Logo Geheim 1/1997

» ... verdächtig, verdächtig zu sein.«
Texte zur Strategiediskussion (18)

Wie schützt man die Verfassung vor dem Verfassungsschutzamt? (1953)

Jedes staatliche Leben besteht aus einer unablässigen Auseinandersetzng zwischen der Macht und dem Recht. Auch in einem totalitären Staat ist das Recht immer gegenwärtig, wenn es auch unterdrückt ist; es ist in den Köpfen und Herzen wirksam und lebendig. Der demokratische Rechtsstaat dagegen ist ein Zustand des Gleichgewichts zwischen Macht und Recht, aber es ist ein labiles, das heißt ein ständig schwankendes und wiederherzustellendes Gleichgewicht. Nun kennt man die Eigenschaft und Tendenz der Macht, sich auszudehnen und zu verstärken und ständig Mittel, Möglichkeiten, gerade und krumme Wege in dieser Richtung zu suchen. Deshalb bedarf die andere Seite, das Recht, der besonderen Pflege und Wachsamkeit. Das Recht kann nicht, wie die Macht, für sich selber sorgen. Es ist auf die nie nachlassende Aufmerksamkeit und Mitwirkung aller Staatsbürger angewiesen, die sich nicht eines schönen Morgens wieder der übermächtig gewordenen Macht rechtlos gegenübersehen wollen. Das geringste Übergewicht in der Waagschale der Macht - und der Umschlag zum Machtstaat ist vollzogen. Weil die Macht und die Organisationen, die sie sich schafft, so überaus listig und findig sind, sich jenes kleine, aber entscheidende Übergewicht zu verschaffen, müssen die, denen es um das Recht zu tun ist, heillos aufpassen. Das Verhängnis kann ganz harmlos beginnen und aussehen, und es mag gar unter der Verkleidung eines höheren Zwecks auftauchen. ...

Wir wollen nun einen Fall bedenken, der nur ein Beispiel ist von Vorgängen, die sich so ungefähr heute allenthalben abspielen und weiter abspielen werden, wenn nichts dagegen geschieht. Die erste Rolle im Stück spielt Herr X., der Berichterstatter, Vertrauensmann oder Gewährsmann des Amtes für Verfassungsschutz, der sogenannte V-Mann. Weil man ihn aber nicht kennt, ist er schwer zu beschreiben. Die Erfahrung zeigt, daß niemand so wenig Vertrauen verdient, wie der Vertrauensmann, und das für nichts so wenig Gewähr besteht wie für das, was der Gewährsmann berichtet. Zu seiner Funktion gehört, daß seine Umgebung ihn nicht als V-Mann kennt; und auch sein Auftraggeber selbst weiß häufig nicht, wem der V-Mann sonst noch dient oder gedient hat. Wie der frühere Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. John, gesagt hat, ist es die Aufgabe und die Kunst der Berichterstatter, ,in der von ihnen beobachteten Umwelt mehr zu hören und besser zu sehen, als dies anderen gegeben ist«, also das Gras wachsen zu hören und zu sehen. Ihre Vergütung richtet sich in der Regel nicht nach der Güte ihrer Mitteilungen, sondern nach ganz anderen Gesichtspunkten.

Herr X. also berichtet seinem Amte über den Angestellten A., daß dieser verdächtig sei, staatsfeindliche Beziehungen zu unterhalten oder für staatsfeindliche Organisationen tätig zu sein und dergleichen. Das Amt für Verfassungsschutz oder die mit ihm zusammenwirkende Polizei deuten das beim Arbeitgeber oder Vorgesetzten des A. an. Bei dessen Kollegen, bei seiner Vermieterin, bei seinen Nachbarn wird nachgeforscht. Leute mit Lodenmänteln tauchen auf, die sich, wenn es nötig wird, auf Dienstausweise berufen können. Herr A. wird unmöglich. Er muß seine Stelle aufgeben. Jede weitere Bewerbung ist erfolglos. Er ist beruflich tot.

Aber er kann sich nicht wehren. Nehmen wir den möglichen Fall, daß die Verdächtigung falsch ist; ja, wir müssen geradezu diesen Fall annehmen; denn niemand darf für schuldig gelten, ehe er in einem ordentlichen Verfahren verurteilt ist. Hier ist er nicht nur nicht verurteilt, sondern noch nicht einmal angehört. Im Grundgesetz steht (Artikel 19 Absatz 4), daß, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt werde, ihm der Rechtsweg offenstehe. Auch ohne diesen Artikel versteht es sich von selbst, daß A. Anspruch auf Rechtsschutz hat, wenn ehrverletzende oder existenzgefährdende Behauptungen über ihn aufgestellt und verbreitet werden. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaats, dem Bürger den Schutz der Strafgesetze zu gewähren. Aber so wie die Dinge liegen, scheint es mit diesem elementaren Recht des Bürgers und dieser elementaren Pflicht des Staates zu hapern. Das Amt für Verfassungsschutz will und darf seinen Vertrauensmann nicht nennen. Jeder Rechtsschutz, jede Wahrheitsermittlung ist aber unmöglich, wenn man die Quelle der Verdächtigung nicht kennt. Die Beamten des V-Amtes oder der Polizei, die Herr A. zu Gesicht bekommt, berufen sich auf ihre Verschwiegenheitspflicht. Zu einem Verfahren gegen A. selber kommt es deshalb nicht, weil der Verdacht gegen ihn dazu nicht ausreicht. Auf alle Fälle will man den V-Mann nicht aufdecken. Vielleicht, so befürchtet man, begnügt sich das Gericht nicht mit der Bestätigung des Polizeibeamten, daß Herr X. sehr vertrauenswürdig sei. Im übrigen braucht man eine solche Verurteilung durch das Gericht garnicht, weil Herr A. ja auch ohne Urteil unmöglich wird. Er ist zwar nicht überführt, nicht einmal ausreichend verdächtig, aber er ist, wie es in der französischen Konventszeit geheißen hat, ,verdächtig, verdächtig zu sein«. Herr A. kann sich aufhängen.

Man könnte hier etwa fragen und einwenden, warum denn die Justizbehörde, das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, nicht einfach das Amt für Verfassungsschutz nach Herrn X. fragt. Die Aufgabe dieses Amtes ist ja doch das Sammeln von Informationen für die Zwecke des Verfassungsschutzes. Die Justizbehörde kann nun wohl fragen, aber sie wird keine Antwort bekommen; denn die Gesetze über die Verfassungsschutzämter kennen eigenartigerweise eine Mitteilungspflicht gegenüber den Behörden der Rechtspflege nicht, nur gegenüber dem Innen-, das heißt dem Polizeiministerium. Das scheint allerdings unbegreiflich, denn bei der Rechtspflege liegt ja in erster Linie die Aufgabe, über die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit des staatlichen Lebens zu wachen. Der Rechtspflege dürfte also nichts vorenthalten werden, was für diese Aufgabe von Bedeutung ist.

Die Lage, in der wir den armen A. gelassen haben, ist aber zweifellos verfassungswidrig. Hier ist tatsächlich schon der Fall eingetreten, daß die Macht wieder das Übergewicht bekommen hat und der Bürger in einem gewissen Umfang recht- und wehrlos geworden ist. Es sollte dringend Abhilfe geschaffen werden werden. Man möchte geradezu fragen: Wie schützt man die Verfassung vor dem Verfassungsschutzamt?

Das V-Amt, aus: Richard Schmid, 1965: Einwände. Kritik an Gesetzen und Gerichten, Henry Goverts Verlag Stuttgart, S.49-53

Richard Schmid, geb. 1899, war von 1925 bis 1938 Rechtsanwalt, dann 3 Jahre Zuchthäusler nach einem Urteil der Volksgerichtshofes wegen ,Hochverrats«, anschließend landwirtschaftlicher Arbeiter, nach der Befreiung von 1945 bis 1953 Generalstaatsanwalt, danach Oberlandesgerichtspräsident in Stuttgart. Ein bißchen vom anderen Deutschland.

Schmid, Richard


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