Logo Geheim 2/1998

Spanien / Baskenland
Spanischer Geheimdienst bespitzelt legale Partei

Der 31. März 1998 ging als der schwarze Tag der Inlandsspionage-Abteilung in die Geschichte des CESID, des militärischen Geheimdienstes Spaniens, ein.(1) Schauplatz des Fiaskos war die Wohnung im 1. Stock links des Hauses Nr. 6 der Straße Ramiro de Maeztu in der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz. Augenzeugen berichteten, daß die beiden Mieter der besagten Wohnung mit mehreren vollen Sporttaschen Hals über Kopf das Haus verließen und nicht mehr zurückkamen. Kurz zuvor hatten die beiden Geheimdienstler wohl überrascht feststellen müssen, daß auch elektrische Kabel zwei Enden besitzen, die sich in logischerweise in zwei Richtungen verfolgen lassen - mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Im Erdgeschoß links des Hauses Ramiro de Maeztu Nr. 6 hat die baskische Partei »Herri Batasuna« (HB)(2) ein Büro gemietet, von wo aus sie ihre politische Arbeit in der Hauptstadt der Autonomen Baskischen Gemeinschaft koordiniert. An jenem besagten Dienstag installierten Techniker gerade eine neue Telefonanlage, als sie feststellten, daß einige Kabel vom Erdgeschoß direkt durch die Zwischendecke in den ersten Stock führten. Dabei soll es sich nicht nur um Telefonkabel, sondern auch Koaxialleitungen gehandelt haben, die es ermöglichten, das HB-Büro mit Videokameras zu überwachen bzw. das Computer-Netzwerk der Partei auszuspionieren. Spätestens durch die Kratzgeräusche aufgeschreckt, verließen die CESID-Beamten fluchtartig ihren Arbeitsplatz. Zurück blieben, neben der umfangreichen technischen Ausstattung, ein Flugticket und eine abonnierte PC-Zeitschrift. In der Folgezeit entdeckte HB eine weitere Spionagewohnung des CESID in der Astarloa-Straße in Bilbao, von wo aus die staatlich besoldeten Späher die auf der anderen Straßenseite gelegene HB-Zentrale beobachtet hatten. Ende April und Anfang Juni präsentierte die baskische Tageszeitung EGIN die Klarnamen der beiden Agenten von Vitoria-Gasteiz, ihre Wohnorte sowie ihren militärischen Werdegang. Besonders peinlich war, daß EGIN auch über die detaillierte Telefonrechnung mit Einzelverbindungsnachweis verfügte.(3)

Hochrangige Offiziere versetzt

Der Geheimdienst reagierte mit der Versetzung zweier hochrangiger Offiziere, aber nicht etwa, weil sie eine vom Obersten Gericht Spaniens als legal anerkannte Partei abgehört hatten, sondern wegen der eklatanten Sicherheitsmängel, die die EGIN-Journalisten bis vor die Haustüre der Geheimdienstler geführt hatten. Spanische Medien sprachen sogar von der Liquidierung des CESID-Netzes im Baskenland - eine Behauptung, die übertrieben ist und so nicht zutrifft.

Noch am Tage der Entdeckung erstattete die baskische Partei Anzeige. Zufällig befand sich zum selben Zeitpunkt der Delegierte der Zentralregierung in der CAV, Enrique Villar, im Gerichtsgebäude. Daß er versucht haben könnte, Einfluß auf den weiteren Gang der Dinge zu nehmen, liegt auf der Hand, läßt sich aber bisher nicht beweisen. Tatsache ist, daß die Untersuchungsrichterin Blanca María Fernández in Begleitung von Kriminalbeamten der Guardia Civil die CESID-Wohnung aufsuchte und versiegeln ließ. Mitte April mußte der Direktor der Guardia Civil, Santiago López Valdivielso, erklären, seine Behörde habe nichts mit den illegalen Aktivitäten des CESID zu tun gehabt. Das wäre eine Ausnahme, denn schließlich besitzt der CESID als Geheimdienst eines Rechtsstaates westeuropäischer Prägung keine Exekutivbefugnisse, und seine Zusammenarbeit mit der Zivilgarde ist besonders eng.

Da sich auch Spanien als Rechtsstaat versteht, wurde dieser Spionagefall ein Thema der politischen Auseinandersetzung im spanischen Parlament. Bereits 1995 hatte die spanische Tageszeitung EL MUNDO entdeckt, daß der CESID hochrangige Persönlichkeiten vom König an abwärts abgehört hatte - ohne entsprechende Genehmigung. Der damalige Skandal trug zwar mit zur Wahlniederlage der amtierenden Sozialisten unter Felipe González bei, führte aber keineswegs zur Reform des CESIDs, sondern zu dessen Vergrößerung, geschweige denn zu einer parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste.

Ein weiterer Unterschied zu 1995 ist, daß diesmal »nur« eine separatistische und somit terroristische Partei ausspioniert wurde, die aus Sicht der Madrider Regierung als politischer Arm der Untergrundorganisation ETA(4) zu gelten hat. Um Rücktrittsforderungen abwehren zu können, entschloß sich die konservative Regierung von José María Aznar, den Beginn der Geheimdienstaktion auf das Jahr 1992 zu datieren und zu behaupten, zu einer rechtlichen Absicherung des Unternehmens sei es wegen des Regierungswechsels 1996 nicht gekommen. Des weiteren hieß es, das Problem sei nicht die Operation an sich, sondern das Fehlen einer entsprechenden rechtlichen Grundlage. Ministerpräsident Aznar hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. » Man beschuldigt die Geheimdienste, ihre Pflicht getan zu haben«, sagte er während einer Parlamentssitzung(5). Die Sozialisten rief er auf, bei der Legalisierung dieser und ähnlicher Aktionen mit seiner Regierung zusammenzuarbeiten. Daß es sich hierbei nicht um ein Scheinangebot handelt, machen die Verhandlungen deutlich, die zwischen dem konservativen Innenminister Jaime Mayor Oreja und dem Vorsitzenden der spanischen Sozialisten Borrell (PSOE) Anfang Juni stattfanden. Gemeinsam wollen die beiden nationalspanischen Parteien verhindern, daß der christdemokratische Partido Nacionalista Vasco (PNV)(6) weiterhin mit HB Gespräche führt, um eine friedliche Lösung des baskischen Konflikts zu finden. PP und PSOE möchten den baskischen Nationalisten bei den Regionalwahlen im Oktober eine empfindliche Niederlage zufügen und das Baskenland mit einem noch undefinierten »gemeinsamen Projekt« beglücken, das seine Zugehörigkeit zum spanischen Staat fernab aller nationalbaskischen Vorstellungen festigen soll.

Unterschiedliche Reaktionen der baskischen Parteien

Vor diesem Hintergrund reagierten die baskischen Parteien unterschiedlich. HB sah sich wieder einmal in ihrer Opferrolle bestätigt. Von der Schlechtigkeit des spanischen Staatswesens für das Baskenland überzeugt, forderte der Interims-Vorstand von HB den sofortigen und endgültigen Abzug aller spanischen Sicherheitskräfte. Der christdemokratische PNV argumentierte anders, weil er das 1978 in Spanien eingeführte politische System als Ausgangspunkt, aber nicht als endgültigen Rahmen für sein Handeln akzeptiert hat. Folglich stellte PNV-Sprecher Joseba Egibar die Frage in den Vordergrund, was denn geschehe wäre, hätte man festgestellt, daß der PSOE vom CESID bespitzelt worden wäre. Dann würde man jetzt doch über die Dauer der Amtszeit von Aznar sprechen, meinte der PNV-Politiker. Egibar ging noch einen Schritt weiter und legte die widersprüchliche Haltung der spanischen Regierung offen: »Wenn man schon jahrelang HB ausspioniert hat, und wenn es so offensichtlich ist, daß HB ein substantieller wie essentieller Teil von ETA ist, warum hat man dann nicht beweisen können, daß beide das selbe sind und folglich ihr Verbot vorantreiben können.«(7) Der PNV zeigte sich besonders angegriffen, weil der CESID die vertraulichen Gespräche zwischen PNV- und HB-Vertretern an das Innenministerium weitergegeben hatte, wie Insider an bestimmten Äußerungen des Ministers Mayor Oreja erkennen konnten.

Für den CESID wird es nur personelle Konsequenzen geben, ohne daß sein eigentlicher Auftrag in Frage gestellt wird. Am 21. April 1998 stellte der spanische Verteidigungsminister Eduardo Serra vor dem spanischen Parlament fest: »Die Hauptaufgabe des CESID ist der Kampf gegen ETA, der hauptsächlichen Bedrohung der demokratischen Stabilität . des Landes. In diesem Sinne verfolgen die Geheimdienste die Zielvorgaben, die das Kabinett in seiner Sitzung vom 31. März 1998 festgelegt hat. Es gilt aufzudecken: das Unterstützerumfeld der ETA sowohl in Spanien wie im Ausland, die Aktivität ihrer Kommandos, ihre strategischen wie taktischen Pläne, ihre Verbindung zu anderen terroristischen Gruppen, ihre Struktur und ihr Funktionieren sowohl in ihren offenen wie halbgeheimen Strukturen.«(8)

In diesem Sinne hat der CESID nichts illegales getan, weil erstens entsprechende rechtliche Vorschriften nicht vorhanden waren, zweitens er einen Regierungsauftrag erfüllte, und drittens gegen ETA und ihr Umfeld spätestens seit der Ermordung des konservativen Stadtrats von Ermua, Miguel Angel Blanco, im Juli 1997 alles gilt.

Peinliche Niederlage

Der CESID mußte zwar eine peinliche Niederlage hinnehmen, aber solange seine Informationen ausreichen, um Polizeiaktionen wie die Festnahme einiger ETA-Kommandos zu bewerkstelligen, wird er auch damit fertig werden. Sicherlich gäbe es zur Zeit die Möglichkeit, einen Verhandlungsprozeß einzuleiten, der das baskische Problem friedlich lösen könnte, wäre auch auf zentralspanischer Seite der entsprechende Wille dazu vorhanden. Aber in Madrid setzt man auf Stärke und Härte - wie u.a. die zahlreichen Anti-ETA-Operationen seit Anfang des Jahres zeigen. Es sind Strohfeuer, berücksichtigt man die fast vierzigjährige ETA-Geschichte, die zeigt, daß diese baskische Organisation sich von allen Rückschlägen erholen konnte, eben weil der baskische Konflikt politische Ursachen hat, die sich weder mit polizeilichen noch militärischen Mitteln lösen lassen. Bis zu den baskischen Regionalwahlen im Oktober darf man nicht erwarten, daß die Regierung und andere führende Institutionen des Staates, wie CESID und Zivilgarde, diese Einsicht teilen werden.

Anmerkungen:
(1) CESID = »Centro Superior de Información de la Defensa«, Oberstes Informationszentrum der Verteidigung. Bei der Aufschlüsselung der Abkürzung CESID existieren zwei Versionen: Neben der hier dargestellten spricht die zweite Version vom »Centro Superior de Información para la Defensa«. Ähnlich dem BND informiert der CESID in erster Linie die Regierung, untersteht aber organisatorisch dem Verteidigungsministerium.
(2) Volkseinheit
(3) EGIN gilt als das Kommunikationsmittel der baskischen Unabhängigkeitsbewegung.
(4) ETA = Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit
(5) EL MUNDO, 23.4.1998.
(6) Baskische Nationalpartei
(7) zitiert nach EGIN, 15.4.1998.
(8) zitiert nach EGIN, 22.4.1998.

Niebel, Ingo


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