Logo Geheim 4/1997

Ein Gutachten zur »Elektronischen Wohnraumüberwachung« 1)
Großer (Lausch-)Angriff auf die Verfassung

Vorbemerkung

Schon der sprachlichen Kürze und Klarheit wegen werde ich im folgenden den allgemein gebräuchlichen Terminus »Großer Lauschangriff« verwenden, der von den Betreibern der vorliegenden Gesetzesinitiativen so gerne vermieden und mit »elektronischer Aufklärung bzw. Wohnraumüberwachung« umschrieben wird. Die Bezeichnung als »Angriff« (oder als »Eingriff) ist m.E. gerechtfertigt, da es sich um ein offensives Eindringen staatlicher Organe mit technischen Mitteln - größtenteils verbunden mit einem körperlichen Eindringen bzw. heimlichen Einbrechen - in die Privatsphäre von verdächtigen oder unverdächtigen Bürgern handelt - und keineswegs nur von »Gang stern«, was sich ohnehin erst sehr viel später, nach einer rechtskräftigen Verurteilung herausstellen wird; bis dahin gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

Der »Große Lauschangriff« in Kürze

Beim »Großen Lauschangriff« handelt es sich um die heimliche elektronisch-akustische Ausforschung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes sowie von Lebensvorgängen bzw. -äußerungen aller Art in oder aus einer Wohnung, einem Büro oder Hotelzimmer etc. zum Zwecke der Strafverfolgung. Das Abhören und Aufzeichnen kann entweder durch heimlich in der Wohnung versteckte Abhörgeräte (Wanzen), durch hochempfindliche Richtmikrophone oder per Laserstrahl von außen erfolgen.

In der bisherigen Debatte wird kaum thematisiert, daß es dem Staat bzw. staatlichen Bediensteten künftig auch erlaubt werden soll, in Wohnungen einzubrechen oder aber sich per Täuschung Zutritt zu verschaffen (,Ich komme von den Stadtwerken...«, bin »Handwerker«) - obwohl für einen solchen Einbruch im Dienst an sich keine spezielle gesetzliche Grundlage existiert, er wird lediglich denknotwendig vorausgesetzt: Der Staat als Täter, der Polizeibeamte als straflos gestellter Einbrecher im Dienste der »guten Sache«, der Bekämpfung der »Organisierten Kriminalität«. Die Betroffenen - ob beschuldigt oder in ihrer Mehrheit unverdächtig - haben keine Ahnung davon, daß ihr Privatraum möglicherweise bereits heimlich betreten worden ist, um elektronische Abhöreinrichtungen, wie etwa Wanzen hinter Schränken oder unter Betten zu installieren oder daß sie mit hochempfindlichen Richtmikrophonen oder Laserstrahlen in ihren intimsten Lebensbereichen überwacht und ausgeforscht werden. All dies soll künftig in Privaträumen und Büros geschehen können, in denen die Bürger bislang relativ sicher sein durften, daß Gespräche (oder Selbstgespräche), die sie führen, nur die von ihnen bestimmten Adressaten erreichen. Der »Große Lauschangriff« stellt einen Grundrechtseingriff von höchster Intensität dar, der mit seiner besonderen Eingriffsintensität über bisherige schwere Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung - Durchsuchung, Telefonüberwachung, Einsatz verdeckter Ermittler - noch weit hinausgeht. Bei der Telefonüberwachung nach § 100a StPO vertraut man seine Kommunikation immerhin einem technischen Mittel an, dessen Überwachung man als grundsätzliche Möglichkeit in Betracht zieht; daß aber eine ganze Wohnung verwanzt sein könnte und damit selbst intimste Lebensäußerungen in welchem Raum auch immer überwacht werden können, wird bislang höchst selten in Betracht gezogen. Dies wird sich ändern, falls die vorliegenden Entwürfe Gesetz werden sollten, und sich im Verhalten der Menschen niederschlagen - nicht nur in dem sog. Gangster.

Fataler Gesetzgebungsaktionismus ohne Fundierung

Ziel der geplanten Legalisierung sei es, so die Gesetzesbegründung, das »rechtliche Instrumentarium für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zu verbessern«. Die Verbesserung des strafprozessualen Ermittlungsinstrumentariums durch die akustische Überwachung von Wohnräumen soll ein »Eindringen in die Kernbereiche der kriminellen Organisationen und somit eine Aufhellung der Strukturen« ermöglichen.

»Durch eine Verbesserung des Ermittlungsinstrumentariums soll es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht werden, in den Kernbereich der kriminellen Organisationen einzudringen« - fast wortgleich war dieses Ziel bereits 1991 im Gesetzentwurf zur »Bekämpfung der Organisierten Kriminalität« (OrgKG) formuliert worden. Mit dieser Argumentation wurden seinerzeit der Verdeckte Ermittler, die akustische und optische Überwachung außerhalb von Wohnungen, die Rasterfahndung und Polizeiliche Beobachtung in die Strafprozeßordnung eingeführt - und damit höchst problematische nachrichtendienstliche/geheimpolizeiliche Mittel und Methoden für die Strafverfolgung legalisiert.

Seit Inkrafttreten des OrgKG (1992) sind fast sechs Jahre vergangen. Und es scheint sich bewahrheitet zu haben, was ich damals anläßlich der Anhörung im Bundestag zusammen mit anderen Sachverständigen voraussagte: »Bislang ist es kaum jemals gelungen, mit klandestinen Polizeimitteln etwa in den Kern von kriminellen Organisationen vorzustoßen. Auch diese Methoden werden wieder bei den kleineren Kriminellen hängen bleiben, die nur selten wirklich professionell arbeiten...«.

Keine Prüfung der Effizienz, Risiken und Nebenwirkungen

Obwohl die Betreiber von Gesetzesverschärfungen und Grundrechtseinschränkungen prinzipiell darlegungs- und beweispflichtig sein sollten, was die Effizienz, Verfassungsverträglichkeit und die Kontrollierbarkeit der zu legalisierenden Befugnisse anbelangt, sind sie dieser Pflichtigkeit jedoch bislang nicht nachgekommen, auch und gerade nicht im vorliegenden Fall. Seit Verabschiedung des OrgKG ist jedenfalls keines der in den vergangenen Jahren eingeführten Fahndungsmittel auf seine Wirksamkeit und seine bürgerrechtlichen Kosten hin überprüft worden ist. Nur eines ist gewiß: Die objektive Sicherheit der Bürger und Bürgerinnen hat jedenfalls kein Jota zugenommen - geschweige denn deren Sicherheitsgefühl, auf das immer wieder Bezug genommen wird. Wie die vorliegende Gesetzesinitiative zum Großen Lauschangriff nicht deutlicher belegen könnte, sind auch mit dem neuen, Anfang der 90er Jahre geschaffenen geheimpolizeilichen Mitteln keine durchgreifenden »Erfolge« gelungen. Selbst der vorliegende Begründungstext zum GG-Änderungsentwurf geht von der Ineffektivi tät des Verdeckten Ermittlers im OK-Zusammenhang aus, »da auf Grund der straffen Organisation eine Einschleusung Dritter nur selten möglich ist« und darüber hinaus bei Einsätzen im Bereich der OK »wegen der Gewaltbereitschaft der Täter regelmäßig erhebliche Gefahren für Leib und Leben der verdeckt arbeitenden Personen zu befürchten ist« (S. 4L).

Eigentlich ein schlechtes Zeugnis für die Tauglichkeit des Verdeckten Ermittler im OK-Bereich, für den er legalisiert worden ist. Aber keiner der Verantwortlichen kommt offenbar auf die Idee, dieses prekäre Instrument wieder abzuschaffen. Nach dem Motto: »Was man hat, das hat und nutzt man«. Jetzt verspricht man sich vom Großen Lauschangriff den großen Durchbruch. Doch es gibt bislang noch nicht einmal eine schlüssige Vermutung, daß der Große Lauschangriff überhaupt für den angestrebten Zweck erforderlich, tauglich, angemessen, kurz: verhältnismäßig ist. Es ist wieder einmal gewissermaßen ein Gesetzesvorstoß ins Blaue ohne gesicherte Datenbasis, für den allenfalls das populistische Signal an die Bevölkerung »spricht«, deren Mehrheit auf den »starken Staat« hofft. Doch auch die Möglichkeit zum Großen Lauschangriff wird die objektive Sicherheit der einzelnen Bürger in keiner Weise verändern, und schon gar nicht das überschießende Gefühl der Unsicherheit, das sich bei gründlicher Nachprüfung eher aus sozialer Unsicherheit aufgrund der ökonomischen Krise, der Massenarbeitslosigkeit und aus einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik speisen dürfte.

Heute läßt sich aus bürgerrechtlicher Sicht wenigstens noch etwas Positives zu den vorliegenden Gesetzentwürfen anmerken: Der Große Spähangriff in und aus Wohnungen soll nicht legalisiert werden, also die optische Wohnraumüberwachung durch Anfertigen von Lichtbildern und Bildaufzeichnungen zu Zwecken der Strafverfolgung. Und in fünf Jahren? Wird es dann heißen: Auch die visuelle Überwachung von »Gangsterwohnungen« ist unabdingbar, um ein »Eindringen in die Kernbereiche der kriminellen Organisationen« zu ermöglichen; weder Verdeckter Ermittler noch Großer Lauschangriff haben dies vermocht ... Eine effektive Strafverfolgung der Drahtzieher und Hintermänner scheitere an der professionellen Abschottung. Die Profis der anderen Seite wußten sich nämlich zu schützen, zu tarnen, ganz professionell abzuschotten. Und so dürfte sich auch hier die alte Erfahrung bestätigen, daß jedes neuartige Ermittlungsinstrument auch wirksame Abschottungsmethoden nach sich zieht.

Die als OK-typisch geltenden Indikatoren bzw. Kriterien werden nicht selten erst durch die polizeiliche Ermittlungsarbeit erzeugt, erweisen sich also als kontraproduktives Ergebnis insbesonderer klandestiner kriminalistischer Arbeit. So wird etwa die Tendenz des OK-typischen Kriteriums der Abschottung bzw. der Konspiration verstärkt durch die vermehrten polizeilichen Versuche, mit geheimen Polizeimethoden in die kriminellen Szenen einzutauchen bzw. diese auszuforschen. Schon der frühere BKA-Präsident Horst Herold hat 1974 auf die Gefahr der unfreiwilligen Förderung der Abschottung durch die forcierte Polizeientwicklung, auf ihre eskalierende und letztlich kontraproduktiv Wirkung hingewiesen (in: BKA, Organisiertes Verbrechen, Wiesbaden '75, S. 5f.).

Die Täter werden künftig entweder ihre Wohnungen meiden, um Taten zu planen und zu besprechen, schließlich gibt es noch andere Orte auf weiter Flur; oder sie werden sich mit abhörsicheren Räumen, elektronischen Spürgeräten oder Störmanövern (Wasser/Musik, Sprachverschleierung etc.) zu schützen wissen. Schließlich handelt es sich um gerissene Profis, wie die Gesetzesbegründer nicht müde werden, zu betonen. Wo, so frage ich Sie, soll das alles enden? Kann es eine staatliche »Waffengleichheit« mit dem »Organisierten Verbrechen«, wie sie immer wieder angestrebt wird, überhaupt geben? Eine wahrlich bange Frage, wenn man bedenkt, daß ein demokratischer Rechtsstaat nicht alles können dürfen soll, was denkbar und machbar erscheint, es sei denn um den Preis, mit einer solchen Eskalation in ein illiberal-autoritäres Regime abzugleiten, das der Sicherheit und dem Strafanspruch des Staates absolute Priorität gegenüber den individuellen Freiheitsrechten der Bürger einräumt.

I. Der »Große Lauschangriff« - ein Angriff auf die Verfassung

Grundsätzliche Kritik - oder: der Zweck heiligt nicht jedes Mittel

1. Ist eine Grundgesetzänderung (Art. 13 GG) zulässig?
Voraussetzung für die Entfaltung des Individuums und seiner freien Entwicklung ist die Aufrechterhaltung eines privaten Raumes, in dem sich der Mensch vollkommen unbeobachtet bewegen kann und nicht befürchten muß, dort vom Staat überwacht und kontrolliert zu werden. Die Absicherung privater Räume vor staatlicher Überwachung war historischer Grund für die verfassungsrechtliche Verankerung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Die freie Kommunikation - ohne Angst vor staatlichen Mithörern - ist eine der wesentlichen Voraussetzungen einer lebendigen Demokratie.

1.1 »Ewigkeitsgarantie« (Art. 79 Abs. 3 GG):
Nach Art. 79 Abs. 3 GG ist eine Grundgesetzänderung dann absolut unzulässig, wenn die in Art. 1 und Art. 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) ist seinem Ursprung nach ein echtes Individualrecht, das dem einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde (Art. 1 GG), im Interesse seiner freien Persönlichkeitsentfaltung und seiner körperlichen und psychischen Integrität (Art. 2 GG) einen »elementaren Lebensraum« gewährleisten soll. Das bedeutet: Mit der Demontage des Art. 13 werden auch Grundsätze des Art. 1 GG berührt bzw. beeinträchtigt, was gem. Art. 79 Abs. 3 GG) unzulässig ist.

1.2 Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG):
Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG garantiert den Kernbestand der Grundrechte. Das heimliche Belauschen des privaten Wohnraums mit technischen Mitteln ist ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und das »informationelle Selbstbestimmungsrecht« (Art. 2), deren Wesensgehalt in keinem Fall angetastet werden darf. Mit der Zulassung des Großen Lauschangriffs ist der Wesensgehalt dieser Grundrechte jedoch tangiert, weil die geplante Befugnis tief in die Privat- und Intimsphäre des Einzelnen, aber auch eines kaum eingrenzbaren Kreises unverdächtiger BürgerInnen eingreift. Aus der Wesensgehaltsgarantie zu Art. 13 und 2 leitet sich nach der Rechtsprechung des BVerfG ein »letzter unantastbarer Bereich« der Privatsphäre ab, welcher der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen. An dieser Stelle endet nach dieser Auffassung jeder Spielraum für Normgestaltungen des Staates.

1.3 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Unabhängig von der Beurteilung der vorgenannten Garantien müßte die Grundrechts einschränkung nach dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz notwendig, geeignet und angemessen sein. Ich möchte mich - vor dem Hintergrund einer mehr als zweifelhaften Erforderlichkeit und kaum gegebenen Geeignetheit (s. dazu weiter oben sowie mein ausführliches Gutachten) - auf die Angemessenheit konzentrieren. Die Frage ist, ob der Lauschangriff überhaupt angemessen sein kann im Verhältnis zur damit verbundenen Einschränkung zentraler Grundrechte. Zu den Nachteilen gehören:
- die schwerwiegenden Eingriffsfolgen für die unmittelbar Betroffenen im Fall einer tatsächlichen Lauschoperation, und zwar für die Beschuldigten und insbesondere die Vielzahl Unverdächtiger,
- die mit der Einführung des Lauschangriff verbundenen Ängste, möglicherweise abgehört zu werden; der ehemalige schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf meint gar, daß die verbreiteten »Ängste vor einem Lauschangriff« gewichtiger seien als das Eindringen in die Privatsphäre selbst,
- die strafprozessualen Auswirkungen - d.h. die faktische Aushebelung prozessualer Rechte der Zeugnisverweigerungsbereichtigten und des Beschuldigten, die ich als Anwalt/ Strafverteidiger und Publizist hier besonders hervorheben will:

1.4 Strafverfahrensrechtliche Prinzipien:
Niemand braucht sich selbst zu belasten. Solche selbstbelastenden Aussagen dürfen nicht verwertet werden, wenn eine Belehrung nach § 136 StPO ausgeblieben ist (Recht zu Schweigen, Hinzuziehung eines Anwalts). Diese Belehrungspflicht wird aber umgangen, wenn sich jemand im Gespräch innerhalb seiner Wohnung, gegenüber seiner Familie oder seinen Angehörigen offenbart und ein Geständnis ablegt und dabei gezielt abgehört wird - evtl. sogar, nachdem er zuvor von der Polizei/Staatsanwaltschaft vernommen worden ist, aber nach Belehrung die Aussage verweigerte.

Aushebelung besonderer Vertrauensverhältnisse: Im Fall von Lauschangriffen werden Zeugnisverweigerungsrechte von Berufsgeheimnisträgern, etwa Anwälten, Ärzten, Journalisten, Abgeordneten, Geistlichen, Drogenberatern etc. praktisch zur Makulatur - selbst dann, wenn der Angriff nicht gezielt auf Woh nung oder Büro des Berufsgeheimnisträgers ausgeübt wird (was m.E. mangels verfassungsfester Regelung in den vorliegenden Entwürfen nicht ausgeschlossen ist). So wird etwa der freie Verkehr des Beschuldigten mit seinem Verteidiger (§ 148 StPO) auch dann beeinträchtigt, wenn dieser mehr oder weniger zufällig in der abgehörten Wohnung des Überwachten anwesend ist. Selbst ein Verwertungsverbot in solchen Fällen würde nicht die bereits eingetretenen Nachteile beseitigen können - denn dann hätte die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft u.U. schon Kenntnis erlangt etwa von der besprochenen Verteidigungsstrategie. Auf solche Weise einmal erlangtes Wissen ist praktisch nicht mehr zu löschen.

Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wird mit dem Lauschangriff - entweder vorübergehend oder auch auf Dauer - ausgehebelt. Daran ändert auch die - mit etlichen Ausnahmen versehene - Benachrichtigungspflicht gegenüber Betroffenen nicht viel. Denn wer von der heimlichen Überwachung nichts erfährt oder erst sehr spät, kann sich nicht mehr angemessen und rechtzeitig gegen diesen Eingriff (gerichtlich) zur Wehr setzen, allenfalls, wenn die gesamte Aktion längst vorüber ist.

Fazit: Die notwendige Abwägung von Vorteilen (der »erleichterten« Strafverfolgung) und Nachteilen fällt zu Lasten des Großen Lauschangriffs aus. Das heißt: Eine solche Grundgesetzänderung würde auch gegen den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Diese Änderung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung berührt direkt die Qualität fundamentaler Freiheitsrechte der Bürger.

II. Der Teufel steckt auch im Detail

Kritik der Gesetzentwürfe im einzelnen

Die Ausformulierung der Grundgesetzänderung und der strafprozessualen Umsetzung orientiert sich - ihre grundsätzliche, verfassungsrechtliche Zulässigkeit entgegen dem bisherigen Befund einmal vorausgesetzt - nur ungenügend an den Erfordernissen der Normenklarheit, einer engen Begrenzung, wirksamer Verfahrenssicherungen und effektiver Kontrollmöglichkeiten.

1. Zu den potentiellen Betroffenen

1.1 Kein Schutz von Zeugnisverweigerungsberechtigten
In den Gesetzesentwürfen wurden weder Ausnahmeregelung für Wohnungen und Büros von Berufsgeheimnisträgern normiert noch Verwertungsverbote für den Fall, daß Zeugnisverweigerungsberechtigte in Abhörmaßnahmen involviert wurden. Daher drohen die auf die vorliegenden Gesetzestexte gestützten Abhörmaßnahmen zumindest den Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis sowie das Mandats- und Arztgeheimnis zu zerstören und damit das Vertrauensverhältnis zwischen Journalist und Informant, zwischen Anwalt und Mandant sowie zwischen Arzt und Patient nachhaltig zu erschüttern. Allein das Wissen darum, daß abgehört werden könnte, kann hilfesuchende Menschen bereits enorm verunsichern.

1.2 Kein dringender Tatverdacht erforderlich
Nach den Gesetzesvorlagen ist noch nicht einmal ein dringender Tatverdacht gegenüber dem Abzuhörenden erforderlich, sondern es reicht schon ein einfacher Verdacht.

1.3 Kein Schutz von Wohnungen Unverdächtiger/von bloßen Kontaktpersonen
Zwar dürfen Abhörmaßnahmen grundsätzlich nur in Wohnungen und Geschäftsräumen des Beschuldigten oder in von ihm angemieteten Hotelzimmern etc. durchgeführt werden. Aber auch in Wohnungen anderer Personen - also auch vollkommen unbeteiligter und unverdächtiger Dritter - sind solche Maßnahmen zulässig, wenn sich der Beschuldigte »vermutlich« darin aufhält.

Beispiel: Die Wohnung eines völlig unbescholtenen Ehepaars kann abgehört werden, wenn deren Kinder dort etwa ein Fest feiern und möglicherweise jemand mitfeiert, der des Drogenhandels verdächtigt wird. Dabei werden Gespräche und sonstige Lebens äußerungen von einer Vielzahl von Personen erfaßt: von Lebensgefährten, Freunden, Bekannten und sonstigen möglichen Kontaktpersonen des Verdächtigen. Die offizielle Sprachregelung, der Lauschangriff betreffe ausschließlich »Gangsterwohnungen«, ist also falsch und bewußt irreführend. Denn auch Wohnungen vollkommen unbeteiligter und unverdächtiger Personen können nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf abgehört werden.

2. Untaugliche Versuche der Einschränkung und Begrenzung

2.1 Verdacht einer »besonders schweren Straftat«
Auf den Einschränkungsversuch in Art. 13 Abs. 3 S. 1, daß der Verdacht eine »durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat« betreffen muß, ist kein Verlaß. Denn zum einen reicht es aus, daß nur »bestimmte Tatsachen« den Verdacht begründen müssen, zum anderen entspricht der Deliktskatalog im neuen § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO-E weitgehend dem des § 100a StPO mit seinen über 70 Anlaß-Straftatbeständen. Neben Kapitalverbrechen, wie Mord, Totschlag oder Völkermord, gehören dazu auch Delikte des politischen Strafrechts (Friedensverrat, Hoch- und Landesverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Verstoß gegen Vereinigungsverbote - ggfls. rein verbale Taten -, Offenbaren von Staatsgeheimnissen), Drogenhandel, (einfacher) Bandendiebstahl, gewerbsmäßige Hehlerei, Geldfälschung, die Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, die Unterstützung oder Werbung (also grundsätzlich auch rein verbale Delikte) für eine solche, bestimmte Straftaten nach dem Ausländergesetz und die illegale Einschleusung von Menschen nach Deutschland (insgesamt über 50 Anlaß-Delikte und rund 100 mögliche Begehungsformen). Danach wäre also selbst jugendtypische Delikte Anlaß für Große Lauschangriffe, wenn der Verdacht besteht, daß sie etwa bandenmäßig durchgeführt worden sein sollen. Schwere Delikte aus dem Bereich der Oberweltkirmininalität - der Wirtschafts-, Korruptions-, Steuer hinterziehungs- und Umweltkriminalität - sucht man hingegen vergebens. Viele der genannten Anlaßdelikte passen noch nicht einmal zur geplanten grundgesetzlichen Formulierung der »besonders schweren Straftat« - wären also von vornherein als verfassungswidrig anzusehen. Im übrigen kann der ohnehin schon viel zu umfangreiche Straftaten-Katalog jederzeit mit einfacher Mehrheit per Gesetz ausgeweitet werden, ist also nicht verfassungsfest (nur mit 2/3-Mehrheit zu verändern).

2.2 Ultima-Ratio-Klausel
Danach soll der Eingriff nur »als letztes Mittel« zulässig sein, wenn »die Erforschung des Sachverhalts (oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters) auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre« (§ 100c Abs. 1 StPO-E; Art. 13 Abs. 3 GG-E). Solche ultima-ratio-Bedingungen sind nicht neu: Sie werden in der StPO mehrfach verwendet, so z.B. bei der Telefonüberwachung, und haben gerade hier bekanntlich keine nennenswert einschränkende Wirkung entfaltet.

3. Effektive verfahrenssichernde Maßnahmen?

Der Versuch, den schwerwiegenden Eingriff in die Privat- und Intimsphäre verfahrenssichernd abzufedern, ist beachtlich. Solche Sicherungen würde man sich bei manch anderen polizeilichen bzw. strafprozessualen Eingriffen wünschen. Doch der verfahrenssichernde Versuch bezüglich des Großen Lauschangriffs ist - gerade wegen der Intensität dieses Grund-rechtseingriffs - ungenügend, teilweise untauglich. Insgesamt ist jedenfalls zu befürchten, daß auch die »rechtsstaatlichen Hürden«, mit denen für den Großen Lauschangriff geworben wird, nur wenig bewirken werden, außer den Einstieg in eine neue deutsche Olympia-Disziplin: »Hindernislauf der Wanzen«.

3.1 Ungenügende richterliche Kontrolle
Sicher könnte ein Richterkollegium am Landgericht mit drei Richtern besser für die Anordnung geeignet sein, als ein - womöglich überforderter - Einzelrichter, der unter Zeitdruck steht. Doch die Gesetzesentwürfe sehen vor, daß bei »Gefahr im Verzug« ein einzelner Richter (Vorsitzender) für die Anordnung genügen soll. Diese Regelung könnte - wie die Erfahrung mit solchen Eilkompetenzen zeigt - zur Regel werden, so daß dann drei Tage lang in der betreffenden Wohnung per Wanze gelauscht werden kann, bevor die Anordnung entweder außer Kraft tritt oder von der Strafkammer bestätigt wird. In dieser Zeit - etwa am Wochenende - kann die elektronische Ausforschung bereits schwer wiegenden Grundrechtsschaden angerichtet haben, ohne daß die mit Bedacht gewählte Sicherung eines anordnenden Richterkollegiums den Sachverhalt überprüft hat. Im Falle der Nichtbestätigung der Eil-Anordnung des Einzelrichters durch eine Strafkammer ist noch nicht einmal - soweit ich sehe - die unverzügliche Löschung der Aufzeichnungen vorgesehen.

Gem. Art 13. Abs. 5 GG-E kann eine Abhörmaßnahme auch vollkommen ohne Richter angeordnet werden, wenn sie »ausschließlich zum Schutze der bei einem polizeilichen Einsatz in Wohnungen tätigen Personen« vorgesehen ist - also zum Schutz von Verdeckten Ermittlern (oder auch beauftragten und verpflichteten V-Leuten). In einem solchen Fall soll eine »gesetzlich bestimmte Stelle« - also die Polizei selbst oder die Staatsanwaltschaft - die Maßnahme anordnen dürfen. Nur für den Fall, daß die hierbei erlangten Erkenntnisse anderweitig - also für andere Zwecke - verwendet werden sollen, muß zuvor die »Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt« werden - bei »Gefahr im Verzug« ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

Der praktische Umgang mit sog. Richtervorbehalten zeigt, daß solche verfahrenssichernden Maßnahmen den Betroffenen keineswegs mehr Rechtssicherheit bringen. Denn an der Effektivität richterlicher Vorabprüfungen sind auch dann, wenn ein mit drei Richtern besetzter Spruchkörper tätig werden soll, generell erhebliche Zweifel angebracht: 2)
- Auch diese Richter werden ausschließlich auf die Darlegungen der Polizei angewiesen sein.
- Häufig werden ihnen - das zeigen die Erfahrung bei Telefonabhöraktionen - »ausgezehrte« Akten präsentiert: Seit der Legalisierung des Verdeckten Ermittlers können bestimmte Aktenteile zu den Unterlagen der Staatsanwaltschaft genommen werden (§ 110d Abs. 2 StPO); zu den Akten sind sie erst zu nehmen, »wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszweckes, der öffentlichen Sicherheit, von Leib oder Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers geschehen kann« - was der (zeitweisen) Aktenmanipulation Tür und Tor öffnet.
- In aller Regel werden die Richter den zugrundeliegenden Sachverhalt, der ihnen aus der einseitigen Strafverfolger- Perspektive präsentiert wird, nicht ausreichend und abwägend überprüfen können, zumal sie nicht die Möglichkeit haben, eigene Ermittlungen anzustellen.

Daß der Richtervorbehalt als rechtsstaatliche Sicherung bei verdeckten Maßnahmen immer Gefahr läuft, zu versagen, belegt in aller Deutlichkeit der exzessive Umgang mit der Telefonüberwa chung TÜ) in Deutschland, die trotz richterlicher »Kontrolle« jährlich über 8.500mal durchgeführt wird (1996).3 Die Bundesrepublik ist trotz Richtervorbehalts das westeuropäische Land mit den meisten abgehörten Telefonanschlüssen. Die TÜ- Zahlen sind in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen: Sie haben sich von 1989 bis 1993 nahezu verdoppelt auf knapp 4.000, um 1996 - nach zwischenzeitlichen leichten Rückgängen - auf über 8.500 anzuwachsen.

3.2 Keine wirksame Befristung der Anordnung/Maßnahme
Es ist zwar eine zeitliche Befristung der einzelnen Abhörmaßnahme auf höchstens 4 Wochen vorgesehen, nicht aber eine Höchstfrist für den zulässigen Fall, daß Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier Wochen beantragt und angeordnet werden.

Die Abhörmaßnahme kann immer wieder um jeweils vier Wochen verlängert werden, so daß letztlich Wohnungen - mangels einer Höchstfristregelung - auch monatelang, ja über ein Jahr lang ununterbrochen abgehört werden könnten.

4. Durchlöcherter Datenschutz

4.1 Durchbrechung der Zweckbindung
Generell ist die Zulässigkeit der Nutzung der aus einer Wohnraumüberwachung gewonnenen personenbezogenen Informationen zu Beweiszwecken auf die Katalogtaten des § 100c Abs. 1 Nr. 3 beschränkt. Aber es soll Ausnahmen gegen. So könnte sich die Regelung des Art 13. Abs. 5 GG-E als Einfallstor entpuppen: Danach kann die mögliche Gefährdung eines Verdeckten Ermittlers (VE) in einer bestimmten Wohnung per Lauschangriff abgeklärt werden - dazu bedarf es keiner Richterentscheidung, sondern die Polizeibehörde kann dies aus eigener Kompetenz anordnen. Da kann also erst einmal ohne Einschränkung gelauscht und ausgewertet werden, was im einzelnen geredet wurde; dann werden die so erlangten Informationen, die eigentlich nur dem Schutzzweck des VE dienen sollten, im Falle ihrer Ergiebigkeit verdichtet und zu Beweiszwecken verwendet - alles legal, wenn hinterher auch die Richter mitmachen; und die werden wohl mitmachen, wenn ihnen erst die komprimierten O-Töne vorgespielt werden. Also: erst unter vereinfachten Bedingungen lauschen, dann auswerten, dann zweckentfremdet weiter verwenden, dann richterlich bestätigen lassen. Und selbst wenn nicht richterlich bestätigt werden sollte: Das einmal erlangte Wissen ist nicht revidierbar, sprich: ist nutzbar zumindest als neuer Ermittlungsansatz.

5. Ungenügende Kontrollregelungen

5.1 Berichtssystem: Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft/ Bundesregierung
Es werden hier keine wirklich begrenzenden Pflichten, wie sie etwa in den USA bestehen, geregelt: keine persönlich von den anordnenden Richtern verantwortete Verlaufs- und Erfolgskontrolle, kein öffentlicher Begründungszwang. Eine absichtsvolle Unterlassungssünde, wo man sich doch bei der Zulassung des Großen Lauschangriffs gerne auf die USA beruft?

5.2 Unausgefüllte Parlamentarische Kontrolle
Was die Befugnisse des neu zu wählenden parlamentarischen Gremiums anbelangt, so erfährt man über dessen Kompetenzen lediglich, daß es »auf der Grundlage dieses Berichtes« der Bundesregierung »die parlamentarische Kontrolle« ausübt. Und wie soll diese Kontrolle genau aussehen? Hat das Gremium aktive Informationszugangsrechte, wie Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht (über den Bericht hinaus), Zugangsrechte, Anhörungs- bzw. Vernehmungsrecht, eigenes Berichtsrecht, Beanstandungsrecht, eigenständige Öffentlichkeitsarbeit...? Lauter offene Fragen.

Keine Folgen bei Nichtbeachtung verfahrenssichernder Maßnahmen

Die Nichtbeachtung verfahrenssichernder Maßnahmen hat gesetzlich keine Folgen (keine strengen Verwertungsverbote für die erlangten Beweismittel).

Fazit: Die einschränkende Wirkung des geplanten »Hindernislaufs der Wanzen« wird schon dadurch entwertet, daß bereits ein einfacher Tatverdacht ausreicht, daß eine nicht vorhersehbare Vielzahl von Menschen betroffen bzw. involviert werden und daß auch ein Richterkollegium letztlich bei seiner Vorabkontrolle ausschließlich auf die Darlegungen der Polizei angewiesen sein wird, die Sachverhaltsdarstellung also allein der Definitionsmacht der Polizei unterliegt. Mit den geplanten »verfahrenssichernden« Maßnahmen läßt sich die festgestellte Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen. Sie sind nicht geeignet, den elementaren Eingriff in den Rechtsstaat und die Grundrechte zu verhindern. Die Belastung einer Vielzahl von Unverdächtigen durch Lauschangriff und heimliche Aufzeichnung von Gesprächen in und aus Wohnungen - möglicherweise von Gesprächen mit Berufsgeheimnisträgern - bleibt so schwerwiegend, daß eine den Lauschangriff auf Wohnungen zu strafprozessualen Zwecken gestattende Grundgesetzänderung gleichwohl als unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig zu gelten hat.

Sicherheitspolitisches Umfeld des »Großen Lauschangriffs«

Die permante Nachrüstung, die geradezu hilflos erscheinende Einfallslosigkeit des »more of the same« im Bereich der »Inneren Sicherheit« ist längst schon kläglich gescheitert - schließlich ist trotz dieser Aufrüstungspolitik die (Massen- und Gewalt-) Kriminalität in bestimmten Bereichen und Regionen weiter angewachsen und haben sich Phänomene herausgebildet, die heute als sog. »Organisierte Kriminalität« die neue Legitimation abgeben für das beharrliche Weiterschrauben an der Rüstungsspirale. Solange nicht die sozialen und ökonomischen Ursachen und Bedingungen von Kriminalität und Gewalt bekämpft werden, sondern mit Scheinlösungen ausschließlich an den Symptomen angesetzt wird, solange wird sich nichts zum Positiven ändern.

Im Zuge der herrschenden Sicherheitspolitik kommt es schon längst zu Grenzüberschreitungen jenseits der Verfassung: Die Polizei bekam nachrichtendienstliche Befugnisse zugestanden, den Geheimdiensten werden (im Bereich der OK) z.T. polizeiliche Aufgaben übertragen, das verfassungsgemäße Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten - die längst durchlöchert ist - wird offen zur Disposition gestellt und eine verfassungswidrige Geheim-Polizei billigend in Kauf genommen.

Seit Beginn der 90er Jahre wurde der Schutzstandard für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung drastisch verschlechtert. Mit dem OrgKG (1992), dem sog. Verbrechensbekämpfungsgesetz (1994), der Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, dem Ausländerzentralregistergesetz (1994), dem BGS- und BKA-Gesetzes (1994 resp. 1997) sowie mit diversen Ergänzungen der StPO wurden u.a. folgende staatlichen Befugniserweiterung eingeführt bzw. legalisiert:
- der verdeckte Ermittler,
- die Rasterfahndung,
- die Polizeiliche Beobachtung, der Lausch- und Spähangriff (heimliches Filmen und Belauschen) außerhalb von Wohnungen,
- die Ausweitung der Delikte, die eine Telefonüberwachung rechtfertigen,
- Vermehrung abhörberechtigter Dienststellen (z.B. das Zollfahndungsinstitut),
- die flächendeckende Kontrolle der Auslandstelefonate durch den BND nach dem »Staubsaugerprinzip«,
- on-line-Anschlüsse der Polizei und Nachrichtendienste an das Ausländerzentralregister,
- Europol und die europäische Vernetzung von Teilen der polizeilichen Datensammlungen.

Hinzukommen: Telefonüberwachung, Postkontrolle, präventiver Lausch- und Spähangriff, anlaß- und verdachtsunabhängige Kontrollen, Schleppnetzfahndung usf.

Die Zahl der gesetzlich legitimierten polizeilichen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten und damit die Kontrolldichte in der Bundesrepublik haben in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Demokratie, Bürgerrechte und liberaler Rechtsstaat vertragen keine weiteren Ausforschungsinstrumente, die derart tief in die individuelle Privat- und Intimsphäre eingreifen, wie es beim Großen Lauschangriff der Fall wäre.

OK als Legitimationsformel für ein neues Sonderrechtssystem

Das (in einzelnen Deliktsfeldern und Regionen tatsächlich vorhandene) Gefahrenpotential der »Unterwelt«-OK ist in den vergangenen Jahren politisch dramatisiert und für eine angsterregende Sicherheitskampagne instrumentalisiert worden. Die OK - als neuer »Staatsfeind Nr. 1« - wurde zu einem politischen Kampfbegriff, mit dem (noch) liberale Kräfte (und die SPD) unter massiven politischen Druck gesetzt werden konnten. Die OK wurde zur populären Legitimation für staatliche Aufrüstungsmaßnahmen und Gesetzesverschärfungen - vergleichbar den anderen großen Legitimationsformeln der vergangenen Jahrzehnte: der »Gefahr des Kommunismus« in den 50er und 60er Jahren, des Linksextremismus« und insbesondere des (Links-) Terrorismus« in den 70er und 80er Jahren, mit dessen politischer Dramatisierung ebenfalls innere Angst- und Aufrüstungspolitik betrieben worden ist.

Diese Politik führte seinerzeit in den 70er und 80er Jahren zu einem höchst problematischen »Anti-Terror«-Sonderrechtssystem, das den liberalen Rechtsstaat erheblich demontierte (bis heute ist keines der damaligen »Ausnahmegesetze« aufgehoben worden). Mit dem OrgKG, dem »Verbrechensbekämpfungsgesetz« und den neuen Länderpolizeigesetzen ist in den 90er Jahren der Grundstein für ein neues, ausbaufähiges »Anti-OK«-Sonderrechtssystem gelegt worden, mit dem im wesentlichen geheimpolizeiliche bzw. nachrichtendienstliche Mittel und Methoden der staatlichen Überwachung, Konspiration und Infiltration weit im Vorfeld von strafbaren Handlungen legalisiert worden sind: Verdeckte Ermittler mit falscher Identität (Legenden), Tarnnamen und Tarnpapieren; V-Leute aus kriminellen Milieus, Lausch- und Spähangriffe mit Wanzen, Richtmikrophonen, Peilsendern, Videokameras etc., Rasterfahndung und langfristige polizeiliche Beobachtung mit der Möglichkeit, Persönlichkeitsprofile und Bewegungsbilder von Verdächtigen, Kontakt- und Begleitpersonen zu erstellen; die bislang nur für den Drogen- und »Terrorismus«-Bereich geltende, höchst umstrittene Kronzeugenregelung sowie der Zeugenschutz, d.h. die Ermöglichung der Geheimhaltung der Identität und des Wohn- bzw. Aufenthaltsortes eines gefährdeten Verdeckten Ermittlers oder einer V-Person vor Gericht - mit der Folge tendenzieller Geheimprozesse. Der Einsatz geheimer polizeilicher bzw. nachrichtendienstlicher Methoden führt zwangsläufig zu geheimjustitiellen Folgen.

Die Rolle der Polizei hat sich im Laufe dieser Entwicklung erheblich verändert. »Verdeckte Ermittler und verdeckte Ermittlungen mit technischen Mitteln verwischen die Grenze zwischen Polizei und Nachrichtendienst und verletzen das auf Grund der Erfahrungen mit Gestapo und Stasi in Deutschland notwendige Trennungsgebot« (Jürgen Seifert). Eine nicht zu unterschätzende Gefahr der »Organisierten Kriminalität« ist m.E. gerade in ihrer Bekämpfung mittels solcher Spezialermächtigungen zu sehen. Denn mit ihrer Hilfe wird in Grundprinzipien der Verfassung, des Strafprozesses und des Datenschutzes eingegriffen - zu Lasten der Beschuldigten, aber auch einer Vielzahl gänzlich unbeteiligter oder unschuldiger Dritter.

Die rechtsstaalichen und bürgerrechtlichen Kosten einer staatlich organisierten »Gegen-Mafia« und neuen »Geheim- Polizei«

Was die »Bekämpfung« der »Organisierten Kriminalität« anbelangt, so kann sich dieses Land keine staatlich organisierte »Gegen- Mafia« leisten, die mit der »Organisierten Kriminalität« Schritt hält und sie bis zur Verwechselbarkeit zu durchdringen versucht. Dieses Land verträgt - schon aus historischen Gründen - keine »Geheim-Polizei«, die in der Lage ist, gesellschaftliche Bereiche zu infiltrieren und die sich der öffentlichen Kontrolle mehr und mehr entziehen kann. Denn: Im Rechtsstaat kann es keine »Waffengleichheit« mit dem organisierten Verbrechen geben, es sei denn um den Preis von staatlich (mit-) organisierter Kriminalität (was es teilweise schon gibt), von staatlicher Machtkonzentration zu Lasten der Bürgerrechte, um den Preis einer nicht mehr kontrollierbaren Polizei und einer partiellen Geheimjustiz. Der Staat muß sich nicht nur in der Zielsetzung, sondern auch in den Methoden von der OK unterscheiden. Kriminalität und Gewalt gibt es in jeder Gesellschaft - mehr oder weniger, je nach dem, welche Definition zugrunde gelegt wird, je nach den systemimmanenten krimininalitätsverursachenden bzw. -fördernden Bedingungen, Strukturen und Faktoren. Kriminalität und Gewalt können auch mit noch so viel und einer noch so mächtigen und geheimen Polizei nicht aus der Welt geschafft werden. Dieser Erkenntnis folgend, bedarf es zum einen endlich einer deutlichen Absage an die herrschende Dominanz polizeilicher bzw. strafrechtlicher Lösungsversuche, zum anderen des Muts zu sozialpolitischen und verfassungsverträglichen Lösungsansätzen, die geeignet sind, der sozialschädlichen Kriminalität den Nährboden zu entziehen.

Der befürchtete negative Einfluß der »OK« auf die Politik, auf die öffentliche Verwaltung und die Sicherheitsorgane wurde möglicherweise mit dem OrgKG und den Folgegesetzen bereits in die Wege geleitet und könnte nun mit der Legalisierung des Großen Lauschangriffs besiegelt werden.

Anmerkungen:
1) Kurzfassung meiner ausführlichen Gutachterlichen Stellungnahme vom 20.11.1997 anläßlich der Öffentlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am 21. November 1997 zu den Gesetzesentwürfen der CDU/CSU, SPD und FDP (Grundgesetzänderung zur Legalisierung der »Elektronischen Wohnraumüberwachung« - BT-Drucks. 13/8650) - und StPO-Änderung zur »Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität« - BT-Drucks. 13/8651). Weitere Sachverständige u.a.: Dr. Bernd Asbrock (Vors. Richter am LG Bremen), Prof. Dr. Hans Peter (Uni Hamburg), Prof. Dr. Helmut Frister (Uni Düsseldorf), Generalstaatsanwalt Froschauer (OLG München), Prof. Dr. Herdegen (Uni Bonn), Karlmann Geiß (BGH-Präsident), RA Eberhard Kempf (Frankfurt/M.), Oberstaatsanwalt Krombacher (StA Stuttgart), Prof. Dr. Hans Lisken (RA, Ex-Polizeipräsident), OStA Röding (StA Konstanz), Prof. Dr. Uwe Scheffler (Uni Frankfurt/Oder), Klaus Weber (LG-Präsident Traunstein), Bischof und Prälat der Kath. und Ev. Kirche).
2) Vgl. dazu: Asbrock, »Zum Mythos des Richtervorbehalts« als wirksames Kontollinstrument, in: »Organisierte Kriminalität« - Ein Phantombegriff mit hohem Gebrauchswert? Reader (Nr. 9) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Nds. Landtag, Hannover 1997, S. 34 ff; Bechtold, Befugnisse durch die Hintertür, in: Grundrechte-Report, Reinbek 1997, S. 142 ff.
3) Vgl. BT-Drucks. 13/7341, S. 5 f.

Dr. Rolf Gössner (Bremen), Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Letzte Buchveröffentlichungen: Mythos Sicherheit - Der hilflose Schrei nach dem starken Staat (Hg., Nomos-Verlag, Baden-Baden 1995; Polizei im Zwielicht - Gerät der Apparat außer Kontrolle? (mit Oliver Neß; Campus-Verlag, Frankfurt/M.-New York 1996); Die vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs. Verdrängung im Westen - Abrechnung mit dem Osten? (Aufbau-Verlag, Berlin 1998).


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