Logo Geheim 4/1997

Eine Leseprobe ...
Kein Antrag auf Überwachung außerhalb der normalen Dienstzeit: 5 Tage später wurde »Paul« verhaftet

»Pauls« Einsatz in Frankfurt näherte sich dem Ende. Es bestand für ihn keine Chance, in Europa eine erneute Stationierung zu bekommen. Trotz Bemühungen seinerseits wurde ihm - in Anerkennung seiner guten Leistungen und im Zusammenhang mit seiner weiteren Qualifizierung und Beförderung - ein Einsatzort in den Vereinigten Staaten zugewiesen. Die Leitung der HVA entschied, daß wir nicht in den USA operieren würden. Andererseits sollte für alle Fälle, etwa bei Aufenthalten von »Paul« in Europa, ein persönliches Verbindungssystem funktionssicher bereitstehen.

... Als Instrukteur zur eventuellen Betreuung von »Paul« wählten die zuständigen Mitarbeiter einen erfahrenen IM mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen aus, der Hochschullehrer an der Humboldt-Universität zu Berlin war. Manfred S. trug den Decknamen »Hagen«, weil er aus Hagen in Westfalen stammte. Hätten wir an der Hochschule des MfS auch eine Ausbildung in den »Deutschen Heldensagen« gehabt, wäre uns eventuell aufgefallen, daß dieser Name auch für Verrat, Heimtücke und Niedertracht steht. Doch wir vertrauten diesem »Hagen«, und er erhielt stückweise Kenntnis vom Vorgang »Paul«. Einmal nahm er an einem Treff mit ihm in Ostberlin teil.

Wie später durch authentische Informationen belegt werden konnte, war »Hagen« ein klassischer Doppelagent. Die HVA hatte ihn in den 80er Jahren für Kontaktaufnahmen in Westberlin wegen seiner perfekten englischen Sprachkenntnisse eingesetzt. Dort beging er 1986 einen primitiven Diebstahl in einem Kaufhaus und wurde dabei gestellt. Der Vorgang landete auf dem Tisch eines Mitarbeiters des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), der eine Telefoneintragung im Kalender von »Hagen« als amerikanische Linie der HVA identifizierte und das Material seinem Kontaktpartner beim amerikanischen Geheimdienst zuschob. So wurde »Hagen« Doppelagent der Amerikaner. Hätte jener Mitarbeiter des LfV seine Dienstvorschriften eingehalten, den Vorgang an das BfV in Köln gemeldet und nicht eigenständige Bündnisarbeit betrieben, dann hätten wir dank Klaus Kuron rechtzeitig »Hagen« enttarnen können. (Klaus Kuron war in der Spionageabwehr des BfV verantwortlich für alle Doppelagenten- Vorgänge. Er arbeitete seit 1982 für die Abteilung IX der HVA. Im Februar 1992 wurde er zu zwölf Jahren Haft verurteilt.)

So aber nahm das Verhängnis seinen Lauf. Die amerikanischen Abwehrdienste bekamen 1988 einen sehr konkreten Hinweis auf eine Spitzenquelle der HVA in einem amerikanischen Geheimdienst - »Paul«. Auch nach amerikanischem Recht stellt der Nachweis einer Spionagetätigkeit für eine fremde Macht hohe Anforderungen an die Beweismittel. Und die galt es nunmehr zu beschaffen. Zudem beanspruchte Informant »Hagen« nicht nur eigene Sicherheit - er wollte auch nicht auf seine Ehefrau und den Hund verzichten und machte seine Kooperation von ihrem Transfer in die »Freiheit« abhängig. Aber so schnell ist selbst der amerikanische Geheimdienst nicht. Daß die Aktion nicht so einfach laufen konnte, war den verantwortlichen Mitarbeitern der amerikanischen Abwehr relativ schnell klar. Zwei einander bedingende Aufgaben stellten sich für sie:
1. Sicherung der Beweislage einer Spionage von »Paul« für eine fremde Macht,
2. Transport des Ehepaars »Hagen« in den Westen als »Geschäftsgrundlage« seiner Kooperation.

Die Jagd auf »Paul« war jedoch erst einmal eröffnet. Die Vorgangsführung auf amerikanischer Seite wurde vom Counterintelligence Bereich am Hauptquartier von INSCOM übernommen. Dort war inzwischen der Abwehrspezialist Oberst Paul Herrington tätig, der aus eigenem Erleben die Verhältnisse in Deutschland kennengelernt hatte. Einer seiner Mitarbeiter übernahm die Koordinierung der Aufklärungstätigkeit gegen »Paul«, der zu diesem Zeitpunkt bekanntlich in seiner INSCOM-Einheit in den USA tätig war. Auf deutschem Territorium oblag die Vorgangsführung 66th MI-Brigade in München. Zuständiger Field Officer war Norman L. Runk. Alle Informationen zwischen den beiden Arbeitsgruppen liefen über den Leiter des Verbindungsbüros, »Liaison Office«, der 66th MI-Brigade an der Botschaft der USA in Bonn, Walter A. Mueller, und dessen Stellvertreter Dircksen. Es erfolgte eine enge Abstimmung und Arbeitsteilung zwischen den amerikanischen militärischen Abwehrdiensten und den in der DDR und in Westberlin tätigen CIA-Mitarbeitern.

Die Mitarbeiterin der CIA-Residentur an der Botschaft der USA in der DDR, Barbara Michele Hamm - MfS-Deckname »Fee« -, erhielt im Frühjahr 1988 Besuch von ihrem Bruder aus den USA, der noch einen Freund mitbrachte. Bei ihm handelte es sich laut Anmeldeformular um den Apotheker Norman Runk. Frau Hamm war, wie bereits weiter vorn berichtet, für das MfS kein unbeschriebenes Blatt. Die nachträgliche Rekonstruktion ließ uns zu dem Schluß kommen, daß der »Apotheker Runk« alias Field Officer Norman L. Runk von der 66th MI-Brigade mit technischen Kontrollmaßnahmen von »Fees« Wohnung aus die komplexe Operation koordiniert hat.

Die Sicherstellung der Familie »Hagen« übernahm die CIA-Residentur Westberlin. Federführend wirkte der operative Mitarbeiter William Emory Fields (MfS-Deckname »Neptun«), der die gesamte Schleusungsoperation minutiös plante und realisierte. Fields war gleichfalls ein alter Bekannter des MfS - er hatte einige Jahre unter operativer Kontrolle unserer Spionageabwehr an der Botschaft der USA in der DDR verbracht. Wir kannten ihn wie unsere Westentasche - und trotzdem versagten unsere Partner im entscheidenden Augenblick.

Am 16. Dezember 1988 war uns die Welt noch in Ordnung, wir wußten nichts vom Ticken der Bombe.

Von der Paßkontrolle der HA VI am Berliner Grenzübergang für den alliierten militärischen Besatzerverkehr am Checkpoint Charly wurde die Einreise des Mitarbeiters der CIA-Residentur in Westberlin, Fields, gemeldet. Aufgrund der koordinierten Bearbeitung der Residentur in Westberlin war die HVA nicht für Kontrollmaßnahmen auf dem Territorium von Ostberlin zuständig. In Abstimmung mit der HA II/3 erfolgte die operative Kontrolle in der Hauptstadt durch Einsatzgruppen der HA VIII, die für Kontroll- und Überwachungsaufgaben ausgebildet wurden, und durch zwei Einsatzgruppen der HA II. Da sich Fields als agentenführender Mitarbeiter mit mehreren angeblichen Quellen der CIA auf dem Gebiet der DDR befaßte, genoß er während seiner Aufenthalte stets unsere besondere Betreuung.

Dieser Fields reiste also am 16. Dezember 1988 in den frühen Nachmittagsstunden in die Hauptstadt ein. Kaum hatte er den Checkpoint Charly passiert und sich in die liebevolle Obhut seiner Überwacher begeben, brach am Grenzübergang das blanke Chaos aus. Der Mitarbeiter der USA-Botschaft in Bonn, Gary D. Robbins, hatte es sich in den Kopf gesetzt, zusammen mit seiner Ehefrau und seinen im Auto sitzenden Eltern in die DDR einzureisen. Unter Hinweis auf den diplomatischen Status des Fahrzeuges, bei dem es sich um eine Limousine der US-Mission mit diplomatischem Nummernschild handelte, lehnte er eine Dokumentenkontrolle der Insassen des PKW ab. Die Diskussion ging hin und her. Der Wagen stand auf der Kontrollspur und brachte den Verkehr am Checkpoint Charly zum Erliegen. Als Mitarbeiter der Politischen Abteilung der Botschaft in Bonn, der sich mit internen Angelegenheiten der Bundesrepublik befaßte, wußte er eigentlich genau, wie er sich am Checkpoint zu verhalten hatte. Aber sein Theater war - wie wir später merkten - Teil einer umfangreichen Inszenierung. Auch wir spielten den uns zugedachten Part. Nachdem Robbins nach fast einstündiger hitziger Debatte endlich die Papiere der Insassen zur Kontrolle einreichte, war der Rückstau der nach Ostberlin einreisenden Fahrzeuge so lang, daß nach seiner Durchfahrt die Autos im Schnellverfahren abgefertigt wurden. Auch das Schleusungsfahrzeug.

In der Zwischenzeit war Fields die Leipziger Straße auf und ab gewandert. Als würde es für ihn nichts Interessanteres geben, vertiefte er sich in die Auslagen der Schaufenster und bummelte die Zeit ab. Ein Suchender am Vorabend des Weihnachtsfestes auf der Pirsch nach billigen Ostprodukten. Seinen Beobachtern wurde die Zeit lang. Die Fotos waren geschossen. Fields von vorn und von hinten und in anderen Variationen und sonst nichts. Als es 17 Uhr wurde, packten die Überwachungskräfte ihre Geräte zusammen und beendeten die Observation. Feierabend. Es lag kein Antrag auf Überwachung außerhalb der normalen Dienstzeit vor. Überstunden wurden im MfS zwar oft geleistet, aber nie vergütet ...

Nachdem unsere Kollegen Fields verlassen hatten, begab sich dieser in eine unbelebte Seitenstraße und kontrollierte die Verladung von Familie »Hagen« in den Kofferraum des Schleusungsfahrzeuges. Dann bestieg er sein eigenes Auto und folgte ihnen zum Checkpoint Charly. Dort warteten die beiden Fahrzeuge auf den Sekretär der US-Botschaft Robbins. Natürlich ging es am Grenzübergang wiederum nicht ohne Streitereien ab, die schon seine Einreise begleitet hatten. Nachdem der Rückstau der Fahrzeuge mehrere hundert Meter lang war. gab Robbins erneut nach. Mit den danach im Eiltempo ausreisenden Fahrzeugen verließ auch Familie »Hagen« die DDR. Fünf Tage später wurde unsere Quelle »Paul« in den USA verhaftet ...

Leseprobe aus: Klaus Eichner/Andreas Dobbert, Headquarters Germany. Die USA-Geheimdienste in Deutschland, edition ost Berlin 1997, S. 235-239


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