Logo Geheim 3/1997

... aus der beheizten Hundehütte
Bemerkungen zur aktuellen Geheimdienstliteratur in Deutschland

Der Staatsapparat ist im Umbau befindlich. Die herrschaftlichen Pfründe werden neu verteilt. Der BND weckt Begehrlichkeiten. Die einen wollen ihn zerlegen und bringen ihn gezielt ins Gerede. Die anderen wollen ihn behalten und lassen ihn verteidigen. Udo Ulfkotte liefert die ersehnte Schutzschrift unter dem geheimen Titel: »Die Sternstunden des BND«. Wer aber wissen will, was wirklich läuft, greift zu Gröpl und Hirsch. Wen die Kritik daran interessiert, nimmt Narr und Schwan zur Hand. Wer endlich über die Aporien der Bürgerrechtler hinaus will, findet Hilfe bei IMSF und Lenin.

Nach dem dreimaligen Scheitern demokratischer Alternativen in den Jahren 1891 bis 1914, 1918 bis 1933 und 1945 bis 1989 hat die herrschende Klasse in Deutschland zum dritten Mal in diesem Jahrhundert volle außen- und innenpolitische Handlungsfreiheit und baut ihren Herrschaftsapparat aus. Dabei ist auch das System der »Sicherheitsverwaltung« in Bewegung geraten. An der Oberfläche erscheint der Reformdruck in dieser »Wachstumsbranche« vor allem als öffentliche Diskussion um den deutschen Auslandsgeheimdienst, den Bundesnachrichtendienst (BND).

Die aktuellste Wortmeldung ist das Buch von
Udo Ulfkotte
Verschlußsache BND
Koehler & Amelang München 1997.

Der Rezensent will nicht verhehlen, daß er viel lieber das wunderbare Buch John Cherrys über »Fabeltiere. Von Drachen, Einhörnern und anderen mythischen Wesen« besprochen hätte. Diente und dient die mythopoetische Kraftanstrengung der Völker doch immer der Realitätsbewältigung und Sinngebung, während Literatur über Geheimdienste in der Regel nichts anderes widerspiegelt als das endlose und bodenlose Herrschaftsspiel von vertraulicher Zustimmung und öffentlicher Ablehnung, von Anstiftung und Irreführung, von Gruppen- und Cliquenkämpfen, von Skandalierung und Überwältigung. Erwarte also niemand eine Rezension entlang der humanistischen Maxime, »nicht (zu) kritisieren, sondern (zu) lernen«. Der Rezensent ist im Gegenteil mit den größten und gröbsten Vorurteilen an die Lektüre dieses Buches herangegangen und wurde prompt bedient:

Wußten Sie schon, daß die Starnberger Tierklinik eine beheizbare Hundehütte hat? Nein? Sie hat! Wie sie zu dieser luxuriösen Einrichtung gekommen ist? Keine Ahnung? Klaus Kinkel hat sie gestiftet. Warum das? Weil die dortigen Tierpfleger Kinkels Lieblingshund »Arco« einmal das Leben gerettet haben! Was dem Tier denn fehlte? Es hatte in der Vorweihnachtszeit unbemerkt einen fünf Kilo schweren Christstollen aus Herrchens Aktentasche verschleppt und sich an Rosinen und Marzipan maßlos überfressen! Woher wir das alles wissen? Die Anekdote findet sich neben vielen anderen in Udo Ulfkottes Buch! Was denn diese Story in einem Buch über den deutschen Auslandsgeheimdienst verloren hat? Das gierige Vieh hatte in Herrchens Mappe neben dem Christstollen auch Akten aus dem BND aufgestöbert. Peinlich? Peinlich!

Aber auch in der Person des Autors U.U. liegt Peinlichkeit. Er ist kein Unbekannter. Der smarte Ulfkotte, Jahrgang 1960, promovierter Jurist und Politologe, gehört seit 1986 zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und ist dort seit 1987 der für Afrika, den Nahen Osten und die Geheimdienste zuständige rasende Reporter.

Die Zugehörigkeit zu dieser Zeitung alleine begründete keine Vorurteile. Aber Ulfkotte ist journalistisch in einer für die Besprechung seines Buches relevanten Weise übel beleumundet.

Nicht etwa deswegen, weil die FAZ und ihr Autor mit ihrer Klage gegen die Charakterisierung ihrer Shell-freundlichen Nigeria-Berichterstattung als »journalistische Prostitution« vor Gericht erfolglos geblieben sind; dieser auf den ersten Blick erstaunliche, auf den zweiten Blick aber heuristisch wertvolle Ausgang des Rechtsstreits (Bauernregel:«Das Recht findet seinen Knecht, wenn die Kuh einen Batzen gilt.«) gäbe eher Anlaß zu der Frage, ob hinter dem Interesse an der Skandalierung des Shell-Konzerns in Nigeria derart einflußreiche Kräfte stehen, daß sich ein deutsches Landgericht ermutigt fühlen könnte, einen Streit zwischen »großbürgerlicher Zeitung« und »linkem Kritiker« in einer gar nicht so eindeutigen Sachlage, deren Bild in der Öffentlichkeit hauptsächlich von mindestens zweierlei Arten Hofberichterstattung bestimmt ist, so eindeutig zugunsten des Kritikers zu entscheiden? (s. »M« 8-9/97, S. 18)

Zur Beurteilung der Berichterstattung Ulfkottes dürfte es desweiteren recht unerheblich sein, daß der FAZ-Konzern durch die Einladung seines festangestellten Reporters zum Hubschrauber-Flug über Nigeria durch einen Öl-Konzern nach Auffassung eines Kölner Gerichts »geschmiert« worden ist, d.h. einen materiellen Vorteil für ein bestimmtes Vorgehen erhalten hat; diese Interpretation des Sachverhalts gibt nach dem Grinsen nur Anlaß zur Frage nach der Realitätstüchtigkeit des Weltbilds der Richter. Im übrigen heißt das auch für Ulfkotte gültige journalistische Kriterium nach wie vor weder Don Quijotterie (,Held und Narr«), noch Ausgewogenheit und schon gar nicht Wahrheit, sondern immer noch und ausschließlich - Sorgfaltspflicht.

Journalistisch um so erheblicher erweist sich dann allerdings der unbestrittene Vorwurf, Ulfkotte präsentiere die »Kommentare der Shell-Begleiter ohne Quellenangabe als recherchierte Fakten« (s. Flugblatt des Rheinischen Journalistinnenbüros, Köln, 1. Mai 1997).

Das mindert folglich auch die Überzeugungskraft der Präsentation seiner BND-«Recherche«. Denn kommt ein Rezensent umhin, bei der Lektüre den Verdacht mitzudenken, daß die »tiefen Einblicke« des Autors in den BND-Betrieb, »in das Arbeiten im Schatten der Macht« (Anzeigentext), wiederum die referierte Sicht interessierter Insider, und »die Fülle der Fakten, wie sie bisher noch nie zusammengetragen werden konnten« (Klappentext), wiederum die Kommentare der Begleiter ohne Quellenangabe sein könnten?

Gründe für den Ruf nach dem Nothelfer hat der BND genug. Er erweist sich unter den Bedingungen des Umbaus des Staatsapparates aus mehreren alten und neuen Gründen als der sensibelste Teil des Systems.

Er hatte unter den Sonderbedingungen der 50er Jahre seine aus dem deutschen Faschismus überkommene Form als Einrichtung der totalen Spionage, der Beschaffung und Auswertung von Informationen im politischen, wirtschaftlichen, technischen und militärischen Bereich einschließlich der Aufklärung fremder Nachrichtendienste (Gegenspionage), der Spionageabwehr im eigenen Haus und »die Erledigung sonstiger nachrichtendienstlicher Aufträge«, gegen die anderen Bedarfsträger durchgesetzt, z.B. das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr, die ihren Geheimfonds behielten oder als Trostpflaster eine eigene Spionageabwehr, den MAD, bekamen. Eine Hypothek ohne Zweifel.

Der BND repräsentiert also nicht ohne Grund im öffentlichen Bewußtsein in besonderer Weise die Kontinuität der deutschen Unheilslinie, ist damit innenpolitisch leicht angreifbar und außenpolitisch eine virtuelle Belastung. Er hat das prinzipielle Mißtrauen der demokratischen Öffentlichkeit auch durch eine nie abreißende Kette empörender Praktiken immer wieder bestätigt.

Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten nach 1989 ist ein bis dahin gewichtiger Rechtfertigungsgrund für seine Existenz entfallen.

Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems und die Wiederkehr der internationalen Konstellation, wie sie cum grano salis vor 1914 bestand, hat eine erneuerte Außenpolitik zur Folge und hat unvermeidlich die Diskussion um die Form seiner Existenz erneuert.

Die Praxis des Aufbaus und der Unterhaltung bewaffneter Fünfter Kolonnen zur Führung von Stellvertreterkriegen in der Dritten Welt wird durch den Aufbau eigener Interventionstruppen mit weltweitem Aktionsradius ersetzt.

Wie diese Außenpolitik im Verteidigungsministerium entworfen und begründet wird, so fordern die Militärs für ihre neue Strategie und Taktik einen geeigneten eigenen Geheimdienst und bauen ihn in Gestalt des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ANBw) schon auf, das sich in die elektronische Aufklärung mit dem BGS teilt. Der MAD wird in Zusammenfassung der Spionageabwehr zum BfV wechseln. Der BND wird im militärischen Bereich überflüssig.

Die neue Außenpolitik trifft heute zuhause und in der Welt auf ihre ehemals im Kalten Krieg Verbündeten als Konkurrenten und als Gegner. Die alten Formen werden obsolet. Die alten Gewohnheiten und Loyalitäten werden dysfunktional. Damit der BND.

Überdies hat sich herausgestellt, daß dem BND das wichtigste Merkmal eines Geheimdienstes abhanden gekommen ist - die Geheimhaltung von Personage und Tätigkeit. Es erwies sich, daß Pullach von den Geheimdiensten der DDR vollständig »aufgeklärt« war. Die Personalakten vagabundieren um die Welt. BND-Leute können sich nirgendwo mehr sehen lassen.

Multinationale Konzerne gehen über zur Entstaatlichung ihrer Sicherheit, zur Privatisierung von Informationsbeschaffung und Spionageabwehr. SIEMENS z.B. führt nicht nur die Niederlage des ICE gegen den TGV beim Rennen um den koreanischen Markt auf die Niederlage des BND gegen den französischen Geheimdienst zurück, der Konzern hat sich auch mit Erfolg gegen die Zertifizierung seiner Sicherheitsprodukte durch das Gemeinschaftsunternehmen von BND, BfV und BGS in Bonn, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, zur Wehr gesetzt und durchgesetzt, daß das BSI seine hoheitlichen Rechte auf den SIEMENS-hauseigenen TÜV Bayern übertragen hat. Daß die private internationale Konkurrenzfähigkeit das hoheitliche Sicherheitsinteresse an einem Kryptogesetz überwog, deutet auch auf die Entleerung der BND-Funktion hin.

Die Polizeien, z.B. in Gestalt des Bundeskriminalamts und Zollkriminalamts, haben im Laufe der Jahre das Trennungsgebot, daß der Polizei den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel untersagt, unterlaufen und übernehmen auch zunehmend Aufgaben der Auslandsaufklärung. Die internationale Polizeiarbeit deckt auch Teilfunktionen der Auslandsaufklärung ab.

Das Auswärtige Amt bietet sich von neuem als Koordinations- und Auswertungsstelle für die Auslandsaufklärung an. Hauptargument: Der BND habe seine Effizienz nie unter Beweis gestellt, er sei nicht prognosefähig.

Was bliebe heute vom BND? Konsequent gedacht - nichts, sagen die GRÜNEN im Bundestag, und fordern in Zuspitzung seine Auflösung - zur »Effektivierung der Auslandsaufklärung«. (In dem Zusammenhang kann nicht deutlich genug gesagt werden, daß es sich bei dieser Forderung der GRÜNEN um die qualitativ veränderte Schwundstufe der alten bürgerrechtlichen Position handelt, die die »Auflösung aller Geheimdienste« forderte. Wie Josef Fischer eben - Schwundstufe.)

Gegen diese Phalanx von Interessenten an der Zerlegung und Aufteilung des Bundesnachrichtendienstes und eines Budgets von »bis zu einer Milliarde Mark« (DIE GRÜNEN im Bundestag wie die Marktschreier der GLÜCKSSPIRALE) pro Jahr tritt Udo Ulfkotte als Nothelfer an, FAZ-Redakteur und, wie im Falle seiner Shell-Nigeria-Berichterstattung gerichtsnotorisch, zuweilen williges Sprachrohr der Interessen Bedrängter. Man soll, wenn überhaupt, sein Buch getrost als Großes Begleit-Tam-Tam zur Geigerschen, des nagelneuen Präsidenten, »Umorientierung« der Behörde lesen.Denn nachdem es der SPD gelungen war, mit Hilfe des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur »Plutonium-Affäre« wenn schon nicht den Kanzler, so doch wenigstens den parteieigenen BND-Präsidenten zu stürzen, hatte die Geheimdienstbürokratie in Bedrängnis die Gelegenheit genutzt, den konservativen Modernisierer Dr. Geiger auf den Präsidentenstuhl in Pullach zu bringen, der nach der Maxime »So öffentlich wie nötig, so geheim wie möglich!« am Image des BND zu arbeiten begann. Von da an gingen zwar Journalisten in Pullach ein und aus, aber die Ergebnisse der Geigerschen »neuen« Öffentlichkeitsarbeit flossen nur als dünne Rinnsale durch die Medienlandschaft.

Ulfkottes Buch war ohne Zweifel als ein Sammelbecken dieser Öffentlichkeitsarbeit gedacht. Es ist erkennbar darauf angelegt, die Kritik am BND aufzufangen und zu konterkarieren, angefangen bei der schlichten Eleganz des Buchkörpers über den relativ zurückhaltenden Titel bis zum vor Seriosität strotzenden Anhang mit Auszügen aus dem BND-Gesetz, einer respektablen Litaraturliste und den »Internet-Links zur Geheimdienstwelt«. Sein Konzept (!) liest sich vor dem Hintergrund der Akzeptanzprobleme wie eine umfassende Antwort Geigers und der Geheimdienstbürokratie aus dem Kanzleramt auf die Vorwürfe gegen den BND, Punkt für Punkt, eine Inventur vor der Öffentlichkeit zur Rechtfertigung, Umorientierung und zum Neuanfang.

Das Inhaltsverzeichnis, das in drei Kapiteln eine »Kleine Geschichte der Spionage«, die »Innenansichten des BND«, dessen »Geheimwissen« verspricht und für das vierte und letzte Kapitel Gastbeiträge über »Wirtschaftsspionage und »Zusammenarbeit zwischen BND und Mossad« ankündigt, ist sorgfältig untergliedert in alles das, was in Rede steht, die Organisationsform der Behörde, ihre Kontrolle, Aufgaben, die Bereiche der neuen Kriminalität, ihre Herkunft, ihre Zukunft.

Das Frontispiz demonstriert ein Stück der strapazierten »Offenheit«: Es zeigt ein Satellitenphoto des BND-Geländes in Pullach - entnommen der CD-ROM »D-Sat Deutschland indiskret« der Software-Firma Topware. Die Burgtürme der Alten Rittersleut über dem Isartal, von wo aus man vor Jahren einen Kamerablick in die Dienst-Kantine und auf das Antennnenfeld zu werfen versuchte, sind deutlich zu erkennen. Das bedeutet - künftig soll gelten: Geheim ist nur noch, was geheim ist und/oder geheimgehalten werden kann.

Der BND stehe mit dem Rücken zur Wand (26), konzediert Ulfkotte, und rekapituliert erbarmungslos die »Pleiten-, Pech- und Pannen« (318). Aber keine deutsche Regierung werde die Auflösung des BND in absehbarer Zeit ernsthaft in Angriff nehmen (29), trumpft er auf, und arbeitet zum Beweis in der Folge akribisch die Liste der Vorwürfe ab: Er bietet Beispiele für die geldwerte Effizienz und Prognosefähigkeit des Dienstes in der DDR und UdSSR, für friedensfördernde und -sichernde und sogar lebensrettende Aufklärungserfolge (Hans Koschnik in Mostar) rund um den Globus, für die Unentbehrlichkeit des BND im Bereich der neuen Kriminalität und die nützlichen Überschneidungen mit Arbeitsbereichen anderer Behörden zum Vorteil der Entscheidungsträger, behauptet die Gesetzestreue des BND mit dem Verweis auf die von Rügen freien Berichte der Parlamentarischen Kontrollkommission, - läßt dem BND zuletzt von dem »ehemaligen Präsidenten« des BND Heribert Hellenbroich (im Anhang: »1.8.1985 - 27.8.1985«, wozu »alte Hasen« in Pullach spötteln, sie hätten bis heute nur acht Präsidenten des BND erlebt, bei einem seien sie gerade in Urlaub gewesen), läßt dem Dienst von Heribert Hellenbroich also Unverzichtbarkeit auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaftsspionage attestieren und demonstriert zuallerletzt - unüberbietbar -, wie man Gehlens Dienst von der Bürde der nazistischen Traditionslinie entlastet: durch den »Persilschein« in einem Gastbeitrag eines israelischen Geheimdienstlers und Journalisten. Der heimliche Titel des Buches lautet: »Sternstunden des BND« (319).

Keiner ist - wie man sieht - so treu wie Udo Ulfkotte, und dennoch läßt man ihn im Regen stehen? Das Glanzstück glänzt nicht wie erwartet. Fast niemand in Amt oder Presse tritt für das Buch ein, selbst der hauseigenen FAZ-Redaktion ist es gerade einmal 30 zu allem Überfluß noch leise ironische Zeilen im Rezensionsteil vom 15.8.1997 wert: »Geheimst: In dem Buch werden bislang unbekannte Erfolge deutscher Auslands-agenten vom F.A.Z.-Redakteur Ulfkotte beschrieben.«

In der Tat läßt sich die explizite Absicht des Buches einzig und allein am Aufbau, am Inhaltsverzeichnis nachvollziehen. Der Text dagegen besteht aus einem heillosen Sammelsurium von Anekdoten, das dem Leser schnell Überdruß bereitet, prall gefüllt mit Entgleisungen: »Der alternde Frauenheld Gaddafi war schlicht zu feige, die Amerikaner direkt herauszufordern« (73), mit Ungereimtheiten: die Beschaffung der Geheimrede Chruschtschows vor dem XX. Parteitag der KPdSU ist auf Seite 83 ein großer Erfolg des BND, auf Seite 337f dagegen eine Tat des Mossad, mit Peinlichkeiten: der biblische Moses als der Urheber des Nahostkonflikts (33), mit Fehlern: »Gehlen, Sohn eines preußischen Offiziers« (77), richtig, eines - horribile dictu - Buchhändlers, oder »DDR-Spion Heinz Felfe« (84), richtig, KGB-Agent -, und Sottisen aus der beheizten Hundehütte ohne Ende.

Aber Vorsicht! Die Welt der Politik, und um diese geht es hier, darauf zielt Ulfkottes Buch, ist ein Gewirr aus vertraulicher Zustimmung und öffentlicher Ablehnung aus taktischen Gründen. Hat Udo Ulfkotte vielleicht doch die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt.

Denkbar, daß Ulfkotte dem Mossad das Verdienst für die Geiselbefreiung von Entebbe stellvertretend streitig macht und für die GSG 9 zu reklamiert (61f), zur Relativierung der iranischen Politik stellvertretend die Geheimdienste samt und sonders, ausgenommen den BND, als Mörderbanden beschreibt (63ff), das Gerangel um die NATO-Osterweiterung stellvertretend als den Kampf der Rüstungsindustrien um einen großen Markt darstellt (17f) und - das noch als letztes - stellvertretend mit drohendem Unterton darauf hinweist, daß Nazi-Deutschland deshalb keine besonders guten Wirtschaftsspione brauchte, weil die faschistische Rüstungsindustrie alles Nötige über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und z.B. Schweden erhielt. Hört man da nicht stellvertretend ganz leise: Schluß mit der außenpolitischen Diskriminierung, sonst packen wir aus? Hätte das etwa Geiger oder Schmidbauer oder Bohl oder Kohl gut zu Gesicht gestanden? Jedenfalls schaltet der FAZ-eigene Verlag unverdrossen eine Anzeige nach der anderen für sein Produkt. Es verkauft sich. Und Ulfkotte wird recht behalten: Keine deutsche Regierung wird die Auflösung des BND in absehbarer Zeit ernsthaft in Angriff nehmen (29).

Aber die Reform des Systems der Sicherheitsverwaltung hat die deutsche Regierung ernsthaft in Angriff genommen. Unterstützt von Ministerien, Behörden und politischen Opinionleaders sind an der Universität München in den letzten Jahren zwei Dissertationen entstanden, die als Bestandsaufnahme und Schatztruhe für Reformvorhaben zur Zeit in der Ministerialbürokratie fleißig gelesen werden:

Christof Gröpl
Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung. Legitimation, Organisation und Abgrenzungsfragen, Duncker & Humblot Berlin 1993

Alexander Hirsch
Die Kontrolle der Nachrichtendienste. Vergleichende Bestandsaufnahme, Praxis und Reform
Duncker & Humblot Berlin 1997

Die Publikationen halten, was sie versprechen. Gröpl setzt ganz unbefangen (man ist unter sich) die Aufgaben der Geheimdienste als Repressionsinstrumente nach innen und Spionage- und Zersetzungsinstrumente nach außen voraus. »Diese Differenzierung in der Aufgabenstellung läßt sich durch die gesamte geschichtliche Entwicklung weiterverfolgen, ob eine organisatorische oder institutionelle Trennung in den betreffenden Geheimdienststellen immer vorgelegen haben mag oder nicht«, (S. 40f), nicht kritisch, sondern apologetisch. Es geht um die Optimierung des Systems. Die Überschneidungen zwischen einzelnen Institutionen dienen ihm als Ansatzpunkte für Reformüberlegungen, z.B. zwischen BND und ANBw.

Alexander Hirsch (Vater: Burkhard Hirsch, Doktorvater: Rupert Scholz) dagegen wendet sich mit seiner Bestandsaufnahme der Geheimdienstkontrolle und seinem Fazit: »Kontrolle ist möglich«, explizit gegen die Positionen der Bürgerrechtler aus der Humanistischen Union von der Unvereinbarkeit von Geheimdienst und Bürgerrecht und deren Forderung nach Auflösung von Staatsschutz und Auslandsgeheimdienst, wie sie formuliert und begründet werden zum einen von Wolf-Dieter Narr und Falco Werkentin und zum andern von Eggert Schwan in

Franz-Josef Hutter/Carsten/Tessmer (Hg.) Die Menschenrechte in Deutschland. Geschichte und Gegenwart Beck München 1997

Rolf Gössner (Hg.) Mythos Sicherheit. Der Hilflose Schrei nach dem starken Staat, Nomos Baden-Baden 1995

Daß der Widerspruch zwischen Geheimdiensten und Bürgerrechten möglicherweise weder auszugleichen noch auszuhalten ist, wie es Gröpl, Hirsch und allen Sicherheitsstaatsanwälten vorschwebt, noch einseitig nach der Seite der Bürgerrechte hin aufgelöst werden kann, wie die Anwälte der Demokratie und Bürgerrechte fordern, sondern nur auflösbar wird durch die Transformation der Klassen- und Konkurrenzgesellschaft in eine »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (Manifest der Kommunistischen Partei von 1847/1848), schwant bei der Lektüre von Publikationen wie

IMSF (Hg.) Der Staat im staatsmonopolitischen Kapitalismus. Theorie, Diskussion, Empirische Analysen, 2. Teile, Verlag Marxistische Blätter Frankfurt am Main 1982

W.I. Lenin Staat und Revolution in: Werke Band 25 Dietz Berlin (DDR) 1974

Die beiden letztgenannten Bücher sind nicht besonders neu. Aber nach Christa Nickels historischer Sentenz: »Das Buch ist schon mehr als 10 Jahre alt und trotzdem gut«, wagen wir die Empfehlung. Denn »gut« heißt hier, sie sind erhellend und eignen sich zu Fortschreibung. Selbst Udo Ulfkotte ist ein Zitat aus einem der beiden Bücher unversehens und ohne Quellenangabe in seinen Text gerutscht:

»Für die Herrschenden war der Einsatz von Agenten stets ein wichtiges Instrument zum Schutz vor innerer und äußerer Bedrohung«, heißt es dort auf S. 32. »Sie wollen keinem blinden Schicksal ausgeliefert sein, sondern Gefahren rechtzeitig erkennen und abwehren können.« (32) So ist es, Udo - von wegen »Schutz der Demokratie«.


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