Logo Geheim 2/1997

Ex notitia victoria
Der spanische Geheimdienst CESID auf der Suche nach dem Sieg

»Die Bekämpfung und Eliminierung der ETA im In- und Ausland ist z.Zt. das wichtigste Ziel der spanischen Innen- und Außenpolitik.«

»Aus der Nachricht der Sieg« ist das Motto des spanischen militärischen Geheimdienstes CESID. Die Abkürzung steht für »Centro Superior de Información de la Defensa« und bedeutet so viel wie »Oberstes Informationszentrum der Verteidigung«. Zweifelsohne ist der CESID der wichtigste aller spanischen Geheimdienste neben den eigenständigen Nachrichtenapparaten der Policía Nacional, also der spanischen Nationalpolizei und der paramilitärischen Policía Guardia Civil (PGC). 1995 schrieb Heiner Busch in seinem Buch »Grenzenlose Polizei?«, daß man fast gar nichts über den CESID wisse. 1) Mittlerweile läßt sich diese Informationslücke ein wenig einengen. Auch für Deutsche ist es interessant, etwas mehr über den CESID zu erfahren, zum einen weil er mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) die Münchner Plutoniumaffäre (1994/95) einfädelte, zum anderen weil die spanische Regierung auch deutsche Staatsbürger der Zusammenarbeit mit der baskischen Untergrundorganisation ETA 2) verdächtigt. Aufgrund der gegebenen Kürze geht der Artikel in erster Linie auf die Geschichte, Struktur und Gegenwart des CESID ein. Seine nicht zu unterschätzenden Aktivitäten im Rahmen der Auslands- und Wirtschaftsspionage klammere ich aus, um sie zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle in der ihnen gebührenden Form erneut aufzugreifen.

Die Rolle des Militärs im spanischen Staat

Die Bedeutung des CESID für die spanische Innenpolitik wird erst verständlich, wenn man sich die Rolle der spanischen Streitkräfte innerhalb des Staates vor Augen führt. Die Verfassung von 1978 definiert den spanischen Staat als konstitutionelle Monarchie. Der Monarch, z.Z. der Bourbone Juan Carlos I., ist sowohl höchster Repräsentant des Landes als auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Desweiteren basiert die spanische Verfassung auf der Annahme, daß es nur eine Nation, nämlich die spanische gäbe. Damit schließt sie die Existenz einer baskischen bzw. katalanischen Nation aus und spricht lediglich von »Nationalitäten und Regionen«. Angesichts der bekannten Sezessionsbestrebungen unterstreicht die Verfassung in ihrem zweiten Artikel ausdrücklich die »unteilbare Einheit der Nation.« Aber dieser Hinweis reichte dem frankistischen Militärapparat noch nicht, und er verlangte die Hinzunahme des folgenden Passus in Artikel 8: »Die Streitkräfte haben die Aufgabe, die Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren, seine territoriale Integrität und die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen.« 3)

Daher widersprechen alle Forderungen nach Einführung des Föderalismus oder des Selbstbestimmungsrechts erstens dem Geist der Verfassung, und zweitens rufen sie automatisch das Militär als Hüter der territorialen Einheit und der inneren Ordnung auf den Plan. Diese sich selbstgeschaffene »Wächterrolle« hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts tief im Selbstverständnis der spanischen Streitkräfte verankert. Seit dem siegreichen Putsch von 1936 wird sie gepflegt und beeinflußt dementsprechend ihr politisches Handeln. Dabei steht die Verteidigung und der Erhalt der fiktiven spanischen Nation in den Grenzen von 1978 über allen international anerkannten Rechtsprinzipien. Daher wundert es nicht, wenn spanische Militärs einerseits offen von einem »Krieg« gegen ETA sprechen, anderseits ihren »Krieg« jenseits der Haager Landkriegsordnung führen. 4)

Die nach außen hin demokratische Verfassung ermöglichte es EG und NATO, Spanien in ihren Reihen aufzunehmen. Im Innern aber bedurfte es noch des dubiosen Putschversuchs vom 23. Februar 1981, um den renitenten Militärapparat reformwillig zu machen. Die Medien diesseits und jenseits der Pyrenäen rückten das Bild des heldenhaften, die Demokratie verteidigenden Monarchen in den Vordergrund, der die »ewiggestrigen Spinner« zur Räson brachte. Aber hinter den Kulissen eines besetzten Parlaments wurden die wichtigen Weichen für die Zukunft gestellt: Der König stärkte seine Autorität in der Innenpolitik, den politischen Parteien (besonders den Sozialisten von Felipe González) machte man klar, in welchem politischen Rahmen sie sich zu bewegen hatten, und das Militär akzeptierte gewisse demokratische Verhaltensformen. Die »bittere« weil öffentliche Niederlage versüßte man den Uniformträgern mit der Modernisierung der Armee, dem NATO-Beitritt, einem oberflächlichen Prozeß gegen die Putschisten und dem geforderten Einsatz der Streitkräfte gegen ETA. Alle drei Teilstreitkräfte marschierten in und um das Baskenland auf, und der CESID erhielt nicht nur eine kräftige Finanzspritze, sondern die Regierung berief ihn sogar in die oberste Koordinationsgruppe zur Terrorbekämpfung MULC. 5)

Die Geheimdienst-Genealogie des CESID

Der CESID hat, wie jeder andere Geheimdienst auch, seine eigene Entstehungsgeschichte. Seinen Namen erhielt er 1977. Es handelte sich damals nicht um eine Neugründung sondern um die Umbenennung des frankistischen »Servicio Central de Documentación de la Presidencia (SECED). Francos Vizepräsident, Admiral Luis Carrero Blanco, hatte den SECED 1972 gegründet und ihn direkt der Regierung unterstellt, die bis dato keinen eigenen Nachrichtendienst besaß. Der Vorläufer des SECED hieß nämlich »Servicio de Información Militar« (SIM) und unterstand dem Oberkommando der spanischen Armee. Diese Gemeinsamkeit mit der »Abwehr« des Oberkommandos der Wehrmacht kommt nicht von ungefähr, waren es doch Offiziere der Abwehr und Beamte der Gestapo, die den spanischen militärischen Geheimdienst während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) aufbauten. Die über sechzig Jahre währenden Beziehungen funktionieren auch heute noch.

Die Umbenennung des SECED in CESID erfolgte im Rahmen der schon angesprochenen Armeereform unter der Ministerpräsident Adolfo Suárez (1976-1981). Sie war möglich, weil General Manuel Gutierrez Mellado das Verteidigungsministerium leitete und seinen Einfluß geltend machen konnte. Zusammen mit seinem Nachfolger General Sahagún gehörte er zu den demokratischen Vorzeigegenerälen dieser Übergangsepoche vom Franco-Regime zur konstitutionellen Monarchie. Wie schwierig auch die Anpassung des CESID an die Mindestnormen einer westeuropäischen Demokratie war, wird deutlich, wenn man berücksichtigt, daß nicht weniger als vier Offiziere den Geheimdienst in den Jahren 1977-1981 leiteten. Erst Emilio Alonso Manglano (1981-1995) konnte die Struktur und Arbeitsweise des Dienstes konsolidieren.

Organisation, Struktur und Finanzierung des CESID

Die Hauptaufgabe des CESID lautet, die spanische Regierung und auch das Königshaus zu informieren. Die Bekämpfung, Schwächung und Eliminierung der ETA im In- und Ausland ist z.Z. das wichtigste Ziel der spanischen Innen- und Außenpolitik. Dementsprechend handelt auch der CESID mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Präsidialkanzlei koordiniert die wöchentlichen Treffen zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Leiter der Geheimdienstes. Der CESID hat seinen Sitz in der Nähe von Madrid bei Kilometerstein 8,8 an der Ausfallstraße Carretera de la Coruña. »La Casa« - »Das Haus« ist das euphemistische Synonym, mit dem die spanischen Medien den Dienst gerne umschreiben.

Hierarchisch untersteht der CESID dem Verteidigungsministerium. Eine parlamentarische oder politische Kontrolle gibt es nicht. An der Spitze des CESID steht der »Director general«, der aber i.d.R. ein Militär im Generalsrang ist. Sein Vertreter trägt die Bezeichnung »Secretario general« und bekleidet den Dienstgrad eines Obersten. Er leitet das gleichnamige Generalsekretariat und ihm zur Seite steht ein Rechtsberater. Stabsoffiziere bzw. Zivilbeamte mit dem entsprechenden Rang befehligen die acht Hauptabteilungen.

Allen Skandalen zum Trotz erfuhr der CESID eine organisatorische Vergrößerung. Von ehemals vier Hauptabteilungen wuchs er auf acht »Divisiones« an. 6) Neu hinzu kam u.a. die »División de Seguridad«, deren Aufgabe es ist, die Sicherheit des »Hauses«, seiner Mitarbeiter und vor allem seiner Dokumente zu gewährleisten. Der Inlandsdienst löste seine Abteilung zur Aufdeckung faschistischer Putschversuche auf und wird sich nur noch den diversen Unabhängigkeitsbewegungen widmen.

Vertikal gliedert sich der CESID von der Zentrale über die »Capitanías Generales« (Wehrkreise) und den »Gobiernos Militares« in den Provinzhauptstädten bis zu den Einheiten hinunter. Im Ausland ist der CESID entsprechend offen oder verdeckt in den diplomatischen Vertretungen Spaniens integriert. Angeblich unterhält er 60 Auslandsresidenturen.

Die Tageszeitung El País berichtete, daß 1995 1754 Personen im Dienst des CESID gestanden haben. Davon waren 822 Militärs, 458 Zivilisten, 346 Zivilgardisten und 128 Polizisten. Diese heterogene Zusammensetzung sorgte für internen Zündstoff, weil jeder Beamte nach seiner jeweiligen dienstlichen Zugehörigkeit (also Außen- bzw. Innenministerium, Zivilgarde usw.) besoldet, befördert bzw. belangt wurde. Erst jetzt soll für alle CESID-Agenten ein einheitliches Disziplinarrecht in Kraft treten. Es soll u.a. ehemaligen Angehörigen verbieten, nach ihrem Ausscheiden bei privaten Sicherheitsunternehmen tätig zu werden. 7)

Die Analyse verschiedener GAL-Verbrechen bestätigt, daß der CESID hauptsächlich mit dem Geheimdienst der Zivilgarde, dem »Servicio de Información de la Guardia Civil« (SIGC) zusammenarbeitet. Ein CESID-Führungsoffizier übernahm dabei das Kommando über im Baskenland stationierte Zivilgardisten für die Dauer der Operationen. Während der CESID den logistischen Rahmen schuf, lag die operative Durchführung bei den SIGC-Agenten. Nach Abschluß der Gesamtoperation kehrten die eingesetzten Zivilgardisten zu ihren Stammeinheiten zurück. Darüber hinaus führt der CESID auch Aktionen eigenständig durch. 8) Die enge Verbindung zwischen beiden Diensten erklärt sich, wenn man zwei Punkte berücksichtigt: Erstens beide sind militärische Einrichtungen, die sich ihrer Tradition und Aufgabe bewußt sind. Zweitens, ihr größter Konkurrent bei der Verteilung von Finanzmitteln und Kompetenzen ist die Nationalpolizei. Diese Rivalität verhindert einen koordinierten Anti-Terror-Kampf. Sie führt zu einem entsprechenden Parallelismus und gipfelt schließlich im gegenseitigen Hintertreiben politischer Initiativen, die der Rivale zur friedlichen Lösung des baskischen Problems gestartet hat. 9)

Laut El País finanziert das Verteidigungsministerium den CESID in diesem Jahr mit einem Budget von 52 Millionen DM. Davon sollen 24 Millionen die laufenden Kosten decken, 16 Millionen seien für Investitionen eingeplant und 10 Millionen kommen in die Geheimfonds. Damit wäre der CESID der kostengünstigste Geheimdienst Europas, bedenkt man, daß allein der Etat der baskischen autonomen Polizei »Ertzaintza« 1995 600 Millionen DM betrug, während sich Zivilgarde und Nationalpolizei fast 5 Mrd. DM teilten. 10)

Selbstverständlich ist der CESID fest in die internationale Gemeinschaft der Geheimdienste eingebunden. Besonders reibungslos funktioniert die Zusammenarbeit mit dem BND dank der traditionell guten Beziehungen zwischen den deutschen und spanischen Streit- und Sicherheitskräften (Legion Condor u. Blaue Division, Abwehr/Gestapo u. SIM). So betrieben CESID und BND gemeinsam die Abhörstation »Eismeer« in Cadiz. Von dort hörten sie alle kabelgebundenen Gespräche zwischen den amerikanischen Kontinenten, Afrika, Großbritannien und dem arabischen Raum ab und zapften außerdem noch die Satellitenverbindung des »Electronic Security Commands« der US-Luftwaffe an. Anschließend bezogen sie ein neues Quartier in der Nähe von Ciudad Real ebenfalls in Südspanien. 11)

Der deutschstämmige Unternehmer Christian Liseau ist einer der High-Tech-Lieferanten des CESID. Sein Unternehmen SIAISA vertrieb u.a. das Abhörsystem Televox TV-M14 und rüstete die Abhörzentrale des Dienstes mit Ergänzungskomponenten Anfang der 90er Jahre auf. SIAISA wurde bereits 1940 gegründet und zwar von Franz Liseau, dem Vater des heutigen Geschäftsführers. Nach dem 2. Weltkrieg enttarnten die Alliierten Liseau sen. als Abwehroffizier und verlangten seine Repatriierung. 12)

In der Kontinuität dieser Verbindungen steht auch die Kooperation von CESID und BND in der sog. Münchner Plutoniumaffäre (1994/95), deren Vorspiel in Spanien begann. Der »agent provocateur« Rafael Ferreras Fernández war nicht nur Zivilgardist d.R. sondern auch CESID-Agent. Das personelle Umfeld kam ebenfalls aus dem Dunstkreis des spanischen Dienstes. Im Schatten des in München geführten »Plutoniumprozesses« versuchten CESID-Beamte den Sohn eines der verhafteten Schmugglers als Spitzel im Baskenland zu werben. Die Werbeversuche hörten erst auf, als der junge Mann in einem Zeitungsinterview von dem unmoralischen und lebensgefährlichen Angebot berichtete. Aber noch bevor der BND seine Operation »Hades« in München medienwirksam beendete, verlieh Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer dem Generalleutnant Emilio Manglano das Großkeuz des Bundesverdienstkreuzes am Band. Ein Jahr später erhielt Schmidbauer eine ähnlich hohe Auszeichnung in Madrid.

Think-Tank und Panzerfaust der »spanischen Nation«

Nach dem Putschversuch vom 23. Februar 1981 begann der CESID, sich als ein Faktor der spanischen Innenpolitik zu etablieren. Während Marine, Heer und Luftwaffe die baskische Atlantikküste und Pyrenäengrenze kontrollierten bzw. besetzten, ging ihr Geheimdienst dazu über, weiterführende Strategien zur Bekämpfung der ETA zu entwickeln. Sehr kurzfristig legte das Innenministerium den sog. Plan ZEN (d.i. Zona Especial Norte) vor, der u.a. vorsah, die Medien als ein Mittel der staatlichen Desinformationspolitik einzusetzen. Der CESID ergänzte diesen Plan mit der Entwicklung einer Counterinsurgency-Strategie, die sich gegen vermeintliche und tatsächliche ETA-Mitglieder in den baskischen Gebieten Südfrankreichs richtete. ETA-Aktivisten sollten entführt, verhört und eliminiert werden. Dazu überzog der CESID das Operationsgebiet mit einem engen Informationsnetz und sorgte für die entsprechende Logistik. Gleichzeitig lief in Spanien die »Operation Mengele« an. An Obdachlosen experimentierte man mit Wahrheitsdrogen, die man bei den zu entführenden ETA-Führern anwenden wollte. Die Versuche endeten mit dem Tod der Menschen. Die Vorbereitungen für die Vernichtungsaktionen gegen ETA wurden aber trotzdem fortgeführt. Bevor aber die »heiße Phase« gestartet wurde, mußte man noch dem traditionellen Parallelismus der Sicherheitskräfte Rechnung tragen.

Die Policía Nacional schuf ihre »weiße GAL«, die Guardia Civil und der CESID die »grüne GAL«. Beide basierten auf dem Strategiepapier des CESID und erhielten von ihm auch die notwendigen Informationen. 13) Die GAL ermordeten zwischen 1983-1987 28 Menschen. Die Journalisten Melchor Miralles und Ricardo Arqués entdeckten die Verbindungen der »weißen GAL« zu ihren unmittelbaren Führern, den Polizisten José Amedo und Michel Domínguez, bereits Ende der 80er Jahre. Der Dilletantismus der beiden kam den Journalisten bei ihren Recherchen zu gute. Die »grüne GAL« flog erst vor zwei Jahren auf, weil der konservative Oppositionsführer Aznar ein paar Leichen im Keller der sozialistischen Regierung brauchte, um selber Ministerpräsident werden zu können. So erinnerte sich »jemand« der sterblichen Überreste zweier unbekannter Menschen, die seit zwölf Jahren in einem südspanischen Leichenhaus lagen. Die Gen-Probe ergab, daß es sich um die baskischen Flüchtlinge Lasa und Zabala handelte. Ein Kommando der »grünen GAL« hatte die beiden Männer am 16. Oktober 1983 in Südfrankreich entführt, im Palast des Zivilgouverneurs von Gipuzkoa verhört und gefoltert, um sie anschließend in Alicante zu ermorden.

1996 entdeckte die Recherchecrew der baskischen Tageszeitung Egin, daß der CESID jenes Attentat gedeckt hatte, das am 20. November 1989 im Madrider Hotel Alcalá verübt wurde. Zwei Attentäter schossen auf eine Gruppe von Herri Batasuna-Parlamentariern. Mit einem gezielten Kopfschuß streckten sie Josu Mugurza, den damaligen Chefredakteur von Egin nieder. Daß gerade er bei diesem Anschlag starb, war kein Zufall. Nach den gescheiterten »Gesprächen von Algier« sollte er die Kontakte zwischen ETA und der spanischen Regierung wieder in Gang bringen. Deshalb nahm er eine Schlüsselposition innerhalb der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ein. Der Mord an Muguruza war also ein eindeutiges Nein des CESID und der hinter ihm stehenden Strukturen zu einer Verhandlungslösung. Zufall oder nicht, nur wenige Meter von Muguruza entfernt, saß Christian Liseau, als die Schüsse fielen. Der CESID beriet ihn zwei Wochen lang, bevor er seine Aussage machte. 14)

Schlußfolgerungen

Gerade das zuletzt geschilderte Attentat macht deutlich, daß der CESID und mit ihm das gesamte spanische Militär nach wie vor eine faktische Macht im spanischen Staat sind, ohne deren Zustimmung es keine wie auch immer geartete Lösung des baskisch-spanischen Konfliktes geben wird.

In den deutschen Medien wird zwar immer das Vorgehen der spanischen Justiz gegen die Verantwortlichen des Staatsterrorismus besonders hervorgehoben, aber die verdeckte Einflußnahme des Militärs bleibt dabei oft unberücksichtigt, obwohl sie sehr offensichtlich ist.

Als zum Beispiel eine Reihe von Zivilgardisten, unter ihnen der General Enrique Rodríguez Galindo inhaftiert wurde, protestierten hochrangige Militärs, indem sie ein entsprechendes Kommuniqué verfaßten und publik machen wollten. Dem konservativen Innenminister Jaime Mayor Oreja gelang es erst nach stundenlangen Verhandlungen mit den Oberkommandierenden von Armee und Guardia Civil sie von diesem Schritt abzuhalten. Rodríguez Galindo kam nach nur dreimonatiger U-Haft in einem Militärgefängnis wieder frei. Offensichtlich hat das Militär seine Lektion aus dem 23. Februar 1981 gelernt: Es rasselt nicht mehr mit dem Säbel, sondern raschelt mit dem Papier. Diese Anpassung an demokratische Mindeststandards minderte seinen Einfluß auf die spanische Innenpolitik keineswegs, wie die folgenden Beispiele belegen:

1) Oberst Enrique Rodríguez Galindo wird zum General befördert, obwohl mehrere Ermittlungsverfahren wegen Drogenhandel und Verwicklung in GAL-Verbrechen anhängig sind.

2) Im Juni 1995 muß CESID-Chef Manglano wegen der zahlreichen Skandale unter seiner Ägide zurücktreten. Nur wenige Wochen später ernennt ihn der Verteidigungsminister zum »Berater« in Sachen Geheimdienstreform.

3) Die Reform des Geheimdienstes vergrößert den CESID, wie bereits beschrieben, ohne daß die parlamentarische bzw. politische Kontrolle verbessert wird.

4) Anstatt einen Zivilisten an die Spitze des CESID zu stellen, beruft die konservative Regierung Aznar den Generalleutnant Javier Calderón. Der 66jährige Berufssoldat ist ein erfahrener Geheimdienstler. Bereits zur Franco-Zeit gehörte er der zweiten Abteilung des frankistischen Oberkommandos an (die u.a. die spanische Gladio-Struktur kontrollierte), und außerdem leitete er »La Casa« in Jahren 1980-81.

Angesichts der Entwicklung des Dienstes in den letzten 16 Jahren drängt sich der Eindruck auf, daß die sog. »Skandale« eigentlich nur der personellen und administrativen Selbstreinigung des CESID gedient haben. Da keine übergeordnete Kontrollinstanz vorhanden noch in der Lage war, alte Strukturen und Machtpositionen innerhalb des »Hauses« aufzubrechen bzw. einzudämmen, mußten bestimmte Mißstände publik gemacht werden. Es folgte dann zwar eine Periode der Unsicherheit, aber die Existenz des Dienstes wurde nie wirklich in frage gestellt. Mit der neuen Führungsspitze um Calderón kann der CESID sich nun wieder seinen traditionellen Aufgaben zuwenden.

Dazu zählt vor allem die Bekämpfung der ETA im In- und Ausland. Deshalb wird der CESID auch verstärkt in Deutschland tätig werden, weil die spanische Regierung auch eine ETA-Struktur hierzulande sieht. Anlaß für solche Behauptungen findet sie in den persönlichen Beziehungen deutscher Staatsangehöriger zu Basken und Katalanen, denen die spanische Justiz die Zusammenarbeit mit ETA zur Last legt. Im Fall des Deutschen Gary Siemund kann die Wiesbadener Staatsanwaltschaft offensichtlich keine Belege für die Behauptungen aus Madrid finden, da sie schon zweimal die Entlassung des jungen Mannes aus deutscher U-Haft beantragt hat. (Siemund hatte sich freiwillig den deutschen Behörden gestellt.) Währenddessen lancierten spanische Polizeikreise, sie besäßen eine Liste mit den Namen von 15-20 verdächtigen Deutschen. Außerdem observiere sie schon seit geraumer Zeit deutsche Studenten in Spanien, die Kontakt zur ETA hätten. Zusammen mit der Vorverurteilung Siemunds durch die spanischen Medien hat Madrid so die Voraussetzungen geschaffen, um zum passenden Zeitpunkt »das« deutsche ETA-Kommando hochgehen zu lassen.

Aber im Schatten dieses konkreten Falls geht es auch um die Einschüchterung jener Kreise in Deutschland, die sich fern des bewaffneten Kampfes für eine friedliche Beilegung des Konfliktes einsetzen und die nationalen Eigenheiten von Basken und Katalanen respektieren und unterstützen. Dazu zählt zum einen die Aufforderung der Bundestagsabgeordneten der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Ulla Jelpke und Winfried Wolf an die spanische Regierung, mit der ETA in einen Dialog zu treten. Zum anderen darf man aber auch nicht vergessen, daß sowohl die katalanische als auch die baskische Regionalregierung es geschafft haben, mittels einer gut subventionierten Kulturpolitik das Märchen von der »spanischen Nation« auch in Mitteleuropa in Frage zu stellen. Außerdem nutzen Barcelona und Vitoria/Gasteiz ganz legal den Rahmen der EU, um innerhalb einer Euroregion jene territoriale und nationale Anerkennung zu erhalten, die ihnen Madrid verweigert. Das heißt also, auch die EU-Regionen bedrohen die »unteilbare Einheit der spanischen Nation«.

Das spanische Militär und sein Geheimdienst CESID werden versuchen, diese Entwicklung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu behindern.

Quellen:
1) BUSCH, Heiner. Grenzenlose Polizei? Neue Grenzen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa. Münster: Westfälisches Dampfboot, 1995. Zum span. Polizeiwesen s. 220-243.

2) ETA = Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit

3) Eine fundierte Studie über die span. Armee verfaßte FISCHER, Martina. Spaniens ungeliebtes Militär. Legitimitätsdefizite: Öffentliche Meinung, Protestbewegungen und die Reaktionen des Militärapparats (1982-1992). Frankfurt a.M.: Vervuert, 1996.

4) Am 18.7.1984 zitierte die Tageszeitung EL DIARIO VASCO den General der PGC Andrés Cassinello mit den Worten: ,'Esa guerra la estamos ganando'« (Diesen Krieg gewinnen wir gerade.) Weitere Belege in DAVANT, Jean u.a. Euskadi guduan - en guerra. Bayonne: Ekin, 1987: 192. Erst kürzlich bezweifelte der Befehlshaber der Militärregion »Westliche Pyrenäen«, General José Domingo Agredano, ob der Erhalt des Rechtsstaates Aufgabe des Wehrdienstes sein könnte.

5) MULC = Mando énico de la Lucha Contraterrorista. Der MULC bestand aus Vertretern der Nationalpolizei, CESID, PGC und einem Staatsanwalt.

6) Personal/Verwaltung; Sicherheit; Inlandsspionage; Auslandsspionage; Spionageabwehr; Wirtschaft u. Technologie; Technische Unterstützung; Operative Unterstützung.

7) 1994 gab es in Barcelona den ersten großen Abhörskandal, bei dem zahlreiche hochkarätige CESID-Agenten u. -Mitarbeiter verhaftet wurden. 1995 stellte sich heraus, daß die Abhörabteilung des »Hauses« u.a. die Telefonate des Königs aufgezeichnet hatte. Der vormalige Leiter dieser Abteilung, Oberst Juan Alberto Perote, soll 2000 geheime Dokumente mitgenommen haben, von denen die spanische Tageszeitung EL MUNDO einen kleinen Teil 1995/96 publizierte. Der Prozeß gegen Perote hat am 9.6.1997 begonnen.

8) 1995 ertappten Vorstandsmitglieder von Herri Batasuna (HB) den Infanteriehauptmann und CESID-Agenten José María Liniers Portillo, wie er versuchte, den unbekannten Inhalt einer Plastiktüte im Wagen des HB-Abgeordneten Joxi Mari Olarra zu deponieren. Nach wilden Verfolgungsjagd durch San Sebastián rettete sich Liniers in eine baskische Polizeiwache. Seine drei Begleiter entkamen unerkannt. Der Inhalt der Tüte und die Mission des CESID-Kommandos bleibt weiterhin ein Geheimnis, weil sich die span. Justiz äußerst schwer tut, diesen Vorfall aufzuklären.

9) Offensichtlich wird diese Rivalität bei der Analyse der sog. »Gespräche von Algier«, wo 1989 Vertreter von ETA und des span. Innenministeriums (aber nicht des CESID), über ein Verhandlungslösung sprachen. s. EGAÑA, Iñaki u. Giovanni Giacopucci. Los días de Argel. Tafalla: Txalaparta, 1993.

10) PEREZ DIAZ, Santiago. El nuevo papel del Cesid. EL PAÖS, 9.2.1997. Un sistema policial muy caro. EGIN, 20.8.1995.

11) SCHMIDT-EENBOOM, Erich. Der BND. Die unheimliche Macht im Staate. 2. Aufl. München: Econ, 1993: 268. COMAS, José. El espionaje alemán y el Cesid comparten en La Mancha un centro de escuchas internacionales. EL PAÖS, 31.5.1996.

12) REI, Pepe u. Edurne San Martin. Alcalá 20-N. Tafalla: Txalaparta, 1996: 141ff. Dies. Un testigo del atentado del Alcalá es del Cesid. EGIN, 19.4.1997. Los 104 de la lista negra. La historia y los nombres de los presuntos agentes nazis que han vivido en España con la protección de Franco. EL PAÖS, 30.3.1997.

13) GAL = Grupos Antiterroristas de Liberación (d.i.: Antiterroristische Befreiungsgruppen). Der Plural ist wichtig! Los 'papeles del CESID'. »El qué, el cómo, y el por qué«. EL PAÖS, 1.6.1997.

14) s. FN 12. 1990 verurteilte das Sondergericht Audiencia Nacional den Polizisten Angel Duce als Täter. Die EGIN-Recherchen basieren auf der Aussage des Neonazis Juan del Rubio, der 1996 unter mysteriösen Umständen im Gefängnis verstarb.


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