Logo Geheim 2/1998

»Grundrechte-Report 1998«
»Verdeckte Ermittler« unterwandern Grundrechte

Dunkle Gestalten ...

Sie scheuen das Licht der Öffentlichkeit, täuschen, lügen und betrügen im Dienste des Staates. Verdeckte Ermittler (VE) heißen die dunklen Gestalten mit Pensionsberechtigung. Im Unterschied zu V-Leuten, die aus dem verdächtigten Milieu (z.B. Drogenszene) stammen und Informationen an die Polizei liefern, handelt es sich bei VE um Polizeibeamte, die mit neuer, auf Dauer angelegter Legende, mit Decknamen und falschen Papieren getarnt werden, um in den kriminellen Untergrund oder in politisch verdächtige Szenen eintauchen zu können. Diese Methode ist während der letzten Jahrzehnte zum wesentlichen Bestandteil der sog. verdeckten Ermittlung geworden.

... erobern das Polizei- und Strafprozeßrecht

Die ersten Verrechtlichungen wurden Ende der 80er Jahre in den neueren Polizeigesetzen der Bundesländer vorgenommen. Außer Schleswig-Holstein und Bremen haben inzwischen alle anderen Länder den VE in ihren Polizeigesetzen legalisiert - d.h. für den Gefahrenabwehrbereich im Vorfeld einer Gefahr oder zur Straftatenverhütung. Die vorläufig letzte Verrechtlichung erfolgte im SPD-regierten Niedersachsen (1997). Danach ist der Einsatz eines VE möglich, »wenn dies zur Abwehr einer (gegenwärtigen) Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist und die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise nicht möglich erscheint«. Der VE-Einsatz und die damit verbundene heimliche Erhebung persönlicher Daten sind aber auch schon dann zulässig, wenn »Tatsachen die Annahme rechtfertigen«, daß die betroffenen Personen künftig »Straftaten von erheblicher Bedeutung« begehen werden, und »wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint« (so õ 36a Abs. 1 Nr. 2 NGefAG). Damit ist das vage Vorfeld von möglichen Straftaten für den VE-Einsatz zum Zwecke der Vorfeldaufklärung weit eröffnet - wobei auch »Kontakt- und Begleitpersonen«, also unbeteiligte und unverdächtige Dritte, nicht verschont werden.

Zur Strafverfolgung ist der VE mit dem »Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität« (OrgKG 1992) in die Strafprozeßordnung aufgenommen worden (õ 110a StPO). Danach darf ein VE erst eingesetzt werden, wenn bereits eine bestimmte »Straftat von erheblicher Bedeutung« (auf dem Gebiet des unerlaubten Betäubungsmittel- oder Waffenverkehrs, der Geld- oder Wertzeichenfälschung, des Staatsschutzes oder von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert) begangen worden ist, die es aufzuklären gilt. Mit der Zulässigkeit des VE sind zwangsläufig auch weitere - rechtlich höchst problematische - Konsequenzen verbunden: Urkundenfälschungen im Amt zur Legendenbildung, Verwirklichung von Täuschungs- bzw. Betrugstatbeständen bei der Teilnahme am Rechtsverkehr und zur Aufrechterhaltung der neuen Legende, das Recht, Wohnungen von Verdächtigen ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl zu betreten, Lauschangriffe zur Sicherung des VE-Einsatzes in Wohnungen etc. Rechtsethisch verwerfliche Methode Angesichts der Legalisierung des VE stellt sich die Frage, ob sich der Staat unlauterer, rechtsethisch verwerflicher Methoden zur Erreichung seiner Ziele bedienen darf oder ob er damit gegen das Sittengesetz (Art. 2 GG) verstößt, das alle staatlichen Tätigkeiten bindet? Und ist der Einsatz Verdeckter Ermittler überhaupt kontrollierbar und abwehrfähig, oder unterläuft er mangels Kenntnis der Betroffenen Art. 19 Abs. 4 GG, der den Rechtsschutz gegenüber staatlichen Maßnahmen garantiert?

1. Geheimpolizeiliche Legendenbildung

Mit der Befugnis des VE, sich mit falschen Papieren am Rechtsverkehr zu beteiligen, wird ansonsten strafbares Unrecht als Mittel des »Rechtsgüterschutzes« eingesetzt, wird eine Vielzahl von Menschen über das polizeiliche Eindringen in ihre Intimsphäre getäuscht. Der baden-württembergische Polizeirechtler Ulrich Stephan weist darauf hin, daß eine vollständige Legende auch das Vorleben des VE bis zurück in seine Kindheit einschließen muß. Dies lasse sich »wasserdicht nicht erstellen, ohne daß dazu Echtdaten Dritter verwendet werden.« So müsse der VE gegenüber den infiltrierten Szenen etwa angeben können, welche Schule er früher besucht hat und von welchen Lehrern er unterrichtet worden ist. Da seine Angaben überprüfbar sein müssen, muß es sich um eine real existierende Schule handeln und um Lehrer, die tatsächlich dort unterrichtet haben. Damit werden personenbezogene Daten der Lehrer verwendet, obwohl eine Rechtsgrundlage hierfür nicht ersichtlich ist. Stephan: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es verfassungsrechtlich zulässig wäre, auf diese Weise unbeteiligte Dritte ohne ihr Wissen in einen derart brisanten und für sie gefährlichen Bereich polizeilicher Ermittlungstätigkeit einzubeziehen. Dieser Aspekt führte in Baden-Württemberg zum politischen Streit, als bekannt geworden war, daß das Landeskriminalamt zum Zweck der Legendierung ohne Wissen der Eltern Daten eines tödlich verunglückten Kindes verwendet hat«.

2. Trend zum agent provocateur

Bisher ist es kaum jemals gelungen, mit klandestinen Polizeimitteln etwa in den Kern von kriminellen Organisationen vorzustoßen - obwohl gerade dies ein Hauptziel des VE-Einsatzes ist. Im Gegenteil: Diese Methoden bleiben meist bei den kleinen Kriminellen hängen, die nur selten wirklich professionell arbeiten und die oft - insbesondere im Drogenbereich - erst durch klandestine Polizeimethoden zu »großen Fischen« gekürt werden. Wie wir aus vielen Fallbeispielen der vergangenen Jahre wissen, ist der Übergang zwischen VE bzw. V-Leuten und agents provocateurs fließend. Es liegt in der Natur dieser Einsatzmittel, daß die Eingeschleusten Straftaten »anschieben« oder selbst begehen, um in der jeweiligen Szene glaubwürdig zu erscheinen.

3. Verflechtungsgefahr

Solche geheimpolizeilichen Ermittlungsmethoden - deren Kern der Einsatz von VE, V-Leuten und agents provocateurs bildet - neigen zu einer Angleichung von Kriminalpolizei und Kriminalität, nicht selten zu einer regelrechten Verflechtung. Diese Tendenz zeigte sich in jenen Bundesländern besonders deutlich, die geheimpolizeiliche Vorreiter sind bzw. waren: etwa im früheren CDU-regierten Niedersachsen (Mauss-Affären, Fall Claude/Düe, SoKo Zitrone), in Baden-Württemberg (Glücksspiel-Skandal; versuchte Gründung einer »terroristischen Vereinigung«; VE in der Tübinger Alternativszene) und im SPD-regierten Hamburg (Hamburger Polizeiskandale). Diese Verflechtungsgefahr hängt mit der Tatsache zusammen, daß längerfristig eingesetzte VE, die in eine kriminelle Organisation eingeschleust werden, sich dort kaum als stille Teilhaber oder Beobachter halten können. Um nicht aufzufallen und sich nicht selbst zu gefährden, sehen sie sich häufig gezwungen, »milieuangepaßt« Straftaten zu begehen - auch wenn dies (noch) nicht legal ist. Ihm sei kein VE bekannt, versicherte etwa ein Richter am Amtsgericht Stuttgart, »der nicht Straftaten begehen oder decken mußte. Sei es zum Eigenschutz. Sei es, um seinen Ermittlungsauftrag nicht zu gefährden« (FR 11.11.1991). Mitunter erliegen VE ihrer angenommenen Rolle und wechseln die Seiten: avancieren zu Drogendealern, Zuhältern, Waffenhändlern. Die in der modernen Sicherheitspolitik angestrebte »Waffengleichheit« mit der »Organisierten Kriminalität« neigt offenbar zur »Waffenbrüderschaft«. Die Verflechtungen gehen häufig so weit, daß längerfristig als VE eingesetzte, rückkehrwillige Beamte im Anschluß an ihr Untergrund-Leben regelrecht resozialisiert werden müssen.

4. Außer Kontrolle

Der VE-Einsatz darf nach der StPO und einigen Polizeigesetzen prinzipiell schon nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden; unter bestimmten Voraussetzungen ist die Zustimmung eines Richters vorgesehen. Doch an der Effektivität richterlicher Überprüfungen sind erhebliche Zweifel angebracht: Denn der Richter ist ausschließlich auf die Darlegungen der Polizei angewiesen; er kennt keine inhaltlichen Kriterien, an denen er die Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen könnte. Daß der Richtervorbehalt als rechtsstaatliche Sicherung bei verdeckten Maßnahmen versagt, zeigt der exzessive Umgang mit der Telefonüberwachung in Deutschland, die trotz richterlicher »Kontrolle« jährlich über 8.000mal durchgeführt wird (1996).

Beim VE handelt es sich um einen polizeilichen Geheimagenten, beim VE-Einsatz um eine geheimdienstliche Tätigkeit. Dort aber, wo immer mehr polizeiliche Organisations- und Tätigkeitsbereiche in abgeschottete Geheimzonen verlagert werden, ist mangels Transparenz eine öffentliche und demokratische Kontrolle kaum noch möglich. Weil der geheime VE-Einsatz letztlich auch mittels richterlicher Anordnung nicht kontrollierbar ist, verstößt er gegen das Demokratiegebot.

5. Trend zum Geheim-Prozeß

Die staatlichen Verstrickungen von VE und V-Leuten haben regelmäßig verhängnisvolle Auswirkungen auf die späteren Strafverfahren gegen die im Verlauf von Geheimaktionen verdächtigten Personen: Solche Einsätze führen nämlich zwangsläufig zu verfassungsrechtlich höchst problematischen Geheim-Verfahren, in denen Zeugen gesperrt, Aussagegenehmigungen beschränkt, »Zeugen vom Hörensagen« eingesetzt und geheime Ermittlungsakten dem Gericht sowie der Verteidigung vorenthalten werden. Solche aus dem verdeckten Einsatz resultierenden Praktiken, die dem Zweck der weiteren Verheimlichung der Identität von VE/V-Leuten dienen, verstoßen gegen Prinzipien des rechtsstaatlichen, fairen Strafverfahrens, gegen die Grundsätze der Unmittelbarkeit, der Mündlichkeit und Waffengleichheit im Prozeß. Sie gehen zu Lasten der Angeklagten und ihres verfassungsrechtlich garantierten »rechtlichen Gehörs«.

6. Rechtsschutzlos

Spricht ein VE mit einem Verdächtigen, so wird letzterer naturgemäß vom VE nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht hingewiesen. Damit wird ein Hauptverfahrensrecht des Beschuldigten mißachtet, nämlich das Recht zu schweigen. Eine solche indirekt erzwungene Selbstbezichtigung verletzt die Menschenwürde. Außerdem verstößt ein Gespräch zwischen VE und Verdächtigem, das einer Vernehmung gleichkommen kann, möglicherweise gegen õ 136a StPO (Verbotene Vernehmungsmethoden), wonach die Freiheit der Willensentschließung und betätigung des Beschuldigten nicht beeinträchtigt werden darf. Der Beschuldigte wird zumindest über die wahre Identität des VE getäuscht. Der Schutz der Grundrechte ist auf den offen handelnden Staat ausgerichtet, denn sonst liefe der Grundrechtsschutz - mangels Offenheit und Kenntnisnahmemöglichkeit - leer. Bei verdeckten Maßnahmen unter aktiver Täuschung durch staatliche Organe und Funktionsträger gibt es für die Betroffenen in der Regel keinen Rechtsschutz. Mangels Kenntnis von den geheimen Einsätzen unterlaufen solche Maßnahmen Art. 19 Abs. 4 GG, der den Rechtsschutz gegenüber polizeilichen Eingriffe garantiert. Damit verlieren die Grundrechte in diesen Fällen ihre Funktion als durchsetzbare Abwehrrechte der Bürger gegen staatliche Eingriffe.

»Geheim-Polizei« im Vormarsch

In den vergangenen Jahrzehnten wurden der Polizei über die Abwehr konkreter Gefahren und über die Verfolgung von Straftaten hinaus neue Aufgaben zugewiesen: »Gefahrenvorsorge« und »Vorbeugende Verbrechensbekämpfung« sind die Zauberbegriffe, mit denen sie - weit im Vorfeld mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel aktive Informationsbeschaffung betreiben kann - mit dem Ziel der »Verdachtsgewinnung« und »Verdachtsverdichtung«. Diese Aufgabenausweitung und die Geheimmethoden ließen die Polizei seit den 70er Jahren verfassungsrechtlich problematische geheimpolizeiliche Qualitäten gewinnen. Mit der Einrichtung von abgeschotteten Abteilungen und mit dem systematischen Einsatz von VE, V-Leuten, agents provocateurs und verdeckten technischen Mitteln für Lausch- und Spähangriffe ist innerhalb des Polizeiapparates eine geheimpolizeiliche Entwicklung in Gang gesetzt worden, die inzwischen weitgehend rechtlich abgesichert wurde. Die Polizei hat also in ihren Händen neben ihren traditionellen Exekutivbefugnissen auch nachrichtendienstliche Machtmittel angehäuft. Mit dieser Kumulation ist eine bedenkliche Machtkonzentration entstanden, die kaum noch kontrollierbar ist. In diesem Zusammenhang ist an einen historischen Hintergrund zu erinnern, der gerade in Deutschland von ganz besonderer Bedeutung ist: Aufgrund der leidvollen Erfahrungen mit der faschistischen Gestapo, der Geheimen Staatspolizei im Nationalsozialismus, die allumfassend nachrichtendienstlich und exekutiv-vollziehend tätig war, sollten nach 1945 - auf Veranlassung der Westalliierten - Polizei und Geheimdienste strikt voneinander getrennt eingerichtet und tätig werden. Es sollte mit diesem verfassungskräftigen »Trennungsgebot« eine staatliche Machtkonzentration vom Ansatz her verhindert werden. Geheimdienste sollten keine exekutiven Befugnisse haben, die Polizei keine nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden anwenden dürfen; das Auftreten und Handeln der Polizei gegenüber den Bürgern sollte also prinzipiell offen, berechenbar und kontrollierbar sein. »Nur in Diktaturen muß der Bürger mit geheimer Polizeiarbeit . rechnen«, so der ehemalige schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf (»Kriminalistik« 9/1985, S. 409 f.). Die politische Nonchalance, mit der die skizzierte Funktions- und Methodenvermengung betrieben und das Trennungsgebot über den Haufen geworfen wird, offenbart einen eklatanten Mangel an Sensibilität gegenüber der geschichtlichen Erfahrung und Verantwortung in Deutschland.

Dieser Text ist die erweiterte Fassung eines Beitrag, der Ende Mai 1998 im »Grundrechte-Report 1998« zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland (hg. Von Müller-Heidelberg u.a.) erschienen ist (rororo-aktuell 22337, DM 14,90)

Literatur: Gössner/Neß, Polizei im Zwielicht, Frankfurt/Main-New York 1996, S. 203 ff.

Stokar/Gössner (Hg.), Schattenmänner- Kritik der Legalisierung des Verdeckten Vorfeld-Ermittlers, Reader Nr. 10 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im niedersächsischen Landtag, Hannover 1997

Gössner, Rolf


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