Logo Geheim 1/1998

Rehabilitiert Mielke!
Editorial

Nicht daß jemand auf den Gedanken komme, hier werde böses Spiel getrieben auf Kosten des ehemaligen Ministers für Staatssicherheit der DDR Erich Mielke. Es wächst tatsächlich zusammen, was zusammengehört, und es wächst die Zahl der Gründe für anständige Menschen, es dann doch lieber mit Mielke zu halten, statt mit seinen Gegnern, Anklägern und Verächtern.

Michael Glos, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellt einen bedingungslosen Kampf gegen die Kommunisten in Aussicht. Hat er »bedingungslos« gesagt? Hierher gehörte doch zünftiger das abgehackt hervorgestoßene Versprechen von »rücksichtsloser Brutalität«. Kann denn »bedingungslos« in diesem Zusammenhang etwas anderes bedeuten als »frei von allem rechtsstaatlichen Klimbim«?

Die akademisch hinlänglich qualifizierten »Extremismusforscher« liefern diesem Schlag antikommunistischer Demagogen alleine schon durch die Existenz ihres Forschungsansatzes die Legitimation für den Amoklauf, zunächst den verbalen. Daß die Nähe zu dieser grobschlächtigen Sorte Politik mit frommem Sonntagmorgen aber auch über ihren substanziellen, zum speziellen Extremismusforscher qualifizierenden Realitätsbruch hinaus, nicht an ihrem Geist und ihrer Sprache vorbeigeht, zeigen Einlassungen von Stephane Courtois und Patrick Moreau bei ihrer von Glos in der beschriebenen Art rechtsradikal gestimmten Präsentation ihrer neuesten Forschungsergebnisse zwischen Buchdeckeln mit der Prägung »Der Kommunismus in Westeuropa«: Der Kommunismus hat eine Wiedergeburt, sagen die forschen Forscher. Wiedergeburt? »Die post(h)ume Macht des Kommunismus läßt uns keine Ruhe.« Man sieht sie nächstens unruhig in ihren Studierstuben auf und ab gehen. Wiedergänger? Gabīs dort in Würzburg nicht kürzlich noch bischöfliche Exorzisten?

Droht da nicht - und jetzt wirdīs bitte wieder ernst - Torquemadas Schatten, kostümiert als (Politik-) Wissenschaft? Wann stellt die schlicht anständige Politikwissenschaft von der Qualität eines von Beyme, Leute, die wissen und aussprechen, daß eine Wissenschaft, die den Marxismus ausschließt, nicht mehr das Recht hat, sich pluralistisch zu nennen, ebensowenig wie eine Gesellschaft, die Kommunisten stigmatisiert, wann also stellt die anständige Politikwissenschaft endlich klar, daß diese Jesse-Brut, die (zwar) eine wissenschaftliche Ausbildung vorweisen kann (wie Mengele seinen Doktortitel), aber als Extremismusforscher keine (demokratische) Wissenschaft betreibt und also auch nicht den Respekt vor Wissenschaft verdient, daß dieses Treiben nichts ist als bauernfängerische Akzeptanzbeschaffung für wilde antikommunistische Politik. Darüber hinaus für eine Politik, die bedenkenlos mit altgewohntem großdeutschem Anspruch auf Europa in atemberaubender Dreistigkeit gleich zwei Regierungparteien westeuropäischer Nachbarländer die Feinderklärung übergibt, der französischen und der italienischen kommunistischen Partei. Das Ganze atmet den Geist der Straußīschen Wahlkampfstrategie der End70er, als der die Sozialdemokratie mit Sozialismus gleichsetzte und Sozialismus mit Nationalsozialismus und die SPD mit der NSDAP, ein schwindelerregender Schwindel, der die eine Stoßrichtung hatte, den demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu diskriminieren, zu inkriminieren, um ihn zu destruieren. Das wiederholt sich in der ansonsten Heiterkeit auslösenden Formel von der PDS als »der deutschen kommunistischen Partei«, macht aber durchaus seinen Sinn, weil nicht nur in Gysis Worten, sondern auch sehr real die PDS in der aktuellen Politsystematik die Stelle der Sozialdemokratie einnimmt, während einem Mann und einer Partei wie Schröder (!) auf dieser Skala keine Werte mehr zuzuordnen sind.

Das schulde er den Opfern des kommunistischen Regimes, sagt Glos, und kuschelt mit Biermann am Kamin. Nun war Biermann einerseits politisch wie künstlerisch nie reine Geschmacksache: Man durfte und darf manches, nicht nur Brecht und Hacks, nicht kennen, um Biermanns Gedichte schätzen zu können; wer auch nur eine schwache Vorstellung von Vormärz und Büchner hatte, oder auch drei Büchnerpreisträger kannte, litt unter der Büchnerpreis-Verleihung an Biermann und seiner Düsseldorfer Professur. Und seine Commandante Che Guevara-Interpretation oder Kameramann-Inszenierung waren schon recht peinlich.

Aber welche Kollegin der Gewerkschaftsjugend hätte damals geglaubt, daß dem in Köln befreiten Biermann je an bayerischen Kaminen widerfahren könnte, daß zusammenwächst, was zusammengehört?

Damit aber gar kein Mißverständnis entstehen kann über die Ernsthaftigkeit seines tête à tête, ermutigt er den verstörten Fuchs, öffentlichkeitswirksam, warenästhetisch wirksam, zu einem Buch, mit dem der weder sich noch den »Opfern des Kommunismus in der DDR«, wie Glos sagen würde, nun gar keinen Gefallen erwiesen hat. Fuchs ist ohne Zweifel ein Opfer der Totalitarismuspropaganda. Er hat sie ernstgenommen. Es sei so wie in Auschwitz gewesen, gibt er den Anschein. Er sei ein den Opfern des Faschismus vergleichbares Opfer der DDR. So der peinlich berührte und mühsam höflich-solidarische Tenor des bürgerlichen Feuilletons. Bedenkt man es recht, so gäbe es für die Justiz nur zwei Möglichkeiten: Fuchs nicht ernstzunehmen, ihm das Buch nicht und schon garnicht bewußte Absicht zuzurechnen, oder - ihm wegen Verharmlosung der faschistischen Menschenvernichtungsmaschine aus gräßlicher Rachsucht den Prozeß zu machen. Dazwischen vermag ich nichts zu sehen.

Ich plädiere für Gnade, für Nichtzurechnung des Buches und Vergessen. Aber sollte man nicht Herrn Biermann befragen, welche Rolle seine Dramaturgie des Antikommunismus in der Verwirrung des Herrn Fuchs gespielt haben könnte? Wo Glos, Biermann und Fuchs und alle Extremismusforscher den Rechtsstaat attackieren, ohne in der politischen Öffentlichkeit an demokratischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Reputation zu verlieren, gibt es für Demokraten keinen Grund, die Diskreditierung und Diskriminierung Mielkes mitzutragen. Im Gegenteil.

Im übrigen läßt sich über Geheimdienste und Machtgebrauch, ich wage daran zu erinnern, nicht nur mit patriotisch gespaltener Zunge reden, sondern auch staatstheoretisch. Darüber hinaus, daß der Staat DDR als Staat das Recht hatte zu existieren und sich zu schützen, also zu seinem Schutz Machtorgane zu bilden wie jeder andere Staat, einschließlich der BRD; die seinen, und sie zu gebrauchen, schützte dieser Staat auch mit seinen Geheimdiensten grundlegende Menschenrechte seiner Bürger, das Recht auf Arbeit, auf Wohnen, auf Bildung. Es liegt auf der Hand, daß er diese Menschenrechte seiner Bürger nicht gut genug geschützt hat. Sie sind verloren gegangen. Das wäre ein Vorwurf. Habe ich ihn überhört?

Die Bundesrepublik Deutschland schützt sicher die Meinungs- und Reisefreiheit des Herrn Fuchs. Und das soll so bleiben. Aber wer will Geiger oder andere dafür zur Unperson machen, wenn die Bundesrepublik Deutschland wieder das Recht auf Arbeit höher schätzt als die Werte der Herren Fuchs oder Biermann oder Glos? Wenn zum Beispiel nicht mehr erlaubt sein wird, öffentlich zu bedingunglosem Kampf gegen demokratische und Regierungsparteien anderer Staaten aufzurufen oder den demokratischen und sozialen Rechtsstaat in der Realität wie als Verfassungsgut infrage zu stellen.

Rehabilitiert Mielke - im Interesse einer entschieden demokratischen Politik, entwickelt ad hominem.

Bordien, Hans-Peter


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