Logo Geheim 2/1998

»Der Jude wird verbrannt«
Eine Verfassungsschutz-Broschüre »würdigt« 50 Jahre VVN

Geheimdienstler halten das, was sie treiben, gerne geheim. Das ist eine Binsenweisheit und entspricht der Arbeitsplatzbeschreibung für diesen Erwerbszweig. Deshalb hat es wohl einige Monate gedauert, bis auch wir auf Umwegen erfahren durften, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz die VVN/BdA in ihrem »Jubiläumsjahr« 1997 mit einer eigenen Publikation bedacht hat.

»'Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten' (VVN-BdA). Organisation - Entwicklung - Aktionsfelder - Wirkungen 1947-1997« heißt der umfangreiche Titel des sonst eher schlichten 77-Seiten-Werkes. (.)

»Die VVN«, erfahren wir gleich am Anfang, »ist keine Organisation aus dem extremistischen Spektrum wie jede andere. Weit häufiger als die übrigen vereint sie unter ihren Mitgliedern Opfer der einen und Anhänger der anderen Diktatur - oft in einer Person« (S. 3) Mit der »einen Diktatur« ist wohl - der anonyme Verfasser benennt es nicht genauer - das NS-Regime gemeint, mit der »anderen« die DDR. Braun = rot = extremistisch heißt der nicht ganz neue Leitfaden. In einer »Bilanz« (auf S. 74) heißt es: »Die VVN entstand auf Beschluß der SED.« Erstaunlich, was die SED bereits beschlossen hatte, als es sie noch gar nicht gab! Diese »Wissenschaftlichkeit zieht sich durch die gesamte Veröffentlichung.(.)

Über zwei Dinge jedenfalls wird in der Veröffentlichung so gut wie gar nicht gehandelt: über die tatsächliche 50jährige Geschichte des »Beobachtungsgegenstandes« VVN und über die Verfassung dieses Landes bzw. das Verhältnis von ersterem zu letzterem. Das »systematische Sammeln« von Informationen schlägt sich in der Wiedergabe von Spitzelberichten nieder, über deren Richtigkeit und Urheber (weil die ja »geheim« vorgegangen sind) bequemerweise nichts mitgeteilt werden muß. Das geht bis zum Abdruck von »Dokumenten« (auf S. 35 etwa), deren Herkunft bewußt im Dunkeln gehalten wird. Ebenso wie die Authentizität angeblich »interner« Berichte aus VVN-Gremien, die sich zwar nicht in den Archivalien der VVN finden, wohl aber in denen des Kölner Amtes. Ganz kurios wird es, wenn Fakten eigentlich eine andere Sprache sprechen: 1975 habe der VVN-Bundeskongreß den »Antrag eines Altkommunisten« abgelehnt, der gelautet haben soll: »Wer Antikommunismus und Antisowjetismus betreibt, ist kein Antifaschist.« Abgelehnt zwar - aber »nur knapp« (Seite 4). Mit dieser Beweisführung erweist sich der Autor als würdiger Nachfahr des Patriarchen in Lessings »Nathan der Weise«: »Tut nichts! Der Jude wird verbrannt.«

Generell angekreidet werden der VVN - neben der Tatsache, daß es in der NS-Zeit zahlreiche Kommunistinnen und Kommunisten gab, die es nicht nur gewagt hatten, dem Regime Widerstand entgegenzusetzen und dafür verfolgt wurden, sondern nach der Befreiung auch noch die Stirn hatten, sich mit Gleichgesinnten unterschiedlicher Weltanschauung in einem Verband zusammenzufinden - ihr Engagement gegen Wiederaufrüstung, gegen alte Nazis in Ämtern, politischen und militärischen Funktionen der Bundesrepublik, für Abrüstung, Entspannungspolitik und Völkerverständigung. Vor allem aber ihr Antifaschismus und ihr Bemühen um Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Weil das ja angeblich alles im Interesse der »anderen« Diktatur gewesen sei. (.)

Diese angebliche Dokumentation über die VVN aus dem Kölner Amt ist eine Kampfschrift. Eine schlecht recherchierte und formulierte zwar (aber das ist nicht ungewöhnlich, wenn man sie mit ähnlich gelagerten Veröffentlichungen aus Professoren-Werkstätten, für die Namen wie Knütter und Wilke stehen, vergleicht; hier scheint sich der wohl noch junge und aufstrebende Broschüren-Autor bedient zu haben).Es ist eine Kampfschrift für den Anti-Antifaschismus. Sie wurde jedoch nicht von rechten Schreibtisch - und Straßenkämpfern in einem ihrer Verlage veröffentlicht, sondern von einer Bundesbehörde herausgegeben. Einer Behörde, die - mit Steuergeldern finanziert
- so massiv rechte Politik macht. Und die durch selektive Verbreitung des Pamphlets dafür sorgt, daß gleichgesinnte »Multiplikatoren« bedient werden: »Die Welt« durfte schon zwei Monate vor der Drucklegung daraus zitieren.

Die Vorgaben der Broschüre wurden inzwischen aktualisiert. Für den »Extremismus« der VVN/BdA spräche, so unlängst das Bayerische Staatsministerium des Inneren, daß sie 1997 Aufrufe gegen den NPD-Aufmarsch in München und zum Ostermarsch der Friedensbewegung unterzeichnet habe. (.)

Gekürzt aus: »antifa-rundschau« der VVN/BdA, April-Juni 1998, VVN-Bundesgeschäftsstelle, Rolandstraße 16, 30161 Hannover, Tel.: 0511-331136, Fax: 0511-3360221

Ernst Antoni


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