KPD Abgeordneter des ersten Niedersächsischen Landtages.

Nach seiner abermaligen Verurteilung im Jahre 1966 wurde ihm seine Verfolgten- bzw. Wiedergutmachungsrente aberkannt, die ihm für geleisteten Widerstand in der NS-Zeit und als Verfolgtem des Naziregimes zugestanden hätte. Dies ist möglich nach dem Bundesentschädigungsgesetz, wonach Leistungen solchen Personen versagt werden können, die nach 1945 ff gegen die »freiheitlich demokratische Grundordnung« eingetreten sind - und dies wurde bei politisch aktiven Kommunisten durchweg angenommen.

Ein anderer Beschuldigter, der unter den Nazis wegen KPD-Mitgliedschaft sieben Jahre im Zuchthaus gesessen hatte, mußte sich in der Bundesrepublik von einem Staatsanwalt am selben Gericht dieses vorhalten lassen: »Straferschwerend kommt hinzu, daß der Angeklagte bereits wegen solcher Tätigkeiten hart bestraft worden ist. Das hat nichts genützt.« Auch die Kommunistin Herta Dürrbeck mußte sich in Lüneburg vorhalten lassen, daß sie »trotz schwerer Bestrafung in den Jahren des Nationalsozialismus nichts gelernt« habe.

Am Landgericht Lüneburg, das bei der Kommunistenhatz der 50er und 60er Jahre ganz besonders wütete, sorgte ein ganz besonderer Staatsanwalt, später Oberstaatsanwalt, für die entsprechenden Anklagen: Karlheinz Ottersbach, geb. 1912. Er machte sich einen Namen als unnachgiebig harter Staatsdiener, der hohe Strafanträge auch gegen jene Delinquenten stellte, die bereits in der NS-Zeit verfolgt worden waren.

Mit Unerbittlichkeit kannte sich Ottersbach aus, war er doch Staatsanwalt am NS-Sondergericht in Kattowitz (Polen) gewesen. Damals hatte er zahlreiche Todesurteile beantragt und auch durchgesetzt, zum Teil wegen Bagatelldelikten wie geringfügigem Diebstahl von Lebensmitteln, begangen von hungernden Polen. Selbst nach Bekanntwerden der Greueltaten dieses furchtbaren Juristen konnte sich Ottersbach zunächst weiterhin am Landgericht Lüneburg als »erfolgreicher« Kommunistenjäger betätigen. Erst 1965 wurde er im Alter von 53 Jahren mit vollen Bezügen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Außer am Landgericht Lüneburg, wo über zehn ehemalige NS-Juristen tätig waren, richteten über 80 ehemalige NS-Staatsanwälte und -Richter, die an zahlreichen Todesurteilen mitgewirkt hatten, bundesweit auch an anderen Landgerichten, an Oberlandesgerichten und am Bundesgerichtshof in politischen Strafverfahren gegen den alten Feind.

In der Alt-Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre haben die Strafverfolgungsbehörden gegen etwa 250.000 Kommunisten, »Sympathisanten« und unabhängige Linke ermittelt, mit zum Teil gravierenden rechtlichen und sozialen Folgen für die Betroffenen und ihre Familien. Langfristige Observationen, Abhöraktionen und Untersuchungshaft drangsalierten diese Menschen.

Rund Zehntausend von ihnen wurden verurteilt zu mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Gefängnisstrafen, sie wurden unter Polizeiaufsicht gestellt, mit Berufsverboten belegt und ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt - nur weil sie sich kommunistisch oder linksoppositionell betätigt hatten, ohne jemals Gewalt ausgeübt oder angedroht zu haben.

Eine Rehabilitierung und Entschädigung wird ihnen sowohl nach Beendigung dieser Art von Repressionspolitik im Jahre 1968 als auch nach Ende des Kalten Krieges verweigert.

Nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik bildete sich in Ost wie in West rasch ein gesellschaftlicher Konsens heraus, die Geschichte der DDR umfassend aufzuarbeiten, die ungeheuerlichen Stasi-Machenschaften aufzudecken und die Opfer der Stasi und der DDR-Justiz zu rehabilitieren und zu entschädigen. Vom Ansatz her ein respektables und wichtiges Anliegen, auch wenn es - von heute aus betrachtet - streckenweise zu einer interessegeleiteten, staatsdominierten Pauschal-Abrechnung mit der realsozialistischen DDR und ihren Funktionsträgern geraten ist - mit dem erklärten Ziel der endgültigen Delegitimierung des Gesellschaftssystems der ehemaligen DDR. Jedenfalls handelt es sich bei diesem Projekt um ein äußerst einseitiges Unternehmen, dem entgegenzuhalten ist, daß die Aufarbeitung der Geschichte in einem ehedem geteilten Land unteilbar ist.

Die Konzentration auf die Geschichte der DDR und auf die Stasi führte vollends zur Verdrängung der Geschichte Westdeutschlands, in der es jedoch überaus dunkle Kapitel gibt, die dieses Land von Anfang an bis in die heutige Zeit nachhaltig geprägt haben.

Deshalb brauchen wir - neben der einseitig ausgerichteten Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte - endlich eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte Westdeutschlands.

Die Justizopfer des Kalten Krieges, die sich in einer Initiative zur Rehabilitierung zusammengefunden haben, forderten während ihrer Tagung in Hamburg darüber hinaus die Aufhebung des KPD-Verbots, das eine heute noch wirksame Altlast aus der Zeit des Kalten Kriegs ist.

Außerdem fordern sie eine rasche Rehabilitierung der bundesdeutschen Justizopfer des Kalten Krieges. Schließlich sind diesen Menschen systematisch Ungerechtigkeiten widerfahren, Ungerechtigkeiten, die den offiziell postulierten Maßstäben der sogenannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung eklatant widersprechen.

Die kommunistischen NS-Opfer und Widerstandskämpfer, denen wegen ihrer politischen Tätigkeit in Westdeutschland die Wiedergutmachungsrenten für das in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des NS-Staates erlittene Unrecht aberkannt worden sind, müssen endlich entschädigt werden.

Im Jahre 1995 hatte der niedersächsische Landtag aufgrund einer Petition einmütig - also auch mit den Stimmen der CDU - von der Landesregierung gefordert, per Bundesratsinitiative auf eine entsprechende Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes hinzuwirken. Damit hat sich der Landtag zumindest für eine Teil-Rehabilitierung ausgesprochen.

Doch die SPD-Regierung des Landes sieht sich »nach rechtlicher Überprüfung« nicht in der Lage, dem deutlichen Beschluß des Landtages nachzukommen. Die Landesregierung verschanzt sich hinter den »geschichtlichen Gegebenheiten« in der Zeit des Kalten Kriegs: »Bei der Bewertung des Verhaltens eines Verfolgten nach 1949 können die damaligen Zeitumstände nicht außer acht gelassen werden«, heißt es in der ablehnenden Antwort der Landesregierung an die Rehabilitierungsgruppe. »Es widerspräche allen gesetzgeberischen Grundsätzen, einer verfassungsgemäßen Norm nach 40 Jahren rückwirkend einen neuen Sinn zu geben.«

Diese formalrechtlich begründete Weigerung, einen eindeutigen Beschluß eines Parlamentes bundespolitisch umzusetzen, darf nicht das letzte Wort bleiben. Die Erfüllung dieser Forderungen duldet keinen Aufschub mehr, wenn die inzwischen hoch betagten Betroffenen noch etwas davon haben sollen .

Rolf Gössner ist Autor des Buches »Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs. Verdrängung im Westen - Abrechnung mit dem Osten«, das Anfang dieses Jahres in einer erweiterten, aktualisierten und preiswerten Neuauflage im Aufbau-Verlag, Berlin, erschienen ist (DM 17,90). Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, z.H. Karl Stiffel, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen

Gössner, Rolf


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