Logo Geheim 1/1998

Deutsche Großmachtpolitik
GSG 9 zur SFOR nach Bosnien?

Anfang Februar 1998 berichtete DER SPIEGEL, daß der NATO-Oberbefehlshaber in Westeuropa, General Wesley Clark, den Wunsch geäußert habe, die Sfor-Truppe in Bosnien mit paramilitärischen Spezialkräften zur verstärken zwecks Aufrechterhaltung der Ordnung bzw., um Kriegsverbrecher festnehmen zu lassen.(1)

Angeblich soll die Bundesregierung rechtliche Bedenken haben, ihre Grenzschutzgruppe 9 des Bundesgrenzschutzes (BGS), der bekanntlich dem Bundesministerium des Innern (BMI) untersteht, einem militärischen Oberkommando zu unterstellen. Diese Probleme kennen die anderen westeuropäischen Staaten nicht. Sowohl die spanische »Policía Guardia Civil« wie auch die französische Gendarmerie und die italienischen Carabinieri sind dem jeweiligen Verteidigungsministerium angegliedert. Das Hamburger Nachrichtenmagazin schreibt weiter, Verteidigungsminister Rühe befürchte, die Sfor-Truppe könnte sich zu einer Besatzungsarmee entwickeln.

Vielleicht mag die Idee des NATO-Oberbefehlshabers z.Zt. nicht ins politische Kalkül der Bundesregierung passen, oder die gezeigten Bedenken dienen einfach nur dem Zeitgewinn, weil die Regierung sich momentan weder in der rechtlichen noch in der politischen Lage befindet, so schnell wie andere nationale Regierungen reagieren zu können.

Tatsache ist aber, daß mittels dieser SPIEGEL-Meldung der Auslandseinsatz der GSG9 zum Thema geworden ist, auch wenn er z.Zt. nicht öffentlich diskutiert wird. Unabhängig vom aktuellen Bezug könnte ja ohne weiteres die Situation eintreten, daß deutsche Truppen im Verbund mit Alliierten zur Besatzungsarmee mutierten und vor der Aufgabe stünden, die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie die Verfolgung von Gesuchten gewährleisten zu müssen. Zwar stößt der angedachte GSG-Auslandseinsatz an rechtliche Hindernisse, aber er paßt zum einen zu der von Innenminister Manfred Kanther (CDU) betriebene Politik, die Befugnisse des BGS im Innern zu erweitern, zum anderen zu der von Verteidigungsminister Volker Rühe eingeleiteten Aufstellung von militärischen Kommandoeinheiten unter dem Oberbegriff »KrisenSpezialKommando« (KSK).

Der Ausbau des BGS zu einer allgemeinen Polizei des Bundes wird von Bonn seit Jahren systematisch betrieben«, konstatiert Wolfgang Hecker in seinem Artikel »Kanthers langer Arm«, in dem er sich mit der Eingliederung der Bahnpolizei in den BGS und die Ausdehnung seines Wirkungsbereichs von den Bahnhöfen auf die Innenstädte beschäftigt.(2) Eine Ausdehnung des geographischen Einsatzraumes des BGS wäre einerseits die logische Fortführung des Kantherschen Bedrohungsszenarios beispielsweise hin zu den räumlichen Entstehungsherden der sogenannten »Russenmafia«. Andererseits könnten sich Bundeswehr und BGS gegenseitig ergänzen. Denn die deutschen Streitkräfte verfügen über die nötige Logistik und Ausrüstung, um im Ausland den äußeren Rahmen einer entsprechenden Operation bereitzustellen, während die GSG9 das Spezialwissen und die langjährige Erfahrung besitzt, um das eigentliche Operationsziel zu erreichen. Die mögliche Kooperation von BGS und Bundeswehr wäre also keine Liebesheirat, sondern eine situationsbedingte Liaison. Eine ähnliche Kooperation ergab sich Mitte der 30er Jahre, als der militärische Geheimdienst des Oberkommandos der Wehrmacht, die Abwehr, Gestapo-Beamte in die von ihr geführte »Geheime Feldpolizei« (GFP) zur Verbesserung der Spionageabwehr aufnahm. Die Zusammenarbeit war im Bereich der Spionageabwehr notwendig geworden, weil es der Abwehr an polizeilichem Wissen und Können mangelte, während bei der Gestapo die militärischen und nachrichtendienstlichen Kenntnisse fehlten, um situationskonform zu handeln. Vor dem aktuellen Hintergrund gesellt sich das KSK der Bundeswehr zwar zu den schon bestehenden Kommandoeinheiten anderer Staaten, in seiner historischen Dimension soll es aber auch vergleichbare Aufgaben wie einst die »Division Brandenburg z.b.V. 800« übernehmen.(3) Diese Elite-Einheit unterstand der Abwehr von Admiral Wilhelm Canaris und führte nicht nur Kommandounternehmen gegen militärische Objekte aus, sondern nahm ebenfalls polizeiliche Aufgaben wahr. Ihr Einsatz im damaligen Jugoslawien zeigt, wie schwer es ist, militärische und polizeiliche Notwendigkeit von einander zu trennen. Das am 25. Mai 1944 durchgeführte »Unternehmen Rösselsprung« symbolisiert geradezu die Untrennbarkeit von polizeilichen und militärischen Operationszielen in einer bestimmten Situation. Die militärische Lage verlangte die Vernichtung der Führungsstäbe der von Tito geführten Partisanenverbände, um den Druck auf die deutschen Heereseinheiten zu nehmen, gleichzeitig war man bemüht, den Kopf des politischen Widerstandes zu verhaften. In einer großangelegten Operation überfielen Einheiten der »Division Brandenburg« und die sogenannten »SS-Jagdkommandos« die bosnische Stadt Drvar. Die Operation brachte zwar eine kurzfristige Entspannung der militärischen Lage aus der Sicht des OKW, tatsächlich gelang es aber der Ordnungsmacht nicht, den Anführer des Widerstandes, Tito, festzunehmen. Darüber hinaus läßt sich gerade anhand der Entwicklung der Division Brandenburg einerseits und der bewaffneten Verbände des SS dominierten Polizeiapparates andererseits nachvollziehen, wie schnell unter bestimmten Umständen polizeiliche und militärische Organisationsformen und Arbeitsweisen wechselseitig ineinander übergehen. Inwieweit und ob überhaupt diese historischen Bezüge bei der Erörterung der hypothetischen Auslandseinsätze von KSK und GSG9 Berücksichtigung finden werden, wird die hoffentlich noch stattfindende Diskussion zeigen. Quellen: (1) GSG9 nach Bosnien? DER SPIEGEL, 9.2.1998: 17. (2) HECKER, Wolfgang. Kanthers langer Arm. BLÄTTER FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK 43 (1998)2: 145-150. (3) Dazu zählen explizit Sabotageunternehmen, deren Bewertung aus der Sicht des Völkerrechts an anderer Stelle stattfinden muß.

Ingo Niebel


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