Logo Geheim 3/1997

Texte zur Strategiediskussion (20)
Klage des Friedens

Die Quellen und Pflanzstätten aller Kriege befinden sich bei den Fürstenhöfen. Von Erasmus von Rotterdam

Mit soviel Beweisen hat die Natur Frieden und Eintracht gelehrt, mit soviel Lockmitteln ermuntert sie dazu, mit soviel Banden zieht sie dorthin, mit soviel Beispielen treibt sie dazu an.

Welch böser Geist, übermächtig im Zerstören, hat nun nach alledem diese Bande aufgelöst, zerrissen, durchschnitten und dafür eine unersättliche Kriegswut in die Brust der Menschen gepflanzt? Hätte die Gewohnheit nicht erst das Staunen über das Böse, alsdann auch das Gefühl dafür beseitigt, wer würde noch an das menschliche Empfinden jener glauben, welche sich derart in steten Zerwürfnissen, Streitigkeiten und Kriegen bekämpfen, miteinander hadern und Aufruhr stiften? Endlich erfüllen sie alle heiligen und weltlichen Stätten mit Räubereien, Blutvergießen, Mordtaten und Zerstörungen. Keine noch so heiligen Bündnisse vermögen die in ihr gegenseitiges Verderben Rasenden auseinanderzubringen - wo vordem doch das gemeinsame Wort Mensch genügte, um unter den Menschen Einvernehmen herzustellen.

Wie dem auch sei: die Natur, die soviel bei den wilden Tieren zuwege brachte, konnte nichts bei den Menschen ausrichten; soll Christus ebenfalls nichts bei den Christenmenschen vermocht haben? Laß die Lehre der Natur, welche zwar allvermögend im Bereiche der gefühllosen Welt ist, nur wenig wirksam sein; warum hält nun aber die Lehre Christi, wo sie doch so weitaus überlegen ist, ihre Bekenner nicht zu demjenigen an, was sie als einziges von allen so besonders rät, nämlich zum Frieden und zu gegenseitigem Wohlwollen? Warum bringt sie ihre Anhänger nicht wenigstens von dem Wahnsinn einer ebenso frevlerischen wie rohen Kriegsführung ab?

Höre ich das Wort »Mensch«, so eile ich geschwind herbei wie zu einem mir verwandten Wesen voll Vertrauen, dort Ruhe finden zu können; höre ich den Namen »Christen«, fliege ich noch schneller heran in der Hoffnung, bei ihnen sicher meine Herrschaft aufrichten zu dürfen. Aber mit Scham und Verdruß muß ich gestehen: Marktplätze, Rathäuser, Münster und Kirchen erschallen überall von Streitigkeiten, wie es nicht einmal bei den Heiden üblich ist. So sehr auch die Schar der Advokaten ihren guten Anteil am menschlichen Unheil hat, so ist sie doch nur ein verschwindend geringes Häuflein inmitten der wogenden Menge der Streitenden.

Ich erblicke eine Stadt. Alsbald erwächst in mir die Hoffnung, daß doch wenigstens unter denjenigen Eintracht herrsche, welche von den gleichen Mauern umschlossen, von den gleichen Gesetzen beherrscht sind und wie die Besatzung eines Schiffes dergleichen Gefahr gewärtig sein müssen. Doch weh mir Elendem! Auch hier erfahre ich: alle Dinge sind so sehr durch Zwietracht verdorben, daß man schwerlich ein Haus finden mag, in welchem ich auch nur einige Tage verweilen dürfte.

Aber ich übergehe die breite, wie ein Meer von den Wogen ihrer Leidenschaften fortgerissene Volksmasse und ziehe mich an die Fürstenhöfe wie in einen sicheren Hafen zurück. Bei ihnen, so sage ich mir, wird fraglos der Frieden eine Stätte haben: sie sind weiser als das gemeine Volk, da sie sein Gehirn und seine Augen darstellen. Weiterhin vertreten sie die Sache des Lehrmeisters und Fürsten der Einigkeit, von welchem ich doch allen Menschen, vornehmlich den Fürsten, empfohlen worden bin. Sie versprechen auch alles Gute. Ich sehe höfliche Empfänge, freundschaftliche Umarmungen, fröhliche Trinkgelage und alle übrigen Verbindlichkeiten des menschlichen Zusammenlebens. Doch welche Schande! Ich vermag bei diesen Fürsten nicht einmal den Schatten einer wahren Eintracht wahrzunehmen. Alles ist übertüncht und erdichtet. Parteiungen Tür und Tor geöffnet, das Ganze schlechthin durch geheime Zwiespältigkeiten und Rivalitäten verdorben. Endlich ersehe ich deutlich, daß bei den Fürstenhöfen keinesfalls der Sitz des Friedens sein kann; vielmehr befinden sich dort die Quellen und Pflanzstätten aller Kriege. Wohin soll ich Unglücklicher mich nun wenden ...?

aus: Erasmus von Rotterdam, Klage des Friedens, bei allen Völkern verbannt und niedergeschlagen, in: Deutsches Friedensbuch, hrsg. von Karl A. Mollnau und Walter Nowojski, mit einem Geleitwort von Hermann Kant, Aufbau Verlag Berlin und Weimar (DDR) 1990, S. 16-28, hier: S. 18f (Untertitel vom Bearbeiter) an den European Peace Congress Osnabrück 1984 anläßlich des 350. Jahrestages des Westfälischen Friedens, s. Infoboard.


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