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Auskunftsbegehren gegenüber dem Staatsschutz Dokumentiert: Pressedienst der PDS im Bundestag 23.4.97 |
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Thema: Verfassungsschutz Die PDS-Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter, Gregor Gysi, Uwe-Jens Heuer, Ulla Jelpke, Rolf Köhne und Winfried Wolf haben beim Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz beantragt, Ihnen Auskunft zu den über sie gespeicherten Informationen zu erteilen, eine Stellungnahme dazu abzugeben und ihnen Einsicht in die gespeicherten Informationen zu gewähren. Sie berufen sich dabei auf die §§13 und 15 des Gesetzes über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG), in dem ein Anspruchsrecht von betroffenen Bürgern festgeschrieben ist. Alle Abgeordneten verweisen zur Begründung ihres Antrages nicht nur auf das berechtigte Interesse, das sich aus ihrer öffentlichen Position im politischen und gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland ergibt, sondern auch auf die Tatsache, daß sie namentlich im Verfassungsschutzbericht 1996 und/oder 1995 erwähnt wurden.
Ähnliche Schreiben mit Auskunftsersuchen wurden an die Landesämter für
Verfassungsschutz in den jeweiligen Heimatländern der Abgeordneten
sowie von Gregor Gysi auch an den Bundesnachrichtendienst gerichtet. Wie steht's mit der Rechtslage?»§ 15 Bundesverfassungsschutzgesetz räumt in Änderung der bisherigen Rechtslage dem Bürger einen Auskunftsanspruch über zu seiner Person gespeicherte Daten ein, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und dabei besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Diese Voraussetzungen liegen zum Beispiel vor, wenn ein Bewerber für den öffentlichen Dienst darlegt, daß sein Name in Zeitungsberichten im Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Aktivitäten genannt wird und er um seine Einstellung fürchtet« (Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hg.), »Bundesamt für Verfassungsschutz, Aufgaben, Befugnisse und Grenzen«, Köln 1972, Seite 70). So schreibts der Verfassungsschutz, ein konkreter Sachverhalt und ein besonderes Interesse sind natürlich zunehmend variierbarer, dem ausufernden Staatsschutzstaat sei dank. Wer eine PDS-Veranstaltung besucht, in der Anti-Atombewegung mitmacht oder als aktiver Antifaschist tätig ist, muß z.B. befürchten, daß seine Daten an seinen derzeitigen oder künftigen Arbeitgeber weitergegeben werden ð mit möglichen Konsequenzen. Die bereits in der PDS-Presseerklärung erwähnten Auskunftsbegehren der PDS-Bundestagsabgeordneten basieren auf den im Bundesverfassungsschutzgesetz sowie den entsprechenden Gesetzen der Länder. Mit dem (Artikel-)Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990 wurden unter den Ziffern 2 bis 4 das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MADG) und das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) neu gefaßt bzw. neu erlassen. Diese Gesetzgebung waren notwendig geworden durch den Entscheid des Bundesverfassungsgerichts über das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Entsprechend Anlaß und Auflage schreiben die Gesetze ein Anspruchsrecht des Bürgers auf Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, §§ 19 und 21 des BDSG, § 15 BVerfSchG, § 9 MAD-G und § 7 BND-G, unter weitreichenden Vorbehalten, aber immerhin. Die Länder haben in ihren Gesetzen zu den Landesverfassungsschutzämtern den Schritt nachvollzogen. Der Berliner Datenschutzbeauftragte hat dieser Tage ein Scheckheft mit 37 Musterbriefen zusammengestellt, zu denen auch Auskunftsbegehren an Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste gehören. Wer sich an das Landesamt für Verfassungsschutz bzw. das betreffende Innenministerium des Landes wendet, der formuliere jedoch sein Auskunftsbegehren entsprechend den Vorgaben des jeweiligen Landesgesetzes (erhältlich bei den verantwortlichen Innenministerien). Zugleich möchten wir diejenigen bitten, die ihr Recht auf Auskunft über ihre gespeicherten Daten wahrnehmen, uns über den Gang der Dinge, Reaktionen etc. auf dem Laufenden zu halten. In diesem Sinne. MUSTERBRIEFE(Sie lehnen sich im wesentlichen an das bereits erwähnte Scheckheft des Berliner Datenschutzbeauftragten an) 1) An das Bundesamt für Verfassungsschutz
Hermine Musterfrau Auskunft über Daten, die über mich (über die Gruppe) gespeichert sind
Sehr geehrter Herr Dr. Frisch, Den konkreten Sachverhalt und mein besonderes Interesse an einer Auskunft entnehmen Sie bitte den als Anlagen beigefügten Ausführungen. Soweit Informationen über mich in Akten gespeichert sind, bitte ich, mir zur Stellungnahme nach § 13 Auskunft zu erteilen oder Einsicht zu gewähren.
Mit freundlichen Grüßen 2) An den Bundesnachrichtendienst (BND)
Hermine Musterfrau Auskunft über Daten, die über mich (über die Gruppe) gespeichert sind
Sehr geehrter Herr Dr. Geiger, Den konkreten Sachverhalt und mein besonderes Interesse an einer Auskunft entnehmen Sie bitte den als Anlagen beigefügten Ausführungen. Soweit Informationen über mich in Akten gespeichert sind, bitte ich, mir zur Stellungnahme nach § 5 BND-G (§ 13 BVerfSchG) Auskunft zu erteilen oder Einsicht zu gewähren.
Mit freundlichen Grüßen 3) Landesamt für Verfassungsschutz, Berlin
Hermine Musterfrau Auskunft über Daten, die über mich gespeichert sind
Sehr geehrte Damen und Herren, Mein besonderes Interesse entnehmen Sie bitte den als Anlage beigefügten Ausführungen. Soweit Informationen über mich in Akten gespeichert sind, bitte ich, mir nach § 32 LfVG Akteneinsicht zu gewähren. Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift 4) Landesamt für Verfassungsschutz (NRW)
Hermine Musterfrau Auskunft über Daten, die über mich gespeichert sind, und über Zweck und Rechtsgrundlage der Speicherung
Sehr geehrte Damen und Herren, Soweit Informationen über mich in Akten gespeichert sind, bitte ich, mir zum Zweck der Stellungnahme nach § 11, Abs. 1, Satz 2 Auskunft zu erteilen. Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift
Dr. Gregor Gysi
Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Sehr geehrter Herr Dr. Frisch, Das bezieht sich auch auf die namentliche Erwähnung der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter und Ulla Jelpke. Die eine wird mit Äußerung gegen Atomtransporte, die andere mit Äußerungen der Solidarität gegenüber dem kurdischen Volk (nicht gegenüber der PKK, wie im Bericht behauptet) zitiert. Ich selbst werde dahingehend zitiert, daß ich der Meinung bin, daß unter einem Ankommen der PDS in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu verstehen sei, »daß wir uns unterzuordnen, den herrschenden Strukturen anzupassen haben«. Wenn ich Ihre Erklärung richtig interpretiere, dann gehen Sie also davon aus, daß durch die Erwähnung der Namen und die drei Zitate ein grundgesetzwidriger Extremismus der PDS und ihrer Bundestagsgruppe bestätigt wird. Somit scheint mir neben der Frage der Gewaltenteilung und der unzulässigen Überwachung von Bundestagsabgeordneten durch Ihr Amt das unterschiedliche Verständnis des Grundgesetzes Hauptpunkt der Auseinandersetzung zu sein. Das Grundgesetz verbietet weder eine Gegnerschaft zu Atomenergie und zu Atommülltransporten, noch eine Solidarität mit dem kurdischen Volk. Die Gegner der Atomenergie können sich zutreffend auf Art. 2 Abs. 2 GG und die Gegner der Unterdrückung des kurdischen Volkes auf Art. 3 Abs. 3 GG stützen. Und was meine eigene Zitierung betrifft, so liegt hier wohl der Kern des unterschiedlichen Verständnisses des Grundgesetzes. Wenn mit dem von mir wiedergegebenen Zitat tatsächlich belegt werden soll, daß die PDS extremistisch sei und ich Auffassungen vertrete, die dem Grundgesetz widersprechen, dann haben Sie ein Verständnis vom Grundgesetz dahingehend, daß sich verfassungskonform nur derjenige verhalte, der sich den herrschenden Strukturen unterordnet und anpaßt. Nun kenne ich über viele Jahre eine Interpretation der Verfassung der DDR, die ähnliche Prämissen setzte. Die Artikel 1, 2, 4 und 5 des Grundgesetzes hatte ich aber immer dahingehend verstanden, daß die Freiheit der bzw. des einzelnen im Vordergrund stünde und von ihm genau nicht Anpassung und Unterordnung verlangt wird. Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz das Grundgesetz genau umgekehrt interpretiert und anders ist meine Zitierung nicht zu verstehen ð dann allerdings muß ich zu der Auffassung gelangen, daß das Bundesamt die genannten Artikel des Grundgesetzes negiert und mithin selbst eine Gefahr für die grundgesetzliche Ordnung ist. An Ihrer Meinung zu diesen Fragen wäre ich interessiert. Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gregor Gysi
Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Auskunft über Dateien, die über mich gespeichert sind
Sehr geehrter Herr Frisch, Zum Marxistischen Forum der PDS gehören zahlreiche international bekannte und anerkannte Wissenschaftspersönlichkeiten wie Prof. Dr. Jürgen Kuzcynski, Prof. Dr. Ernst Engelbrecht, Prof. Dr. Hermann Klenner und Prof. Dr. Kurt Pätzold. Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, die soziale, ökonomische und politische Situation in der Bundesrepublik mit den Mitteln des Marxismus zu analysieren und damit zur theoretischen Fundierung der Politik der PDS beizutragen. Zu unseren Prinzipien gehören die Anerkennung der Meinungsfreiheit und der Toleranz im Umgang miteinander. Ich vermag weder aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch aus einer verfassungsrechtlichen Norm oder einer einfach gesetzlichen Regelung zu entnehmen, daß diese unsere Zielsetzung es Ihnen gestattet, uns das grundgesetzlich verbriefte Recht der Freiheit von Forschung und Lehre abzusprechen und als verfassungswidrig zu verunglimpfen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer
Herrn Dittrich
Bonn, den 12.6.97
Sehr geehrter Herr Dittrich Mein Auskunftsbegehren an Sie ist für mich der Anlaß, der Erwartung Ausdruck zu geben, daß Sie künftig die Art und Weise, wie Sie die von ihrem Amt in Anspruch genommene Definitionsmacht über die Stellung von Zusammenschlüssen innerhalb der PDS zum Grundgesetz wahrnehmen, überdenken. Was haben die von Ihnen wiedergegebenen Äußerungen von mir bzw. die zitierten Stellen aus offiziellen Verlautbarungen des Marxistischen Forums über »Regierungsbeteiligung«, »Reformalternative«, »Mängel des bestehenden Systems und der realen Rechtsordnung« mit Linksextremismus und Verfassungsfeindlichkeit zu tun? Ein Nachdenken über eine »Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft« (S. 80) gab es doch ganz augenscheinlich auch bei den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, so wenn diese mit Artikel 15 die Möglichkeit einer umfassenden »Vergesellschaftung der Produktionsmittel« immerhin im Grundrechtsteil des Grundgesetzes fixierten. Die Unterstellung, das Marxistische Forum strebe dies im »Ergebnis einer proletarischen Revolution« (S. 83) ist Unsinn und soll offenbar suggerieren, die Kriterien des KPD-Verbotsurteils seien auf das Marxistische Forum anwendbar. (...) Mit freundlichen Grüßen, Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer |
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