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Texte zur Strategiediskussion (19)
Über Technik und Politik - Von Protagoras

Es war einst eine Zeit, in der es Götter zwar gab, sterbliche Geschlechter gab es jedoch noch nicht; nachdem aber auch für diese die vorherbestimmte Zeit ihrer Erzeugung gekommen war, bildeten die Götter sie innerhalb der Erde aus Erde und Feuer und auch das hinzumengend, was von Erde und Feuer gemengt ist. Und als sie sie schon ans Licht der Welt bringen sollten, übertrugen sie Prometheus und Epimetheus, sie auszustatten und Kräfte so unter ihnen zu verteilen, wie es jedem zukomme. Von Prometheus aber erbat sich Epimetheus, er wolle verteilen, und, sagte er, wenn ich ausgeteilt, so komme du, es zu besichtigen. Und so, nachdem er ihn überredet hatte, verteilte er. Bei der Verteilung nun verlieh er einigen Stärke ohne Schnelligkeit, den Schwächeren aber gab er sie; einige bewaffnete er, anderen, denen er eine wehrlose Natur gegeben hatte, ersann er eine andere Kraft zur Rettung. Welche er nämlich in Kleinheit gehüllt hatte, denen verlieh er geflügelte Flucht oder unterirdische Behausung, welche aber zu bedeutender Größe ausgedehnt waren, die rettete er eben dadurch. Und ebenso verteilte er auch alles Übrige ausgleichend. Dies tat er so, daß nicht eine Gattung gänzlich verschwände. Als er ihnen nun des Wechselverderbens Entfliehungen zustande gebracht, begann er ihnen auch gegen die Jahreszeiten leichte Gewöhnung zu ersinnen durch Bekleidung mit dichten Haaren und starken Fellen, ausreichend, um die Kälte, aber auch vermögend, die Hitze abzuhalten, und außerdem zugleich jedem, wenn es zur Ruhe ging, zur eigentümlichen und angewachsenen Lagerbedeckung zu dienen. Und unter den Füßen versah er einige mit Hufen und Klauen, andere mit Haaren und starken, blutlosen Häuten. Hiernächst wies er dem einen diese, dem anderen jene Nahrung an. Dem einen aus der Erde die Kräuter, dem anderen von den Bäumen die Früchte, einigen auch verordnete er zur Nahrung andere Tiere. Diesen letzteren verlieh er nur dürftige Zeugung, dagegen den von ihnen verzehrten eine vielerzeugende Kraft, dem Geschlecht zur Erhaltung. Aber doch nicht ganz weise, hatte er unbemerkt schon alle Kräfte für die unvernünftigen Tiere aufgewendet; übrig also war ihm noch unbegabt das Geschlecht der Menschen, und er war ratlos, was er diesem geben sollte. In seiner Ratlosigkeit nun kommt Prometheus zu ihm, um die Verteilung zu beschauen, und sieht die Tiere zwar in allen Stücken weislich bedacht, den Menschen aber nackt, unbeschuht, unbedeckt, unbewaffnet, und schon war der Tag vorhanden, an welchem auch dieser hervorgehen sollte aus der Erde an das Licht. Gleichermaßen also der Verlegenheit unterliegend, welcherlei Rettung er dem Menschen noch ausfände, stiehlt Prometheus die kunstreiche Weisheit des Hephaistos und der Athene, nebst dem Feuer ð denn unmöglich war, daß diese einem ohne Feuer hätte angehörig oder nützlich sein können ð, und so schenkte er sie dem Menschen. Die zum Leben nötige Wissenschaft des Handwerkes und des Denkens also erhielt der Mensch auf diese Weise, die bürgerliche aber hatte er nicht. Denn diese war beim Zeus, und dem Prometheus stand nicht mehr frei, die Behausung des Zeus zu Betreten, auch fürchtete er sich vor dessen Wachen. Aber in das dem Hephaistos und der Athene gemeinschaftliche Gemach, in dem sie ihre Kunst übten, geht er heimlich hinein, und nachdem er so die feurige Kunst des Hephaistos und die andere der Athene gestohlen, gibt er sie dem Menschen. Und von da an genießt nun der Mensch Behaglichkeit des Lebens; den Prometheus aber hat hernach, so wie erzählt wird, Strafe für diesen Diebstahl um Epimetheus willen ergriffen.

Da nun aber der Mensch göttlicher Vorzüge teilhaftig geworden war, hat er auch zuerst, wegen seiner Verwandtschaft mit Gott, allein unter allen Tieren an Götter geglaubt, auch hatte er Altäre und Bildnisse derer aufzurichten versucht, dann bald darauf Töne und Worte mit Kunst als Sprache zusammengeordnet, anschließend Wohnungen und Kleider, Beschuhungen und Lagerdecken und die Nahrungsmittel aus der Erde erfunden. So ausgerüstet, wohnten die Menschen anfänglich zerstreut, Städte aber gab es noch nicht. Deshalb wurden die Menschen von den wilden Tieren ausgerottet, weil sie in jeder Art schwächer waren als diese, und die verarbeitende Kunst war ihnen zwar zur Ernährung eine hinreichende Hilfe, aber zum Kriege gegen die Tiere unwirksam; denn die bürgerliche Kunst, die Politik hatten sie ja noch nicht, vom welcher jedoch das kriegerische ein Teil ist. Sie versuchten also, sich zu sammeln und sich zu retten durch die Erbauung von Städten; wenn sie sich aber gesammelt hatten, so beleidigten sie einander, weil sie die bürgerliche Kunst noch nicht hatten, so daß sie wiederum sich zerstreuend auch bald wieder aufgerieben wurden. Zeus also, um unser Geschlecht, das es nicht etwa gar untergehen möchte, besorgt, schickt den Hermes herab, um den Menschen Sittlichkeit und Recht zu bringen, damit diese der Städte Ordnung und Bande würden, der Zuneigung Vermittler. Hermes nun fragt den Zeus, auf welche Art er dem Menschen das Recht und die Sittlichkeit geben solle. Soll ich, so wie die Künste verteilt sind, auch diese verteilen? Jene nämlich sind so verteilt: Einer, welcher die Heilkunst innehat, ist genug für viele Unkundige, und dies gilt ebenso für die anderen Künste. Soll ich nun Sittlichkeit und Recht ebenso unter den Menschen aufstellen, oder soll ich sie unter alle verteilen? Unter alle, sagte Zeus, und alle sollen teil daran haben; denn es könnten keine Staaten bestehen, wenn auch hieran nur wenige Anteil hätten, wie an anderen Künsten.

aus: Platon, Protagoras, Werke, Band 1, Rowohlt Hamburg 1957, S. 21 ff (320 d ff)


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