Logo Geheim 1/1997

»Der Weg zum Sieg wird lang sein. Deshalb sind wir schon aufgebrochen.«
In memoriam Camilo Torres ...

Camilo Torres in seinem »Aufruf aus den Bergen« am 7. Januar 1965

3. Februar 1929 - 15. Februar 1966. Vor 31 Jahren starb Fidels Bruder aus Bogotá, der katholische Priester und Soziologe, der Sprecher der kolumbianischen Frente Unido und Guerrillero der ELN, Jorge Camilo Torres Restrepo, unter den Gewehrkugeln kolumbianischer »Sicherheitskräfte«

Die Kommunisten - von Pablo Neruda

Wir, die unser Herz wir legten in den Stein,
ins Eisen, in harte Disziplin,
wir leben daselbst, aus Liebe nur,
und man weiß nun, daß wir uns verbluten,
da des Sternes Sinn verdreht wurde
durch den düstren Mond der
Eklipse.

Nun werdet ihr sehen, was wir sind und wiegen.
Nun werdet ihr sehen, was wir sind und
sein werden.

Wir sind das reine Silber der Erde,
des Menschen wahrhaftes Erz,
wir verkörpern das Meer, das währende:
die Feste der Hoffnung:
eine Minute Dunkel macht uns nicht blind:
wir werden in keiner Agonie
hinsterben.

Das Übel -von Pablo Neruda

Er sucht in seinem Irrn, in seiner
rührenden Schwäche der bedrängte Mensch
den, dem er die Last abtreten kann,
von dem, was ohne Prüfung er ertrug,
und dann wirft er den Stein, den er
trug, auf den, der ihm den Weg schon
bahnt.

Ich erhielt an meiner Stirn den
Steinwurf.

Meine Wunde ist die Erinnerung an meinen Bruder:
des Mannes, der mich liebte, der keinen anderen
Weg mit mir zu sprechen fand, als zu verwunden,
des Mannes, der mich haßte, ohne es zu wissen,
daß ich seine Finsternis dem Licht zuführte,
daß meine Schlacht um seine
Schmerzen ging.

Cueca - von Pablo Neruda

Daß die Gitarre verstumme,
denn das Vaterland ist in Trauer.
Dunkel wird unsere Erde.
Sie töteten den
Guerrillero.

»Ich spreche nie über Literatur, weil ich nicht weiß, was sie ist, und überdies bin ich überzeugt, daß die Welt ohne sie diegleiche wäre. Dagegen bin ich überzeugt, daß sie völlig anders wäre, wenn es keine Polizei gäbe. Darum glaube ich, daß es für die Menschheit nützlicher gewesen wäre, wenn ich nicht Schriftsteller, sondern Terrorist wäre.« - Es war kein Zufall, daß Gabriel García Márquez gerade in jenem Jahr 1966 diese bittere, nur auf den ersten Blick befremdliche autobiographische Notiz verfaßte. Denn sie könnte das Epitaph sein auf den Genossen und priesterlichen Rebellen, der zur Guerrilla gegangen war, um die Waffe, die schießt, in die Hand zu nehmen. Mit der Waffe, die schreibt, hatte Camilo lange zuvor die Gewißheit zu Papier gebracht, daß sie ihn wohl umbringen würden, die Büttel der Reichen, hatte aber gleichwohl alle Genossinnen und Genossen, die er gern Brüder und Schwestern nannte, eingeschworen auf die höchste Pflicht des Revolutionärs, sich nicht umbringen zu lassen, die Pflicht, die über seine Kräfte ging. Als er sich an jenem Tag während des Gefechts über einen totgeglaubten Soldaten beugte, um sich nach Art des Guerrilleros seine Waffe zu nehmen, wurde er von zwei Schüssen getötet.

»Am Dienstag, den 15. Februar, ist eine Einheit der V. Brigade auf eine Guerilla-Gruppe getroffen und hat im Gefecht fünf bewaffnete Männer getötet. Eine der Leichen wurde identifiziert als die eines Camilo Torres Restrepo.«

Bewußt lakonisch, karg und nüchtern, das Communiqué der Militärs. Der Versuch, die Bedeutung des Mannes, dessen Namen sie nennen mußten, herunterzuspielen. Bezeichnend: Seine Leiche verscharrten sie irgendwo und halten den Ort geheim - bis heute. Nach wie vor haben sie den Nimbus der Gestalt zu fürchten, das Grab als Ort eines Heroenkults, wo Erinnerung wachgerufen und zu Aktualität geformt werden kann, zu Beweggrund und Bewegungskraft - ähnlich wie im Falle Ernesto »Che« Guevara, dessen Leiche die Mörder ein Jahr später irgendwo in Bolivien verscharren werden, ähnlich wie im Falle Patrice Lumumba, Jahre zuvor irgendwo in Katanga, ähnlich ..., ähnlich ..., ähnlich ...

Auch wenn es heute weithin aus dem (ver)öffentlich(t)en Bewußtsein verdrängt scheint - der Name dieses katholischen Priesters Camilo Torres gehört zu jenen Jahren des Aufbruchs in den Ländern Asiens, Afrikas und und beider Amerikas wie die Namen Martin Luther King und Ernesto »Che« Guevara, Patrice Lumumba und Ho Chi Minh, aber mit dem aparten Akzent der radikaldemokratischen Zuspitzung des Christentums und der offensiven Werbung für ein Bündnis mit dem Marxismus und den kommunistischen Parteien als der entscheidenden Kraft der Befreiung:

Das entscheidende Element am katholischen Glauben ist die Liebe zum Nächsten. »Wer den Nächsten liebt, der erfüllt das Gesetz« (Röm. 13, 8). Damit diese Liebe wahr und echt sei, muß sie wirksam werden. Wenn Wohltätigkeit, Almosen, wenige Schulen für Kinder aller Schichten, ein paar Wohlfahrtsprogramme, kurz all das, was man »Mildtätigkeit« nennt, nicht ausreicht, den meisten Hungernden zu essen zu geben, die meisten Nackten zu kleiden, die meisten Unwissenden zu unterrichten, dann müssen wir wirksamere Maßnahmen einleiten, um das Wohl der Mehrheit sicherzustellen. ... Die Revolution kann friedlich sein, wenn die wenigen Mächtigen keinen bewaffneten Widerstand leisten. Revolution heißt: eine Regierung einsetzen, die den Hungernden zu essen gibt, die Nackten kleidet und die Unwissenden unterrichtet, kurz, Liebe übt, dies aber nicht nur gelegentlich oder vorübergehend tut und nicht nur einige wenige befriedigt, sondern sich um die große Masse unserer Brüder und Schwestern kümmert. Aus diesem Grunde ist die Revolution dem Christen nicht nur gestattet, sondern sie ist seine Pflicht ...

Was im übersatten Europa ein tümelnder antikommunistischer Optativ katholischer Literaten und ihrer schlecht beratenen verzweifelt mordenden Kinder blieb (»Ich glaube an Jesus Christus, und ich glaube, daß achthundert Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz der Erde verändern könnten«), wurde im elenden Lateinamerika zur potentiell transzendierenden Praxis der Basisgemeinden und der Theologie der Befreiung:

Das wichtigste am Katholizismus ist die Nächstenliebe. Wer seinen Nächsten liebt, erfüllt das Gesetz (Römer 13, 8). ... Es ist wahr, daß es keine Autorität gibt außer von Gott (Römer 13, 1). Aber Thomas von Aquin sagt, daß die konkreten Befugnisse der Autorität vom Volk ausgehen. Wenn eine Autorität gegen das Volk gerichtet ist, so ist sie ungesetzlich und wird Tyrannei genannt. Wir Christen können und müssen gegen die Tyrannei kämpfen. ... Ich glaube, daß ich mich aus Liebe für die Revolution entschieden habe. Ich habe aufgehört, die Messe zu feiern, um besser diese Nächstenliebe im Bereich der Wirtschaft und Gesellschaft verwirklichen zu können. Wenn mein Nächster nichts mehr gegen mich hat, wenn die Revolution verwirklicht wurde, will ich wieder die Messe feiern, falls es Gott erlaubt. ...

In seinem Aufruf an die Kommunisten erklärt er den kolumbianischen Katholiken:

Ich habe gesagt, daß ich Revolutionär bin, und ich bin dies als Kolumbianer, als Soziologe, als Christ und als Priester. Ich glaube, daß die kommunistische Partei echte revolutionäre Elemente in sich birgt, und deshalb kann ich nicht Antikommunist sein, weder als Kolumbianer noch als Soziologe, weder als Christ noch als Priester.

Der Aufbruch der kolumbianischen Volksfront endete katastrophal für die einzelnen, aber auch politisch?

Ein Jahr nach dem Tod des Priester-Guerilleros Camilo Torres, im Todesjahr Ernesto Guevaras, bekräftigt der römische Papst Paul VI. in seiner Enzyklika »populorum progressio« die katholische Lehre vom Recht auf Widerstand und auf Revolution.

Fast auf den Tag drei Jahre nach Camilos Aufruf an die Christen, an die Kommunisten, beschreiben eben dort in Bogotá die Bischöfe Lateinamerikas im Dokument ihrer Zweiten Konferenz fast in Camilos Worten den Zustand des Kontinents und erklären zu den Kämpfern des bewaffneten Aufstands ausdrücklich: »Mit Papst Paul VI. erkennen wir an, daß ,ihre Haltung häufig die letzte Motivierung in durchaus edlen Beweggründen des Bewußtseins von Gerechtigkeit und Solidarität hat.« Diese Anerkennung war viel. Denn es gibt ihn durchaus, den dynamischen Dreischritt Soziallehre - Soziologie - Sozialismus. Er wurde im Blut erstickt.

Der Aufschwung in Lateinamerika endete im Blutbad, in Kolumbien, Chile, Nikaragua, El Salvador. Die Befreiungstheologen haben sich wie die »Neuerer«, ihre europäischen Confratres, auf feministische Theologie, planetarisches Bio-Ethos und Soziallehre zurückgezogen, und kein Hahn hat nach Camilo gekräht im letzten Jahr.

Deshalb tun wir es jetzt. Camilo Torres Vermächtnis hat in Kuba eine letzte Heimat gefunden. Seine Mutter hat dort ihre letzten Lebensjahre verbringen wollen. In Kolumbien könne sie nicht mehr leben, hatte sie Ernesto Cardenal anvertraut, solange nicht auch dort die Revolution siegte: »Ich liebe diese Revolution. In Kuba liebt man meinen Sohn, und Liebe erzeugt Gegenliebe.«

In ihrer Wohnung dort sah Cardenal die Photos beider Camilos nebeneinander an der Wand, Camilo Cienfuegos und Camilo Torres.

Und wenn der katholische Papst und sein Ratzinger im nächsten Jahr auf Kuba eine Messe feiern, wird ihnen der Wind vom Torres-Museum her trotzig die gottgefällige Losung zutragen:

Das wichtigste am Katholizismus ist die Nächstenliebe. Wer seinen Nächsten liebt, erfüllt das Gesetz (Römer 13, 8). ... Ich habe aufgehört, die Messe zu feiern, um besser diese Nächstenliebe im Bereich der Wirtschaft und Gesellschaft verwirklichen zu können. Wenn mein Nächster nichts mehr gegen mich hat, wenn die Revolution verwirklicht wurde, dann will ich wieder die Messe feiern, falls es Gott erlaubt. ...

An der Haltung dieser militanten Streiter für die Menschlichkeit zeigt sich, wie feige, wie verdorben unsere Empfindung der Machtlosigkeit ist gegenüber der imperialistischen Destruktivität.

Bordien, Hans Peter


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