Logo Geheim 2/1998

Drei Tote und kein Täter
Der Frankfurter Multi-Krimi

Ein Krimi ist bekanntlich deshalb ein Krimi, weil vieles dabei rätselhaft ist. Obwohl die folgende Schilderung kein Roman ist, sondern reale Vorgänge wiedergibt, ist sie rings um drei große Fragezeichen geschrieben. Fangen wir also mit der ersten Frage an:

Was haben eine Prostituierte, ein Staatsanwalt und ein Minister gemeinsam?

Sie lebten alle drei in Frankfurt (Main).

Sie starben alle drei in Frankfurt.

Sie wurden alle drei ermordet.

Es wurden selbstverständlich Ermittlungen angestellt.

Alle Ermittlungen blieben ergebnislos.

Drei Tote blieben auf der Strecke, aber kein Täter wurde gefunden.

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Schauen wir uns d ie Fälle genauer an.

VIP im Rotlichtmilieu

In ihrem eleganten Appartement in der Stiftstraße wurde eine jungen Frau tot aufgefunden. Name: Nitribit, Rosemarie. Beruf: Prostituierte. Nun werden in Frankfurt leider immer wieder Prostituierte ermordet, aber dieser Fall machte Schlagzeilen (und wurde schließlich sogar Sujet eines Films). Denn Rosemarie Nitribit war nicht »Irgendeine«. Man kann sagen, daß sie eine »very important person« (VIP) war. Weniger durch besondere Eigenschaften, als durch ihren Umgang - sie war eine bevorzugte »Bezugsperson« für viele Herren von Bank, Börse und Industrie, die an Frankfurt offensichtlich nicht nur die Messe schätzten. Und der Umgang mit so vielen »very important persons« machte aus dem Betthupferl nun auch eine »very important person«. Sie verkehrte nur in den »besten Kreisen«, holte sich ihre Gefährten aus dem Nobelhotel »Frankfurter Hof«, wo sie im Luxusauto (Mercedes) vorfuhr. Kurz, es fehlte nur noch die Einheirat in den Hochadel. Da wurde sie erdrosselt.

Der ersten Schlagzeile folgte eine zweite auf dem Fuße: vorwitzige Journalisten hatten herausbekommen, daß die Polizei im Appartement der Toten ihr Notizbuch gefunden hatten, mit Namen und Adressen von »very important persons« aus Banken, Börse und Industrie.

War sie ermordet worden, weil sie mit diesem Personenwissen hatte erpressen wollen? Oder betrieb sie (Industrie-)Spionage? Gar im Interesse einer fremden Macht? Manch einer, der das Gras wachsen hörte, wollte gar das Wort »Paris« irgendwo aufgeschnappt haben .

Wie dem auch sei, der Skandal war schon peinlich genug, mit den Gerüchten mußte Schluß gemacht werden!

Also wurde der beste Mann der Frankfurter Kripo auf den Fall angesetzt, er war wohl Kriminaldirektor und garantierte die allergrößte Zuverlässigkeit: er stammte aus Himmlers SS. Ja, mehr noch, er war in Frankreich als Kriegsverbrecher gesucht worden, wurde nach Paris ausgeliefert, und kam - nun, was wohl? - mit blütenweißen Papieren als Unschuldsengel zurück. Hatte da ein »deal« stattgefunden, wie zu jener Zeit auch zwischen den Amerikanern und dem Gestapo-Mörder Barbie? Wie dem auch sei, der Unschuldsengel nahm die Ermittlungen im Fall Nitribit auf. Und stelle zunächst einmal Ordnung her: alle Gerüchte waren Hirngespinste, ein Notizbuch war nie gefunden worden und das Wort »Paris« hatten irgendwelche Spinner in die Welt gesetzt. Das war alles Geschwätz von Wichtigtuern, jetzt aber wurde echte kriminalistische Arbeit geleistet!

Der erfahrene Kriminalist hatte den Schuldigen bald gefunden (gelernt ist gelernt): es war ein Zuhälter, homosexuell war der Kerl obendrein, der Verbrecher par excellence, wie aus dem Bilderbuch.

Allerdings, mit den Beweisen haperte es. Als gar der »Mörder« damit überführt werden sollte, daß an seiner Hose Blutspuren gefunden worden waren, machte die Verteidigung in unschöner Weise darauf aufmerksam, daß Rosemarie Nitribit erdrosselt wurde - Blut war bei dem Verbrechen überhaupt nicht geflossen. Ergebnis: Freispruch. Aber das war schon keine Schlagzeilen mehr wert. Jetzt ging es nicht mehr um bekannte und unbekannte VIP's, jetzt war eine »Nutte« ermordet worden und ein obskurer Zuhälter war oder war nicht im Spiel. Schwamm drüber, Akte geschlossen, Fall vergessen.

Ein Notizbuch mit Namen hat es nie gegeben.

Der Ruf hoher und höchster Herren hat nicht den geringsten Kratzer erlitten.

Der Herr Kriminaldirektor hat seine Pflicht getan, in der freien demokratischen Grundordnung. Wie zuvor in der SS.

Wer wird da fragen, ob man den tatsächlichen Mörder suchen sollte? Der Rechtsstaat hat gesiegt: der Angeklagte war unschuldig, er wurde freigesprochen.

Das reicht Ihnen nicht? Sie meinen, der Mörder und seine Auftraggeber seien die wirklichen Nutznießer? Was wollen Sie - so was kommt nicht nur in Frankfurt vor. Das kann doch überall passieren; etwa in Lübeck.

Der ertrunkene Generalstaatsanwalt

William Shakespeare hat mancherlei Todesarten geschildert, die in illustren Kreisen praktiziert werden, aber den Ertrinkungstod in der Badewanne, darauf ist selbst dieser Meister des Dramas nicht gekommen; Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts schlossen dann die Lücke. Aber daß das nicht nur eine Ausgeburt von fiction writers war, dessen wurde sich das deutsche Publikum schlagartig bewußt, als ein solcher - tatsächlicher - Todesfall die Schlagzeilen beherrschte: der Ex-Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes, er hieß Barschel, wurde in einem Appartement des Luxushotels Beau Rivage am Ufer des Genfer Sees tot aufgefunden, ertrunken oder ertränkt in der eigenen Badewanne.

Der Mann war tatsächlich ein VIP: er rühmte sich bester Beziehungen zu Herrn (»Großadmiral«) Dönitz, seinerzeit Chef der Kriegsmarine unter Hitler. So kreuzten sich über der Wasserleiche zwei konträre Interessenlinien: aufklären oder vertuschen? Es war nicht so einfach wie bei Rosemarie Nitribit, der Mann war wirklich ein VIP. So geistert die Frage nach dem oder den Vertuscher(n) dieses mysteriösen Todesfalles bis heute durch die Gegend.

Das deutsche Publikum hätte aber gar nicht so erregt sein müssen über diesen Tod in der Badewanne. Jahre zuvor war schon einmal ein bedeutender Deutscher in der eigenen Badewanne »ertrunken«. Der Mann stand allerdings nicht auf der rechten (richtigen) Seite der Politik. Der Fall endete wie der der Prostituierten aus der Frankfurter Stiftsstraße: Kein Täter gefunden, Akte geschlossen. Sehen wir uns die Sache einmal an:

Der Tote stand nicht rechts, sondern links. Er war der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen, ein aus der schwedischen Emigration zurückgekehrter antifaschistischer Emigrant. Er war mit einem schweren Vergehen belastet: er hatte gegen den heftigsten Widerstand der etablierten Justizbürokratie den Auschwitz-Prozeß durchgesetzt, der weltweit mit Spannung verfolgt wurde. Und - Sünde über Sünde - er hatte öffentlich angekündigt, diesem ersten Prozeß gegen Mörder aus Auschwitz werde er bald einen zweiten folgen lassen, in dem diesmal die Hintermänner und Drahtzieher - auch aus der Justiz - zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

Dieser zweite Auschwitz-Prozeß hat nie stattgefunden. Zusätzlich zu Berufung und Revision verfügt man im Rechtsstaat BRD offenbar über ein drittes Rechtsmittel: Tod in der Badewanne.

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wußte, worauf er sich eingelassen hatte. Zwei unverdächtige Zeugen, der Bundestagsabgeordnete Gerhard Zwerenz und die damalige Strafanstaltsdirektorin Helga Einsele, bezeugten öffentlich, daß Bauer gesagt hatte: »Wenn ich mein Büro verlasse, fühle ich mich wie im feindlichen Ausland.« Zwerenz bezeugt noch einen weiteren Ausspruch des hessischen Generalstaatsanwalts: »Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? Nehmen Sie die ersten Jahre: Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie 'mal die jetzige Politik . Legen Sie meinetwegen ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen? Zum Glück sind wir alt, wir werden das nicht mehr erleben.«

Fritz Bauer hat es tatsächlich nicht mehr erlebt. Was er als feindliches Ausland charakterisiert hatte, war feindliches Inland. Der Bundestagsabgeordnete Gerhard Zwerenz kommentiert: »Heute wäre der Mann undenkbar . Für einen unbeugsamen Antifaschisten wäre kein Platz in diesem Lande.«

Der Tod des Generalstaatsanwalts war peinlich, mindestens so peinlich, wie der Tod der Rosemarie Nitribit. Ein Polizist hatte, bevor man eine Sprachregelung veranlaßt hatte, bekanntgegeben, daß es sich nicht um einen Unfall handelte, sondern um ein Verbrechen. Ein SS-Mann als Ermittler war offenbar nicht zur Hand. So setzte man eine Kommission ein, die sollte ermitteln. Sie ermittelte fleißig; mit demselben Ergebnis, wie bei den Ermittlungen gegen Freisslers Volksgerichtshof, gegen Himmlers Reichssicherheitshauptamt, gegen den/die Mörder der Nitribit, gegen die Mordbrenner von Lübeck - ergebnislos.

Sage Niemand, es würde nicht alles getan, was (in diesem Lande) möglich ist; man gründe ein Institut und gab ihm den Namen Fritz Bauer. Na bitte!

Aller bösen Dinge sind (hoffentlich nur) drei

Das Handbuch des Hessischen Landtags meldet über ihn lakonisch: »Ermordet am 11.5.1981«. Der Leser mag aus eigener Erkenntnis ergänzen: Täter unbekannt .

Es handelt sich um Heinz Herbert Karry, geboren am 6.3.1920, Stellvertretender Ministerpräsident des Landes Hessen, Mitglied des Hessischen Landtags, Mitglied des Deutschen Bundesrats, Mitglied der 5.,6., und 7. Bundesversammlung, Bundesschatzmeister der Freien Demokratischen Partei (F.D.P.).

Wirklich eine imponierende Liste; very important. Von all diesen Ämtern wurde er am 11. Mai 1981 abgelöst: durch einen einzigen Pistolenschuß. Das Drehbuch für den Frankfurter Multi-Krimi kennt Varianten. Diesmal starb das Opfer nicht in der Badewanne, sondern im Bett. Das Ergebnis ist allerdings immer dasselbe; siehe oben.

Sehen wir uns einmal den Ablauf des Vorgangs an: An einem schönen sonnigen Vormittag schlendert ein Spaziergänger durch einen der Frankfurter Vororte. Er kommt zu einem netten Einfamilienhaus, im ersten Stock steht ein Fenster offen, und an der Mauer lehnt eine Leiter. Dem Spaziergänger kommt ein eigenartiger Einfall: er nimmt die eigenartig plazierte Leiter, stellt sie unterhalb des Fensters an die Mauer und klettert hinauf. Er sieht Karry's Schlafzimmer, der Minister liegt noch im Bett. Der Spaziergänger hat zufällig eine Pistole dabei. Sie ist auch geladen. Der Spaziergänger zieht sie aus der Tasche, zielt und drückt ab. Der Minister, Abgeordnete, Schatzmeister ist tot.

Der Schütze steckt die Waffe wieder ein, klettert hinunter, stellt die Leiter wieder an ihren alten Ort (er ist ein ordentlicher Mann; vielleicht ein Beamter?) und geht gemütlich von dannen. Der Leser weiß wohin: ins Unbekannte.

Es folgt das übliche: Aufregung, Empörung, Einsetzung einer Untersuchungskommission. Rätselraten: Wem galt der Schuß, dem Minister, dem Abgeordneten, dem Schatzmeister? Kein Problem: der Minister setzte sich für eine neue Autobahn ein: also waren es die Autonomen, Attentäter sind immer Linke. Das weiß man doch, da braucht man keinen SS-Mann. Aber es fanden sich keine linken Attentäter. Und bevor man in eine andere, unerfreuliche Richtung ermittelte, stellte man lieber ein.

Böse Zungen sprechen allerdings von einer anderen Richtung. Es war die Zeit, da der Herr der F.D.P., Herr Genscher, mit der Wende umging, der Wende von der Koalition mit der SPD zur Koalition mit der CDU. Die CDU aber haßte Heinz Herbert Karry mehr als die Pest. Er, der nach dem »Rasseverständnis« der Hitler und Globke ein »Halbjude« war, fand sich nicht damit an, daß diese CDU all den Globke, Oberländer, Kiesinger, Filbinger und Co. Unterschlupf, Deckung und den neuerlichen Griff nach der Staatsmacht ermöglicht hatte. Und nun erhielt er als Bundesschatzmeister die Anweisung, die Gelder der Partei, die bisher, wie es sich bei einer sozial-liberalen Koalition gehört, bei der BfG in guter Hut lagen, den Wendewünschen des Herrn Genscher zuliebe bei einer Bank zu deponieren, die sich zu Hitlers Zeiten um Großdeutschland verdient gemacht hatte! Der Schatzmeister verweigerte den Gehorsam. Ein Politskandal größtem Ausmaßes drohte.

Da fand ein harmloser Bürger beim Spaziergang eine Leiter an einer Wand . Nein, solche Methoden à la Borgia können wir deutschen Politikern nicht zutrauen. Die haben doch noch nie, nie, nie irgendwem ein Häärchen gekrümmt. Mit vollem Recht hat die Untersuchungskommission es abgelehnt, auch nur einen Gedanken an solch einen verfassungswidrigen Gedanken zu verschwenden. Die Akte Karry wurde geschlossen.

Aber jedes Jahr am 11. Mai legt die F.DP.-Spitze im Gedenken an ihren in Erfüllung seiner Pflicht verstorbenen Schatzmeister an seinem Grabe einen Kranz nieder.

Kann man mehr tun?

Emil Carlebach


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